Unsere
Staatskasse wird zurzeit mit der Rettung ganzer Wirtschaftszweige arg
strapaziert. Das wird auch die Bildung zu spüren bekommen, wenn die nächsten
Investitionen anstehen. Werden wir finanzielle Mittel primär für teure
Digitalisierungsprojekte einsetzen, oder wären nicht gezielte Anstrengungen zur
Verbesserung des Präsenzunterrichts lohnenswerter?
Schule braucht keine Digitalisierung um jeden Preis, Tages Anzeiger, 6.6. von Hanspeter Amstutz
Die
wesentlichen Studien zum Thema und die gemischten Erfahrungen mit dem
Fernunterricht geben dem gemeinsamen Klassenunterricht eine klar bessere Note.
Dessen Bilanz, übers Ganze gesehen, ist effizienter und schafft eine soziale
Geborgenheit, die über digitale Verbindungen nicht zu erreichen ist.
Die
meisten Lernprogramme sind weit davon entfernt, den Schülern anspruchsvolles
Neuland so zu erschliessen, dass dieses auch von Schwächeren selbstständig
betreten werden kann. Zuerst einmal müsste beim digitalen Angebot die Spreu vom
Weizen geschieden werden.
Gegen
eine Grundausstattung der Schulen mit moderner Präsentationstechnik und dem
Einsatz altersgemässer Lernsoftware ist nichts einzuwenden. Digitale
Hilfsmittel können zur Vertiefung grundsätzlich verstandener Kompetenzen viel
beitragen und mit qualitativ überzeugendem Bild- und Tonmaterial den
Präsenzunterricht bereichern. Ein stures Nein hiesse, die Chancen moderner
digitaler Möglichkeiten zu verkennen und didaktische Pioniere vor den Kopf zu
stossen.
Eine
radikale Umstellung der Schule auf einen hohen Anteil an digitalem Unterricht
wäre hingegen unverantwortlich. Neuerungen müssen von der Lehrerschaft
mitgetragen werden und einen pädagogischen Mehrwert bringen, wenn sie gelingen
sollen. Ganz heikel sind Eingriffe in die Methodenfreiheit, die bei einer
dominanten Digitalisierung mit vorgegebenen Programmen einschneidend wären. Der
Gestaltungsspielraum für die Lehrpersonen würde unattraktiv klein.
Oberstes
Ziel bleibt eine gute Schulqualität. Wer eine starke Schule will, muss alles
daransetzen, dass die Lehrerinnen und Lehrer der Vorbereitung eines lebendigen
Präsenzunterrichts erste Priorität einräumen können. Nicht das schulische
Rundherum ist die Hauptsache, sondern ein attraktiver Unterricht, der
inhaltlich überzeugt. Dabei kommt der Fachdidaktik und der schulinternen
Weiterbildung grosse Bedeutung zu.
Konkret
könnte dies heissen, dass im Bereich Natur und Technik Lehrerteams Zeit
erhalten, Versuchsreihen gemeinsam bereitzustellen. Solche
Vorbereitungsarbeiten wirken sich direkt auf die Qualität der Lektionen aus und
schaffen eine echte Aufbruchsstimmung.
Erfreuliche
Resultate stellen sich ebenso ein, wenn sich Lehrpersonen auf mindestens eine
Lektion pro Schulmorgen gründlich vorbereiten. Ist es nicht ein ermutigendes
Gefühl, wenn Kinder in der Erwartung zur Schule gehen, dass ihnen die Lehrerin
jeden Tag etwas Besonderes bietet? Solche Topstunden strahlen auf den ganzen
Unterricht aus und lassen das sonst eher routinierte Lernen besser in Kauf
nehmen.
Viele
Jugendliche bestätigen später, dass manche spannende Geschichts- oder
Geografiestunde genau diese anregende Wirkung gehabt und sich in ihrer
Erinnerung eingeprägt habe. Digitalisiertes Lernen verspricht mehr
selbstständiges Lernen. Aber es ist weit entfernt von einem Lernverhalten,
welches erst im gemeinsamen Entdecken grosser Zusammenhänge entwickelt
wird.
Die
kommenden Jahre werden zeigen, wie hoch der Stellenwert eines kulturschaffenden
Bildungsprogramms gegenüber einem einseitig auf Nützlichkeit ausgerichteten
Konzept gehandelt wird. Digitales Lernen stösst bei tieferen Bildungsprozessen
an Grenzen und kann gute Lehrerinnen und Lehrer in keiner Weise ersetzen. Ob
Lehrpersonen primär als Coachs bei Computerprogrammen mitwirken oder gestaltend
als aktive Personen eine Klassengemeinschaft lenken, ist die entscheidende
Frage.
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