Die Eltern informieren sich über die Schule, Bild: Urs Jaudas
Kampfplatz Schule: Eltern setzen Lehrer unter Druck, Tages Anzeiger, 11.5. von Mirjam Fuchs
Im zürcherischen Zumikon
ist ein Streit um die Schuleentbrannt.
Es geht um die Unterrichtsform der örtlichen Primarschule. «Zumikon – eine
Klasse für sich» heisst die professionell gestaltete Website, welche ein
Elternkomitee vor zwei Monaten lancierte. Seit fünf Jahren sind die Klassen
altersgemischt. Die Trägerschaft aus fast 100 Zumikern fordert, dass die Schule
zu Jahrgangsklassen zurückkehrt.
Heute mischen sich
Eltern ein, wenn ihnen das Schulgeschehen nicht passt. Sie greifen zum Telefon,
marschieren im Lehrerzimmer auf oder organisieren sich in Komitees. Der Druck
auf die Schule und auf die Lehrpersonen durch Einzelne hat schweizweit
zugenommen. Gestritten wird meist um die gleichen drei Dinge:
Unterrichtsformen, das Wohlbefinden der Kinder und die Noten, insbesondere wenn
sie über die Versetzung in eine höhere Schulstufe wie das Gymnasium
entscheiden.
Privatschule als Ausweg
In Zumikon befürchten
die Eltern, dass die Kinder mit der jetzigen Schulform des altersdurchmischten
Lernens (ADL) nicht optimal auf die weiterführenden Schulen vorbereitet werden.
21 Schweizer Schulen wenden das Konzept an, zu Widerstand der Eltern kam es
besonders in Gemeinden mit niedrigem Steuerfuss. Auf einem Flugblatt, welches
das Elternkomitee Ende Februar an alle Haushalte in Zumikon verteilte, heisst
es: «Wir glauben an das Recht auf eine erstklassige Ausbildung.» Und: «Es soll
kein Kind gezwungen sein, den Wohnort oder auf eine Privatschule zu wechseln.»
Genau das ist vor zwei
Jahren passiert: Drei Schüler verliessen eine 5. Klasse und beendeten ihre
Primarschulzeit in Privatschulen. Einer der Väter, Beat Schütz, sagt heute:
«Der Wechsel war eine riesige Erleichterung. Unser Sohn ging wieder mit Spass
zur Schule, wir mussten nicht Angst haben, dass er gemobbt wird.» Schütz war
Anfang des letzten Jahres Mitgründer des Elternkomitees, das seither ein
strenges Auge auf die Schule wirft.
Das passt nicht allen im
Dorf. Vor kurzem verteilte eine andere Elterngruppe ein Flugblatt, auf dem sie
dem Komitee «Panikmache» vorwirft und eine sachliche Debatte fordert. Der
Rückhalt des Komitees in der fast 5000-köpfigen Gemeinde scheint aber gross:
Letzten Sommer sammelte die Gruppe über 1000 Unterschriften und
überreichte die Petition der Schulpflege und dem Gemeinderat. «Die Schule geht
nicht auf unsere Anregungen ein», sagt Schütz. Schulpräsident Andreas Hugi
(FDP) widerspricht. Die Schule habe mehrere Gespräche mit dem Komitee geführt,
sich aber entschieden, an der Unterrichtsform festzuhalten. Seit wenigen Tagen
ist ein neuer Schulleiter im Amt.
Angst vor sozialem
Abstieg
Diskussionen über
schlechte Noten sind ein Konfliktklassiker. Doch während sich vor fast 40
Jahren noch das Kind dafür rechtfertigen musste, sind es heute die
Lehrpersonen. So jedenfalls zeigt es ein Cartoon, der beim Schulpsychologen
Matthias Obrist an der Wand hängt: Links (1969) fordern die Eltern vom
zusammengesunkenen Kind eine Erklärung für die schlechten Noten, rechts (heute)
von der zitternden Lehrerin. «See the problem?» steht gross darunter. Obrist
arbeitet seit 18 Jahren für den Schulpsychologischen Dienst Horgen und sagt:
«Eltern treten heute der Schule gegenüber auf wie Konsumenten, es wird mehr
verhandelt.» Das habe auch gute Seiten: «Die Schule war es lange gewohnt, autonom
zu handeln, jetzt muss sie die Eltern ernst nehmen».
Das kann bedeuten, dass
Lehrpersonen ihre Notengebung rechtfertigen müssen. Insbesondere wenn es um die
Gymi-Karriere der Kinder geht. Eltern hinterfragen Vornoten der Primarlehrer
und Probezeitnoten der Gymnasiasten. Gabrielle von Büren, langjährige
Direktorin der Kantonsschule Alpenquai in Luzern, sagte zu Radio SRF: «Es ist
vielen Eltern wichtig, dass ihre Kinder die Matura machen; deshalb wird auch
eher ein Rekurs gegen einen unliebsamen Entscheid eingereicht.»
Woher kommt die Idee,
dass alle Kinder ans Gymnasium sollten? «Wir leben in wirtschaftlich unsicheren
Zeiten, die Eltern aus der Mittelschicht möchten sicherstellen, dass ihre
Kinder sozial nicht absteigen», erklärt Jürg Brühlmann vom Dachverband
Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH). Und fügt an, dass bei den rund 30 Prozent
Kindern mit Migrationshintergrund eher die Unkenntnis des Schweizer Schul- und
Bildungssystems für Konflikte sorgt als die Noten.
Mutter mit
Gewehrattrappe
Im November sorgte in
Hinterkappelen bei Bern eine aufgebrachte Mutter für Schlagzeilen. Sie
begleitete ihre Kinder mit einer selbst gebastelten Gewehrattrappe zur
Primarschule. Der Grund: Ihr 9-jähriger Sohn wurde seit Jahren gemobbt. Obwohl
sie bei der Schulleitung intervenierte, sei nichts passiert. «Ich hoffe, dass
das Thema Mobbing endlich in den Lehrplan integriert wird», sagte sie damals
zum «Blick». Für Jürg Brühlmann steht der Vorfall für die Ohnmacht vieler
Eltern, wenn es um die Sicherheit ihrer Kinder geht. «Die Lösung ist ein guter
Kontakt zwischen Eltern und der Schule.» Eltern sollten frühzeitig Kontakt
aufnehmen und nicht nur vorwurfsvoll auftreten. «Vertrauen kann man nur
aufbauen, wenn man im Gespräch ist.» Eine Hilfe dabei sind Elternräte, die in
vielen Kantonen bereits eingeführt sind.
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