11. Mai 2015

Eltern nehmen Einfluss

Wenn es um die Schulkarriere ihrer Kinder geht, mischen sich Eltern heute gerne ein. Wenn es sein muss, mit Flugblättern oder Gewehrattrappen.




Die Eltern informieren sich über die Schule, Bild: Urs Jaudas

Kampfplatz Schule: Eltern setzen Lehrer unter Druck, Tages Anzeiger, 11.5. von Mirjam Fuchs


Im zürcherischen Zumikon ist ein Streit um die Schuleentbrannt. Es geht um die Unterrichtsform der örtlichen Primarschule. «Zumikon – eine Klasse für sich» heisst die professionell gestaltete Website, welche ein Elternkomitee vor zwei Monaten lancierte. Seit fünf Jahren sind die Klassen altersgemischt. Die Trägerschaft aus fast 100 Zumikern fordert, dass die Schule zu Jahrgangsklassen zurückkehrt.
Heute mischen sich Eltern ein, wenn ihnen das Schulgeschehen nicht passt. Sie greifen zum Telefon, marschieren im Lehrerzimmer auf oder organisieren sich in Komitees. Der Druck auf die Schule und auf die Lehrpersonen durch Einzelne hat schweizweit zugenommen. Gestritten wird meist um die gleichen drei Dinge: Unterrichtsformen, das Wohlbefinden der Kinder und die Noten, insbesondere wenn sie über die Versetzung in eine höhere Schulstufe wie das Gymnasium entscheiden.
Privatschule als Ausweg
In Zumikon befürchten die Eltern, dass die Kinder mit der jetzigen Schulform des altersdurchmischten Lernens (ADL) nicht optimal auf die weiterführenden Schulen vorbereitet werden. 21 Schweizer Schulen wenden das Konzept an, zu Widerstand der Eltern kam es besonders in Gemeinden mit niedrigem Steuerfuss. Auf einem Flugblatt, welches das Elternkomitee Ende Februar an alle Haushalte in Zumikon verteilte, heisst es: «Wir glauben an das Recht auf eine erstklassige Ausbildung.» Und: «Es soll kein Kind gezwungen sein, den Wohnort oder auf eine Privatschule zu wechseln.»
Genau das ist vor zwei Jahren passiert: Drei Schüler verliessen eine 5. Klasse und beendeten ihre Primarschulzeit in Privatschulen. Einer der Väter, Beat Schütz, sagt heute: «Der Wechsel war eine riesige Erleichterung. Unser Sohn ging wieder mit Spass zur Schule, wir mussten nicht Angst haben, dass er gemobbt wird.» Schütz war Anfang des letzten Jahres Mitgründer des Elternkomitees, das seither ein strenges Auge auf die Schule wirft.
Das passt nicht allen im Dorf. Vor kurzem verteilte eine andere Elterngruppe ein Flugblatt, auf dem sie dem Komitee «Panikmache» vorwirft und eine sachliche Debatte fordert. Der Rückhalt des Komitees in der fast 5000-köpfigen Gemeinde scheint aber gross: Letzten Sommer sammelte die Gruppe über 1000 Unterschriften und überreichte die Petition der Schulpflege und dem Gemeinderat. «Die Schule geht nicht auf unsere Anregungen ein», sagt Schütz. Schulpräsident Andreas Hugi (FDP) widerspricht. Die Schule habe mehrere Gespräche mit dem Komitee geführt, sich aber entschieden, an der Unterrichtsform festzuhalten. Seit wenigen Tagen ist ein neuer Schulleiter im Amt.
Angst vor sozialem Abstieg
Diskussionen über schlechte Noten sind ein Konfliktklassiker. Doch während sich vor fast 40 Jahren noch das Kind dafür rechtfertigen musste, sind es heute die Lehrpersonen. So jedenfalls zeigt es ein Cartoon, der beim Schulpsychologen Matthias Obrist an der Wand hängt: Links (1969) fordern die Eltern vom zusammengesunkenen Kind eine Erklärung für die schlechten Noten, rechts (heute) von der zitternden Lehrerin. «See the problem?» steht gross darunter. Obrist arbeitet seit 18 Jahren für den Schulpsychologischen Dienst Horgen und sagt: «Eltern treten heute der Schule gegenüber auf wie Konsumenten, es wird mehr verhandelt.» Das habe auch gute Seiten: «Die Schule war es lange gewohnt, autonom zu handeln, jetzt muss sie die Eltern ernst nehmen».
Das kann bedeuten, dass Lehrpersonen ihre Notengebung rechtfertigen müssen. Insbesondere wenn es um die Gymi-Karriere der Kinder geht. Eltern hinterfragen Vornoten der Primarlehrer und Probezeitnoten der Gymnasiasten. Gabrielle von Büren, langjährige Direktorin der Kantonsschule Alpenquai in Luzern, sagte zu Radio SRF: «Es ist vielen Eltern wichtig, dass ihre Kinder die Matura machen; deshalb wird auch eher ein Rekurs gegen einen unliebsamen Entscheid eingereicht.»
Woher kommt die Idee, dass alle Kinder ans Gymnasium sollten? «Wir leben in wirtschaftlich unsicheren Zeiten, die Eltern aus der Mittelschicht möchten sicherstellen, dass ihre Kinder sozial nicht absteigen», erklärt Jürg Brühlmann vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH). Und fügt an, dass bei den rund 30 Prozent Kindern mit Migrationshintergrund eher die Unkenntnis des Schweizer Schul- und Bildungssystems für Konflikte sorgt als die Noten.
Mutter mit Gewehrattrappe
Im November sorgte in Hinterkappelen bei Bern eine aufgebrachte Mutter für Schlagzeilen. Sie begleitete ihre Kinder mit einer selbst gebastelten Gewehrattrappe zur Primarschule. Der Grund: Ihr 9-jähriger Sohn wurde seit Jahren gemobbt. Obwohl sie bei der Schulleitung intervenierte, sei nichts passiert. «Ich hoffe, dass das Thema Mobbing endlich in den Lehrplan integriert wird», sagte sie damals zum «Blick». Für Jürg Brühlmann steht der Vorfall für die Ohnmacht vieler Eltern, wenn es um die Sicherheit ihrer Kinder geht. «Die Lösung ist ein guter Kontakt zwischen Eltern und der Schule.» Eltern sollten frühzeitig Kontakt aufnehmen und nicht nur vorwurfsvoll auftreten. «Vertrauen kann man nur aufbauen, wenn man im Gespräch ist.» Eine Hilfe dabei sind Elternräte, die in vielen Kantonen bereits eingeführt sind.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen