9. August 2011

Leserbrief zur Sprachenpolitik

Den folgenden Leserbrief zur schweizerischen Sprachenpolitik gebe ich leicht gekürzt wieder.
Dass es sich beim Rätoromanischen und beim Alemannischen (dazu gehören das Elsässische und alle Deutschschweizer Sprachen) um Sprachen handelt, die schlicht ernst zu nehmen sind, sollte allgemein gewürdigt werden. Das hat überhaupt nichts mit Heimattümelei zu tun und ist keinesfalls altmodisch. Vielfalt ist ein Merkmal der Schweiz. Dass die sprachliche Vielfalt ein Vorteil ist, ist den meisten Bildungspolitikern immer noch nicht klar. Wenn ich ein 1.-August-Abzeichen kaufen muss, um den Klassenaustausch über die Sprachgrenzen hinweg zu fördern, kann ich nur den Kopf schütteln. Weshalb beschäftigen sich Bildungsbeamte lieber mit dem Ersatz regionaler Sprachen durch flächendeckende Standardsprachen als mit einer so auf der Hand liegenden Massnahme? Weshalb ist sie nicht schon längst institutionalisiert? Weshalb muss eine private Organisation dafür Geld aufbringen? Und weshalb sollen Zugewanderte vor regionalen Sprachen geschützt bzw. davon ausgeschlossen werden?
In Graubünden sind alle romanisch Sprechenden mindestens zweisprachig und ausserordentlich gewandt im weiteren Spracherwerb. Wenn Rumantsch Grischun als vorwiegend schriftliche Kanzleisprache benutzt wird, könnte das sinnvoll sein. Flächendeckende Standardisierung der romanischen Sprachen ist aber abzulehnen, weil es die einzelnen Sprachen zu Familiensprachen degradiert. Deutsch wurde zwar von Luther standardisiert. Es hat aber Jahrhunderte gedauert, bis sich daraus eine Art allgemein praktikabler Standardisierung ergab. Ein interessierter Beobachter kann die Weiterentwicklung überall erkennen. Ein kleines Beispiel: Die NZZ schreibt plötzlich «Aschewolke», während «Aschenbecher» bleibt. Das Fugen-n wäre richtig, aber der Norden weiss es vielleicht besser als der Süden? Man sollte langsam erkennen, dass Standardisierung Grenzen hat. Schliesslich ist Einfalt das Gegenteil von Vielfalt.
Liselotte Reber-Liebrich in der NZZ, 9.8.

2 Kommentare:

  1. "aber der Norden weiss es vielleicht besser als der Süden"
    Dazu nur eine kleine Bemerkung. Heisst es das Mail oder die Mail? Heisst es der Blog oder das Blog? Anhand dieser Beispiele sehen wir, wie stark wir uns sprachlich an die Moden aus Deutschland anpassen. Mehr Selbstvertrauen schadet hier nicht!

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  2. Ein weiteres Wort, das in der Schweiz Karriere macht ist "ausbüxen". Der umgangssprachliche und scherzhafte Ausdruck wird bei uns auch von Journalisten verehrt. Würdevoll verneigen sie sich vor dem Wort und wollen uns durch ihren inflationären Gebrauch offensichtlich zeigen, wie weltoffen sie sind :-) Gleichzeitig verabscheuen sie Schweizer Mundartausdrücke, weil sie denken, das töne ungebildet.

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