Der Zürcher Kinderarzt Remo Largo ist heutigen Eltern ein Begriff.
Bekannt geworden ist er mit Sachbüchern über die Entwicklung von Kindern. Dabei
hat er sich auch mit der Kindsentwicklung in den Schuljahren und dem Bildungswesen
überhaupt auseinandergesetzt.
BaZ: Herr Largo, Sie kritisieren die
Schulreformen der letzten Jahrzehnte, was läuft in der Schule schief?
Remo Largo: Es sind
Reformen «von oben». Auch gute Vorschläge werden zwischen Interessengruppen
zerrieben. Wenn man schaut, wo es zu Veränderungen gekommen ist, dann waren das
Initiativen «von unten», also von engagierten Schulen, Lehrkräften oder Eltern.
Wer Reformen will, muss das Bildungswesen öffnen, also autonome Schulen und
Schulwahl für die Eltern schaffen.
Wie
sähe das konkret aus?
Alle
Schulen würden pro Kind gleich finanziert. Die Schulen dürften kein
zusätzliches Geld annehmen, damit sie nicht elitär werden. Und dann bräuchte es
eine Quote für Schüler mit besonderen Bedürfnissen, damit diese integriert
werden.
Was
würde das für Lehrer und Eltern bedeuten?
Zuerst:
Wer die öffentliche Schule so will, wie sie besteht, macht so weiter. Die
staatlichen Rahmenbedingungen blieben bestehen. Ich schätze, dass 10 bis
20 Prozent der Lehrer autonome Schulen eröffnen würden. In autonomen Schulen
müssen die Lehrer auf die Bedürfnisse von Kind und Eltern eingehen. In der
öffentlichen Schule können sie sie in hohem Masse ignorieren. Grundlegend
verändern wird sich der Unterricht. Viele Lehrer haben sehr gute pädagogische
Konzepte, die sie in der öffentlichen Schule nicht umsetzen können.
Was
bedeutet die Schulwahl für das Kind?
Etwas
überspitzt gesagt: Kinder gehen gerne in eine Schule, die kindgerecht ist. Was
man heute nicht unbedingt sagen kann. Das Kind fühlt sich wohl, weil es ernst
genommen wird, seinem Entwicklungsstand entsprechend lernen kann und damit
Erfolg hat.
Warum
wurde die Idee bei Abstimmungen so deutlich abgelehnt?
Eine
Schule, für alle gleich und obligatorisch, war eine wichtige Errungenschaft des
19. Jahrhunderts. Das Bildungsmonopol der öffentlichen Schule ist jedoch nicht
mehr zeitgemäss. Es gibt einen grossen Frust bei Eltern und Lehrern, die eine
kindgerechte Schule wollen. Nur eine Liberalisierung kann zu einer
zukunftsgerichteten Erneuerung des Bildungssystems führen.
Quelle: Basler Zeitung, 23.7. von Dominik Feusi
"In autonomen Schulen müssen die Lehrer auf die Bedürfnisse von Kind und Eltern eingehen. In der öffentlichen Schule können sie sie in hohem Masse ignorieren." - Meint das Remo Largo im Ernst oder provoziert er hier einfach?
AntwortenLöschenLargo bringt die genau gleichen Argumente wie die Befürworter der "Freien" Schule, die an der Urne vom Volk schon mehrmals deutlich abgelehnt wurden, weil sie mit unserer direkten Demokratie nicht kompatibel ist. "Nicht zeitgemäss", "nicht kindgerecht", "aus dem 19. Jahrhundert" sind die nichtsagendsten und dümmsten Argumente, die es gibt. Er ist selber kein Pädagoge und wird hier vermutlich vorgeschickt. Die Liberalisierung geht in Richtung Kommerzialisierung und Globalisierung, wie das von der Schweiz unterzeichnete GATS-Abkommen. Wie auf die (welche?) Bedürfnisse und den Entwicklungsstand des Kindes eingegangen wird, hängt von der Persönlichkeit des Lehrers und nicht der Schulform ab. Auch Privatschulen müssen die verfassungsmässigen Bildungsziele und die offiziellen Lehrpläne erfüllen.
AntwortenLöschen"Die Liberalisierung geht in Richtung Kommerzialisierung und Globalisierung". - Ich bin davon ausgegangen, dass die Liberalisierung in erster Linie eine strukturelle sein würde. Mehr Konkurrenz erhöht die Qualität - aber ist das schon eine Kommerzialisierung? Was ich nicht glaube ist, dass 10-20 Prozent der Lehrer in eine "autonome" Schule wechseln würde. Ich bin aber mit Largo einig, dass es Reformen "von oben" grundsätzlich schwer haben.
AntwortenLöschenIn den USA wurde mit den "Freien" Schulen experimentiert, sie heissen dort Charter Schools und gehen auf eine neoliberale ökonomische Idee von Milton Friedman zurück. Resultat: Freie Schulen verstärken die Segregation und führen zu einer Zweiklassengesellschaft, weil bildungsferne Eltern nicht so geübt sind, um für ihre Kinder einen der beschränkten Plätze an den "guten" Schulen zu ergattern. Steuergelder für Bildungsgutscheine werden bei den Regelschulen eingespart, womit deren Schülerzahl erhöht wird. Wettbewerbe ohne Markt (wie in der Schule) funktionieren nicht, können also die Qualität nicht erhöhen, weil der Preismechanismus fehlt. Künstliche Wettbewerbe (ohne Markt) funktionieren nicht, sonst hätte die kommunistische Planwirtschaft erfolgreich sein müssen. Siehe dazu: Mathias Binswanger: Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren.
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