Rudolf Wachter ist Professor für historisch-vergleichende Sprachwissenschaft in Basel und Lausanne.
Schaffen wir die Frühfremdsprachen doch einfach wieder ab, NZZaS, 20.4. von Rudolf Wacher
Bundesrat Alain Berset versucht, mit der
Bundeskeule das Frühfranzösisch in der Deutschschweiz zu retten. Es gibt
bessere Argumente. Beginnen wir mit den beiden Hauptforderungen zum Englischen.
Erstens: Englisch muss heute jeder und jede lernen. - Stimmt! Aber die
Wirtschaft braucht die jungen Leute für den Arbeitsmarkt erst, wenn sie knapp
sechzehn sind, kann sich also getrost aus der Diskussion heraushalten, wann in
der Schule welche Sprache gelernt wird, solange die Resultate am Ende der
obligatorischen Schulzeit gut sind. Zweite Forderung: Die Englischkenntnisse
müssen nicht nur gut, sondern besser sein. - Stimmt auch! Aber es ist nicht
erwiesen, dass sie besser werden, wenn mit dem Unterricht möglichst früh
begonnen wird. Dies wäre nur gewährleistet, wenn ein Immersionseffekt erreicht
werden könnte, das heisst ein wirkliches Eintauchen der Kinder in das Leben in
der Fremdsprache. Nur da trifft es zu, dass kleinere Kinder schneller lernen
als grössere. Dafür ist aber die vorgesehene Stundendotation in jedem Fall
ungenügend. Im Gegenteil, es ist erwiesen, dass fünf Wochenstunden in der
Oberstufe bessere Resultate bringen als zwei Stunden über acht Jahre hinweg,
weil bei grösseren Kindern der Erklärungseffekt und der Rückgriff auf bereits
erworbene Sprachkompetenz in anderen Sprachen, speziell in der Erstsprache,
fruchtbar gemacht werden kann. Frühenglisch (und Frühfranzösisch) sind somit
eine Alibiübung und reine Zeitverschwendung. Viel wichtiger ist, dass unsere
Kinder zuerst die schriftliche Form ihrer Erstsprache gut lernen.
Ja, warum tendieren dann
immer mehr Deutschschweizer Kantone zu Frühenglisch statt Frühfranzösisch? Die
Antwort hört keiner gern, ich gebe sie trotzdem: Das Englische ist bei uns viel
beliebter als das Französische. Dies hat jedoch keinerlei weltwirtschaftliche
Gründe, die sind nur vorgeschoben, sondern liegt vor allem daran, dass Englisch
für Deutschsprachige viel leichter zu lernen ist als Französisch. Zudem gilt es
als cooler, und es genügt jenes jämmerliche Sprachniveau, das heute weltweit
genügt, um nicht gleich negativ aufzufallen.
Ich stelle fest:
Frühenglisch gründet auf falschen didaktischen Prämissen und unserer
Bequemlichkeit. Ja, Sie hören recht: Wir Schweizer, die vielbewunderten
Sprachprofis mit vier Landessprachen und zahllosen Dialekten auf engstem Raum
(«All Swiss speak four languages, don't they?»), sind ganz einfach zu faul zum
Sprachenlernen. Und ich rede nicht von den Kindern, die sind interessiert und
lernbegierig, sondern von den Erwachsenen, ihren Vorbildern.
Wenn wir
Deutschschweizer die Sprachen unserer Landsleute verleugnen und das Englische
als einzige weltweite Kommunikationssprache akzeptieren, passt das zu unserer
unterwürfigen Haltung gegenüber Washington und Brüssel. Was wetten wir, dass
nicht nur die Vorwürfe der USA an die Schweiz in den letzten Jahren
ausschliesslich auf Englisch erhoben worden sind und der Bundesrat sich selber
bemühen musste, sie zu verstehen, sondern dass er danach auch brav auf Englisch
antwortete? Ist Englisch eine Amtssprache der Schweiz? Warum schreibt der
Bundesrat nicht auf Deutsch oder Französisch oder Italienisch zurück? Die
Gesichter auf der anderen Seite des Atlantiks möchte ich sehen!
Wenn wir uns aber
bemühen, unsere Landessprachen zu pflegen, machen wir uns treue Freunde nicht
nur in unserem eigenen Land, sondern auch in Deutschland, Österreich,
Frankreich und Italien, die alle ebenfalls mit Sorge auf die Erosion ihrer
Sprachen auf dem internationalen Parkett und in der Wissenschaft blicken. Wir
sind Europäer! Und ich garantiere Ihnen, liebe Deutschschweizer, Sie sind im
Welschland und im Tessin viel willkommener, wenn Sie ein Französisch oder
Italienisch sprechen, dem man Ihre ehrliche Bemühung anmerkt, als wenn Sie Ihre
dortigen Landsleute in Basic English anreden. Englisch ist dort ziemlich
unbeliebt, und besonders aus dem Munde von Deutschschweizern, nicht zuletzt
weil wir es oft etwas besser können, da es für uns eben leichter ist.
Mein Fazit im Streit um
den Fremdsprachenunterricht an der Volksschule lautet so: Schaffen wir erstens
die Frühfremdsprache wieder ab! Wir wissen jetzt aus Erfahrung, dass dies
nichts bringt, und müssen nur noch das bisschen Mut aufbringen, uns dies
einzugestehen und zu handeln. Zweitens: Die Kantone sollen sich - schweizweit -
endlich zusammenraufen und die einzige wirklich konsensfähige Entscheidung
fällen: Ab der 4. oder 5. Klasse entweder alle eine zweite Landessprache oder
alle Englisch (ich empfehle die Landessprache), ab der 7. Klasse intensiv das
andere. Nur das Tessin und das Bündnerland müssen sich noch etwas Zusätzliches
einfallen lassen, aber das war schon immer so. Wie schön, dass es bei uns auch
das Italienische und die vielen rätoromanischen Dialekte gibt.
Die zentralistische Bundeskeule gegen unseren Föderalismus wird nicht nur in der Bildung sondern auch im Gesundheitswesen usw. geschwungen. Die EU-Turbos (Bundesrat, Diplomaten, Medien) wollen alle unsere Erfolgsfaktoren (Unabhängigkeit, Direkte Demokratie, Neutralität) und alles was uns positiv von der EU unterscheidet zunichte machen, damit der EU-Anschluss leichter gelingt. Die überwiegende Mehrheit des Volkes will das nicht. Bei allen Verfassungs- und Gesetzesänderungen muss deshalb darauf geachtet werden, dass dem Bund nur die allernotwendigsten Kompetenzen übertragen werden, wenn überhaupt.
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