26. Oktober 2011

Rumantsch Grischun gescheitert?

Viertklässler sprechen offenbar besser Romanisch, wenn sie in ihrem regionalen Idiom unterrichtet werden und nicht in der Einheitssprache Rumantsch Grischun. Dies zeigt eine Studie. Erziehungschef Martin Jäger meint: "Die Idee, dass sich alle Gemeinden freiwillig für das Rumantsch Grischun entscheiden, ist gescheitert."
In Rumantsch Grischun spricht sichs schwerer, Regionaljournal DRS, 26.10.

1 Kommentar:

  1. Jörg Krummenacher schreibt in der NZZ vom 27.10.

    Seit vier Jahren wird in den Primarschulen der vorwiegend rätoromanischen Bündner Gemeinden teils in der Amtssprache Rumantsch Grischun, teils in einem der fünf romanischen Idiome unterrichtet. Während mehrerer Jahre war die Stossrichtung klar: Die 1982 geschaffene Einheitssprache sollte sich allmählich als Alphabetisierungs- und Schriftsprache durchsetzen und dem gefährdeten Rätoromanischen mehr Kraft verleihen. Entsprechend entschied das Bündner Kantonsparlament 2003, rätoromanische Lehrmittel nurmehr in Rumantsch Grischun herauszugeben.


    Besser fürs Sprechen

    Allein: Der Kanton kann zwar über die Lehrmittel entscheiden, die Kompetenz bei der Wahl der Unterrichtssprache liegt aber bei den Gemeinden. Das führte dazu, dass bis heute erst etwa die Hälfte der rätoromanischen Schulen das Rumantsch Grischun eingeführt haben. Die anderen Schulen blieben beim lokalen Schriftidiom - mit alten oder selbst zusammengestellten Lehrmitteln.

    Diese Ausgangslage ermöglichte es der Universität Freiburg im Auftrag des Kantons Graubünden, die Auswirkungen der gewählten Unterrichtssprache auf die Sprachkompetenzen zu evaluieren. Die nun vorgestellte Studie ist zwar erst ein Zwischenergebnis mit limitierter Aussagekraft. Dennoch lässt sich als zentrale Aussage herausfiltern, dass bei der Lese- und Schreibkompetenz keine signifikanten Unterschiede zwischen dem Unterricht in Rumantsch Grischun und dem in einem Idiom feststellbar sind. Die einzig «richtige» rätoromanische Unterrichtssprache gibt es also nicht. Die beiden Varianten sind gleichwertig - mit einer Ausnahme: Bei der mündlichen Sprachkompetenz schnitten die Kinder der Idiomklassen besser ab. Beim Rumantsch Grischun fiel explizit bei Kindern aus romanischsprachigen Familien auf, «dass sich ihr muttersprachliches Potenzial vor allem in der Mündlichkeit weniger entfaltet als in Idiomklassen». Die Interpretation dieser Ergebnisse, erklärten die beiden Verfasser Raphael Berthele und Bernhard Lindt-Bangerter, sei nun Sache der Politik.


    Rückkehr zu den Idiomen

    Die Veröffentlichung der Studie fällt denn auch mitten in die Zeit der politischen Meinungsbildung. Voraussichtlich Anfang Dezember wird das Bündner Kantonsparlament entscheiden, ob es auf seinen Beschluss von 2003 zurückkommen und die obligatorischen Lehrmittel, namentlich in der Schulsprache und in Mathematik, wieder in den Idiomen herausgeben lassen soll. Die Regierung hat in ihrer Vorlage zum Schulgesetz entsprechend vorgespurt - nicht zuletzt eine Folge des Wechsels an der Spitze des zuständigen Departements, wo Martin Jäger (sp.) Anfang 2011 seinen in der Sprachenfrage wenig kompromissbereiten Parteikollegen Claudio Lardi abgelöst hat.

    Auch in mehreren Gemeinden, die das Rumantsch Grischun als Schulsprache eingeführt hatten, ist heute eine Bewegung zurück zu den Idiomen spürbar. Im Münstertal werden die Stimmberechtigten im nächsten Frühjahr über eine entsprechende Initiative zu entscheiden haben. Bereits für eine Rückkehr ausgesprochen haben sich soeben die Gemeindeversammlungen in Castrisch, Sevgein und Riein in der unteren Surselva. Die Tendenz ist eindeutig: Die Idiome werden vermehrt wieder Unterrichtssprache werden. Anderseits hat Martin Jäger angekündigt, im Lehrplan 21 die verlangten Grundkompetenzen in Rumantsch Grischun festzuschreiben, denn dieses werde so oder so die romanische Amtssprache bleiben.

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