25. Mai 2020

Stamm zieht positive Bilanz des Fernunterrichts

In den letzten acht Wochen hat Margrit Stamm genau beobachtet, was sich zwischen der Schule und den Familien abgespielt hat. Und immer wieder hat die Professorin für pädagogische Psychologie und Erziehungswissenschaften an der Universität Fribourg dies auch kritisch in ihrem Blog, oder über Twitter, kommentiert. Anfangs April schrieb sie zum Beispiel:

Eltern sollen jetzt nicht Ersatzlehrer spielen, sondern Unterstützer sein. Das Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern ist viel emotionaler und abhängiger als das zu ihren Lehrern.

Margrit Stamm: "Eltern sahen erstmals, wie ihr Kind arbeitet", SRF, 20.5. von Sabine Meyer

Acht Wochen später zieht Margrit Stamm eine überraschend positive Bilanz. Die Familien und Schulen hätten diese Zwangspause viel besser gemeistert als gedacht. Die Corona-Zeit habe allen Beteiligten die Möglichkeit gegeben neue Facetten aneinander zu entdecken, die im Alltag meist untergehen würden.


Endlich mal keine Termine

Eltern hätten zum ersten Mal erleben können, wie ihre Kinder an Aufgaben herangingen oder wie lange sie für gewissen Übungen benötigen. In normalen Zeiten hätten die Kinder meist so viele Termine, da bleibe kein Platz für solche Beobachtungen. Heute sei jeder Moment des Kinderlebens durchgeplant, so Margrit Stamm: «Man spricht in diesem Zusammenhang ja auch von Terminkindheit.»


Aber auch die Lehrpersonen hätten plötzlich Zeit gehabt, dem Kind auf eine neue Art zu begegnen. So hatte zum Beispiel ein scheues Kind in einem Videocall die Möglichkeit gehabt, sich ganz alleine mit der Lehrperson auszutauschen oder viele Kinder hätten ihrer Lehrerin oder ihrem Lehrer Zeichnungen oder Briefe geschickt. «Durch die neuen Wege der Kommunikation konnten neue Aspekte des Kindes entdeckt werden», erklärt Margrit Stamm.


Ein neuer Blick auf das Kind

Sie ist überzeugt, dass so teilweise auch ein neuer Blick auf ein Kind möglich wurde. Eventuell würden sich sogar Neueinschätzungen eines Schülers, einer Schülerin ergeben, hofft die Erziehungsexpertin: «In der Forschung sagt man, dass sich eine Lehrperson im Schnitt nach zwei Wochen eine Meinung über eine Schülerin oder einen Schüler gebildet hat.» Dank Corona konnte diese Meinung nun vielleicht revidiert werden.

Margrit Stamm ist deshalb überzeugt, dass auf beiden Seiten die Wertschätzung gestiegen ist. Eltern hätten gesehen, was Lehrerinnen und Lehrer leisten. Und diese wiederum hätten einen Einblick ins Milieu erhalten in welchem ein Kind aufwächst und vielleicht zum ersten Mal erlebt, aus welch engen Verhältnissen ein Kind kommt.


Kinder nehmen Spannung der Eltern wahr

Aber auch der Blick der Kinder gegenüber den Eltern habe sich verändert. Kinder seien wie Seismografen, die genau spüren würden unter welcher Spannung die Eltern stünden.

So hätten sie erlebt, wie die Eltern arbeiten. Wie sie einen Tag lang hinter der Zimmertür verschwinden und telefonieren. Etwas, das sonst immer ausserhalb der eigenen vier Wänden geschieht.


Der Wiedereinstieg braucht Zeit

Corona bot die Chance für unzählige neue Erfahrungen zwischen Eltern, Kinder und Lehrpersonen. Margrit Stamm hofft nun, dass dies auch in der Schule thematisiert wird. Damit der Wiedereinstieg gelingt, brauche es Zeit, wieder im durchgetakteten Schulalltag anzukommen.


Die Erziehungswissenschafterin warnt davor, nun einfach «loszupowern», so als hätte man etwas aufzuholen. Die Kinder hätten zwar vielleicht Lernstoff verpasst, aber dafür an Lebenskompetenz dazugewonnen.

 


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