6. März 2021

Bundesgericht enttäuscht Privatschulen

Zürcher Primarschüler, die nach der sechsten Klasse ans Langgymnasium wollen, dürfen sich Erfahrungsnoten in Deutsch und Mathematik anrechnen lassen. Der entsprechende Notenschnitt zählt ebenso viel wie jener der Aufnahmeprüfung in diesen Fächern. Salopp gesagt, sind die Vornoten für eine Aufnahme also schon die halbe Miete. Nicht so für Privatschülerinnen und Privatschüler. Weil Privatschulen nur begrenzt unter qualitativer staatlicher Kontrolle stehen und einige Freiheiten bei der Stundenplangestaltung haben, erachtet man die Noten als nicht vergleichbar mit jenen der öffentlichen Schulen. Bei Privatschülern zählt deshalb nur das Prüfungsergebnis. Dafür kommt man ihnen beim erforderlichen Notensoll entgegen: Sie brauchen bloss ein Mittel von 4,0 statt 4,5.

Privatschüler sind bei der Gymi-Prüfung nicht benachteiligt - oder doch? NZZ, 6.3. von Lena Schenkel

Das klingt fair, aber ist es das auch bei näherer Betrachtung? Mit dieser Frage befassten sich in den letzten Jahren auch die Gerichte. Eltern und Schulen hatten sich mehrfach beschwert, Privatschüler seien benachteiligt. Man gehe gewissermassen davon aus, dass sie eine Vornote von maximal 5 hätten. Damit seien sie gegenüber jenen Kandidaten aus den öffentlichen Schulen benachteiligt, die sich eine Vornote über 5 anrechnen lassen dürften – und an der Prüfung keine genügende Note erzielen müssten.


Eine harte Benotung kann eine zusätzliche Hürde sein

Kommt hinzu: Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Gymnasien die Schülerzahlen über die Benotung der Prüfung steuern, um eine politisch gewollte Quote zu halten. Der Bewertungsmassstab wird so angepasst, dass die gewünschte Zahl an Prüflingen besteht. Das bedeutet: je höher die Erfahrungsnoten der Kandidaten öffentlicher Schulen, desto strenger die Beurteilung. Das wiederum mache es für Privatschüler noch schwerer, eine genügende Prüfungsleistung zu erzielen, wird moniert.

Das Zürcher Verwaltungsgericht hat die Beschwerden bisher immer abgewiesen oder ist nicht auf den beanstandeten Punkt der Benachteiligung eingetreten. Zwar hätten die meisten Schüler der öffentlichen Schulen tatsächlich einen Vornotenschnitt von über 5. Es sei aber zu bedenken, dass die Kandidaten öffentlicher Schulen einer starken Vorselektion unterlägen, lautete der Tenor der Urteile: Sie müssten sich an den Vorschulen stärker behaupten als Privatschüler, um zu guten Vornoten zu gelangen. Ohne diese meldeten sich die meisten gar nicht erst zur Prüfung an.


Zudem treffe eine allfällig strengere Bewertung alle Kandidaten gleichermassen. Privatschüler könnten unter Umständen sogar davon profitieren. Dann nämlich, wenn die Erfahrungsnoten der Kandidatinnen und Kandidaten aus öffentlichen Schulen eher tief seien. Insgesamt liege keine Ungleichbehandlung von Privatschülerinnen und -schülern vor.


Kinder der öffentlichen Schulen haben sehr hohe Vornoten

Eine Minderheit des Gerichts sah dies anders. Es könne, vereinfacht gesagt, nicht sein, dass Privatschüler – im Gegensatz zu Kandidaten aus öffentlichen Schulen mit Erfahrungsnoten ab 5,25 – immer eine genügende Prüfungsleistung brauchten. Dies sei umso bedenklicher, als der effektive durchschnittliche Vornotenwert über 5,25 liege.


Diesen Punkt hatte auch das Bundesgericht angesprochen, als es sich 2019 mit einem der Fälle befasste. Es lehnte die Beschwerde zwar ab, hielt aber fest, dass dann eine Ungleichbehandlung vorläge, wenn der Durchschnitt der Erfahrungsnoten dauerhaft und wesentlich über oder unterhalb der Note 5 läge. In diesem Fall müsste der Zürcher Regierungsrat eine Änderung des Aufnahmereglements prüfen.


Wie ein Blick in die Statistik zeigt, trifft genau das zu: Zwischen 2009 und 2019 lagen die Erfahrungsnoten im Mittel bei 5,29. Ab 2016 betrugen die Jahreswerte über 5,3, jüngst sogar 5,365. Auch deshalb wagten der Verband der Zürcher Privatschulen und die Eltern eines Betroffenen nochmals einen Anlauf. Sie klagten bis vor Bundesgericht gegen die 2019 vom Regierungsrat erlassene neue Prüfungsverordnung.


Diese sieht vor, Privatschüler bezüglich Vornoten weiterhin anders zu beurteilen als Kandidaten aus öffentlichen Schulen – was neu auch für Prüflinge der Sekundarstufe gilt. Während sich diese eine Vornote aus fünf Fächern anrechnen lassen dürfen, zählt für Privatschüler einzig ihre schriftliche Leistung in Deutsch und Mathematik am Prüfungstag.


Das Bundesgericht hat seine Argumentation angepasst

Das Bundesgericht hat die Beschwerde trotz dieser Faktenlage abgewiesen. Es änderte in gewisser Hinsicht seine bisherige Argumentation, der Vorinstanz folgend: Nicht das langjährige Mittel der Erfahrungsnoten sei entscheidend, sondern die Prüfungsdurchschnitte der Zugelassenen je nach Schülerkategorie. Eine Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern mit oder ohne Erfahrungsnote sei allenfalls dann gegeben, wenn sich diese Kategorien wesentlich voneinander unterschieden.


Ob dies der Fall ist, bleibt vorerst unklar. Das Zürcher Mittelschul- und Berufsbildungsamt gibt auf Anfrage bekannt, dass es keine systematischen Erhebungen zu den Privatschülern an der Aufnahmeprüfung mache. Der Verband der Zürcher Privatschulen zeigt sich auf Anfrage «sehr enttäuscht» vom Entscheid. Er will die Faktenlage prüfen und die entsprechenden Daten erheben. Zudem werde er sich überlegen, wie er weiter gegen die aus seiner Sicht «mehrstufige Ungleichbehandlung» vorgehen könne.

 

1 Kommentar:

  1. Sehr interessanter Bericht. Der Unterschied war mir jetzt so gar nicht klar. Doch ich denke schon, dass somit Privatschüler in gewisser Weise benachteiligt sind. Auch wenn die Privatschulen nicht kompletter Aufsicht stehen, was sie quasi ad absurdum führen würden, sollten sie bei gleichem Abschluss auch gleich behandelt werden.

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