30. Oktober 2011

Jäger: "Rumantsch Grischun ist gescheitert"

Der Bündner Erziehungschef Martin Jäger (SP) redet Klartext zum Thema Rumantsch Grischun. Im folgenden Text wird er irrtümlicherweise als "Martin Vogel" bezeichnet.
In Graubünden toben erbitterte, innerromanische Kämpfe. So umschreibt es zumindest der neue Bündner Bildungsdirektor Martin Vogel (sp.). Das innerromanische Zerwürfnis wurzelt im Entscheid, von 2007 bis 2015 in rätoromanischen Bündner Schulen die Einheitssprache Rumantsch Grischun als Unterrichtssprache einzuführen. Die fünf traditionellen, lokal verankerten Idiome des Rätoromanisch wären damit zumindest schulisch in den Hintergrund getreten. Doch heute unterrichtet nicht einmal die Hälfte aller Schulen in der Einheitssprache. Einige blieben von Anfang an beim lokalen Idiom oder kippten Rumantsch Grischun nach kurzer Zeit wieder aus dem Lehrplan und zogen die alten Lehrmittel im lokalen Idiom wieder aus der Schublade.
«Rumantsch Grischun als Unterrichtssprache ist gescheitert», sagt Bildungsdirektor Vogel jetzt zur «NZZ am Sonntag». Es ist eine erste, ernüchternde Bilanz, die er nach zehn Monaten im Amt zum Dossier Rätoromanisch zieht. In den Jahren nach der Einführung der Einheitssprache habe sich ein grosser Unwillen in den Gemeinden zusammengebraut, sagt Vogel. Es sei zu einer Welle von Volksbegehren gekommen, welche die Rückkehr zum lokalen Idiom forderten. Dabei sei es zu heftigen Grabenkämpfen unter den Romanen gekommen. «Die einen glauben, dass Rätoromanisch nur zu retten sei, wenn Rumantsch Grischun als Einheitssprache gefördert werde. Die anderen fürchten sich davor, dass auf diese Weise die traditionellen Idiome aussterben», sagt Vogel, der selbst zum deutschsprechenden Teil der Bevölkerung gehört. Der Streit, meint Martin Vogel, schade besonders der Solidarität der nichtromanischen Steuerzahler mit der romanischen Bevölkerung: «Deutsch-Bündner goutieren diese Grabenkämpfe nicht.» Zurzeit brauche es Lehrmittel in acht Sprachen: Auf Deutsch, Italienisch, in den fünf Idiomen des Kantons und auf Rumantsch Grischun. Das sei schwer nachvollziehbar für den Rest der Bevölkerung.
Zusätzlich befeuert wird der Sprachenkampf nun von einer Studie, welche die Universität Freiburg vergangene Woche präsentiert hat. Sie befasst sich mit den Sprachkompetenzen von Primarschülern, die in Rumantsch Grischun oder in einem der Idiome unterrichtet wurden. Das Ergebnis: Idiome und Einheitssprache sind als Unterrichtssprache zwar gleichwertig, wenn es um den schriftlichen Ausdruck und Lesekompetenzen geht - mündlich ausdrücken können sich aber Schüler, die im Idiom unterrichtet wurden, um einiges besser.
In das Projekt Rumantsch Grischun hat der Kanton gemäss einer Grobschätzung des Amts für Kultur 7,3 Millionen Franken gesteckt. Gemeinden, die bei der Einführung der Einheitssprache einen Sondereffort leisteten, erhielten insgesamt 1,7 Millionen Franken Extra-Zuwendungen vom Kanton. 
NZZaS, 30.10. von Katharina Bracher

1 Kommentar:

  1. Ooops! Da ist der NZZaS ein ziemlicher Lapsus passiert. Nicht nur, dass sie den Namen des Bündner Regierungsrats verwechselte ... Die Südostschweiz von heute spricht von einer fahrlässigen Verkürzung der Aussage Jägers. Dieser dementierte den Bericht der NZZaS und hielt fest an seiner ursprünglich gemachten Aussage. Diese lautet:"Die Idee, dass sich alle romanischsprachigen Gemeinden freiwillig für Rumantsch Grischun als Unterrichtssprache an den Schulen entscheiden, ist gescheitert." Es könne keine Rede davon sein, die rätoromanische Schriftsprache wieder aus den Schulzimmern zu verbannen, stellt der Bündner Bildungschef Martin Jäger klar.

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