20. April 2014

Schaffen wir die Frühfremdsprachen doch einfach wieder ab

Die Schweiz streitet darüber, wann und welche Fremdsprachen in der Schule gelernt werden sollen. Das Hauptproblem wird indessen selten genannt, denn es ist peinlich, schreibt Rudolf Wachter.


Rudolf Wachter ist Professor für historisch-vergleichende Sprachwissenschaft in Basel und Lausanne. 

Schaffen wir die Frühfremdsprachen doch einfach wieder ab, NZZaS, 20.4. von Rudolf Wacher


Bundesrat Alain Berset versucht, mit der Bundeskeule das Frühfranzösisch in der Deutschschweiz zu retten. Es gibt bessere Argumente. Beginnen wir mit den beiden Hauptforderungen zum Englischen. Erstens: Englisch muss heute jeder und jede lernen. - Stimmt! Aber die Wirtschaft braucht die jungen Leute für den Arbeitsmarkt erst, wenn sie knapp sechzehn sind, kann sich also getrost aus der Diskussion heraushalten, wann in der Schule welche Sprache gelernt wird, solange die Resultate am Ende der obligatorischen Schulzeit gut sind. Zweite Forderung: Die Englischkenntnisse müssen nicht nur gut, sondern besser sein. - Stimmt auch! Aber es ist nicht erwiesen, dass sie besser werden, wenn mit dem Unterricht möglichst früh begonnen wird. Dies wäre nur gewährleistet, wenn ein Immersionseffekt erreicht werden könnte, das heisst ein wirkliches Eintauchen der Kinder in das Leben in der Fremdsprache. Nur da trifft es zu, dass kleinere Kinder schneller lernen als grössere. Dafür ist aber die vorgesehene Stundendotation in jedem Fall ungenügend. Im Gegenteil, es ist erwiesen, dass fünf Wochenstunden in der Oberstufe bessere Resultate bringen als zwei Stunden über acht Jahre hinweg, weil bei grösseren Kindern der Erklärungseffekt und der Rückgriff auf bereits erworbene Sprachkompetenz in anderen Sprachen, speziell in der Erstsprache, fruchtbar gemacht werden kann. Frühenglisch (und Frühfranzösisch) sind somit eine Alibiübung und reine Zeitverschwendung. Viel wichtiger ist, dass unsere Kinder zuerst die schriftliche Form ihrer Erstsprache gut lernen.
Ja, warum tendieren dann immer mehr Deutschschweizer Kantone zu Frühenglisch statt Frühfranzösisch? Die Antwort hört keiner gern, ich gebe sie trotzdem: Das Englische ist bei uns viel beliebter als das Französische. Dies hat jedoch keinerlei weltwirtschaftliche Gründe, die sind nur vorgeschoben, sondern liegt vor allem daran, dass Englisch für Deutschsprachige viel leichter zu lernen ist als Französisch. Zudem gilt es als cooler, und es genügt jenes jämmerliche Sprachniveau, das heute weltweit genügt, um nicht gleich negativ aufzufallen.
Ich stelle fest: Frühenglisch gründet auf falschen didaktischen Prämissen und unserer Bequemlichkeit. Ja, Sie hören recht: Wir Schweizer, die vielbewunderten Sprachprofis mit vier Landessprachen und zahllosen Dialekten auf engstem Raum («All Swiss speak four languages, don't they?»), sind ganz einfach zu faul zum Sprachenlernen. Und ich rede nicht von den Kindern, die sind interessiert und lernbegierig, sondern von den Erwachsenen, ihren Vorbildern.
Wenn wir Deutschschweizer die Sprachen unserer Landsleute verleugnen und das Englische als einzige weltweite Kommunikationssprache akzeptieren, passt das zu unserer unterwürfigen Haltung gegenüber Washington und Brüssel. Was wetten wir, dass nicht nur die Vorwürfe der USA an die Schweiz in den letzten Jahren ausschliesslich auf Englisch erhoben worden sind und der Bundesrat sich selber bemühen musste, sie zu verstehen, sondern dass er danach auch brav auf Englisch antwortete? Ist Englisch eine Amtssprache der Schweiz? Warum schreibt der Bundesrat nicht auf Deutsch oder Französisch oder Italienisch zurück? Die Gesichter auf der anderen Seite des Atlantiks möchte ich sehen!
Wenn wir uns aber bemühen, unsere Landessprachen zu pflegen, machen wir uns treue Freunde nicht nur in unserem eigenen Land, sondern auch in Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien, die alle ebenfalls mit Sorge auf die Erosion ihrer Sprachen auf dem internationalen Parkett und in der Wissenschaft blicken. Wir sind Europäer! Und ich garantiere Ihnen, liebe Deutschschweizer, Sie sind im Welschland und im Tessin viel willkommener, wenn Sie ein Französisch oder Italienisch sprechen, dem man Ihre ehrliche Bemühung anmerkt, als wenn Sie Ihre dortigen Landsleute in Basic English anreden. Englisch ist dort ziemlich unbeliebt, und besonders aus dem Munde von Deutschschweizern, nicht zuletzt weil wir es oft etwas besser können, da es für uns eben leichter ist.

Mein Fazit im Streit um den Fremdsprachenunterricht an der Volksschule lautet so: Schaffen wir erstens die Frühfremdsprache wieder ab! Wir wissen jetzt aus Erfahrung, dass dies nichts bringt, und müssen nur noch das bisschen Mut aufbringen, uns dies einzugestehen und zu handeln. Zweitens: Die Kantone sollen sich - schweizweit - endlich zusammenraufen und die einzige wirklich konsensfähige Entscheidung fällen: Ab der 4. oder 5. Klasse entweder alle eine zweite Landessprache oder alle Englisch (ich empfehle die Landessprache), ab der 7. Klasse intensiv das andere. Nur das Tessin und das Bündnerland müssen sich noch etwas Zusätzliches einfallen lassen, aber das war schon immer so. Wie schön, dass es bei uns auch das Italienische und die vielen rätoromanischen Dialekte gibt.

1 Kommentar:

  1. Die zentralistische Bundeskeule gegen unseren Föderalismus wird nicht nur in der Bildung sondern auch im Gesundheitswesen usw. geschwungen. Die EU-Turbos (Bundesrat, Diplomaten, Medien) wollen alle unsere Erfolgsfaktoren (Unabhängigkeit, Direkte Demokratie, Neutralität) und alles was uns positiv von der EU unterscheidet zunichte machen, damit der EU-Anschluss leichter gelingt. Die überwiegende Mehrheit des Volkes will das nicht. Bei allen Verfassungs- und Gesetzesänderungen muss deshalb darauf geachtet werden, dass dem Bund nur die allernotwendigsten Kompetenzen übertragen werden, wenn überhaupt.

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