Das schweizerische duale Bildungssystem ist eine Erfolgsgeschichte –
Zahlen belegen dies eindrücklich. Die Sekundarschule mit einer anschliessenden
Berufslehre ist dem vermeintlichen Königsweg Gymnasium in gewissen Punkten
sogar überlegen. Weltweit gibt es kaum ein anderes Land, in dem Jugendliche
zwischen 15 und 24 Jahren so leicht Arbeit finden und eine so tiefe
Jugendarbeitslosigkeit herrscht.
Im internationalen Vergleich belegt die Schweiz bezüglich der
Erwerbsquote und der Erwerbstätigenquote von Jugendlichen einen Spitzenrang.
Grosse Teile Europas bieten dagegen ein trauriges Bild und weisen
Jugendarbeitslosenquoten von bis zu 50 Prozent aus. Gerade in Ländern mit einer
hohen Akademisierungsrate und einem wenig ausgeprägten Lehrlingswesen
(beispielsweise Frankreich und Italien) erreicht die Jugendarbeitslosigkeit
Spitzenwerte.
Jugendarbeitslosigkeit bei hoher Gymnasialquote
Ähnliche Tendenzen lassen sich auch in der Schweiz erkennen: je höher
die Gymnasialquote, desto höher die Jugendarbeitslosigkeit. In der
Zentralschweiz, wo der Sekundarschulabschluss mit anschliessender Lehre den
Normalfall bildet, liegt die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen um die 1
Prozent – häufig sogar darunter. In den Kantonen Genf und Tessin mit der
höchsten schweizerischen Gymnasial- und Maturitätsquote sind bis zu fünfmal
mehr Jugendliche arbeitslos.
Die Yass-Studie macht ein weiteres Problem deutlich: In der
französischsprachigen Schweiz verfügten 2014/15 ein Sechstel der jungen Männer
und ein Fünftel der Frauen weder über eine Matur noch über einen Lehrabschluss.
Im deutschsprachigen Raum waren diese Werte nur halb so hoch. Der hohe Anteil
von Gymischülern in der Westschweiz und im Tessin bringt auch eine hohe
Abbruchquote mit sich. Ist dann das Lehrstellenwesen schwach ausgebildet,
fallen diese Jugendlichen zwischen Stuhl und Bank – Arbeitslosigkeit dürfte nur
eine der Folgen sein. Paradoxerweise bleibt der Druck auf das Gymnasium in
Zürich trotzdem hoch.
Denn viele Zürcher Eltern sind verunsichert und glauben fest daran, dass
nur die Matur beste Zukunftschancen bietet. Dabei ist das Gegenteil der Fall!
Dies wollten wir belegen und haben zur Stärkung der Sekundarschule und des
dualen Bildungssystems drei Informationsveranstaltungen für Eltern
durchgeführt. Wir waren überrascht über das grosse Interesse: Knapp 600 Eltern
sind der Einladung gefolgt. Und es wurde klar: Viele erkennen die grosse Kraft
des dualen Bildungssystems nicht. Wir konnten aufzeigen, dass die Lehre eine
hervorragende Basis für die künftige berufliche Karriere bildet und nach
Lehrabschluss alle Türen weit offen stehen. Eine KV-Lernende und ein
ausgelernter Hochbauzeichner schilderten in einer Podiumsdiskussion, welch
grossen Spass sie in der Berufswelt haben. Trotz bestandener Gymiprüfung hat
sich die KV-Lernende ganz bewusst für eine Lehre entschieden. Beide besitzen
die Berufsmatur und haben dank unserem durchlässigen Bildungssystem vielfältige
Weiterbildungsmöglichkeiten an den Fachhochschulen – mit der Passerelle ist
auch ein Studium an der Uni möglich.
Erfahrung einer Schnupperlehre
Längst nicht jedes Kind ist für das Gymnasium geeignet. Ein Plan B –
beispielsweise in Form einer gesicherten Lehrstelle – ist allen Eltern dringend
zu empfehlen. Misserfolge und Enttäuschungen bei Kind und Eltern werden damit
abgefedert. Ebenfalls in der Pflicht stehen die Schulen. Zu reflexartig wird in
der Primarschule die Gymiprüfung vorgeschlagen, sobald die Noten in diese
Richtung weisen oder der Druck der Eltern hoch ist. Die Lehrpersonen sollten
auch in solchen Fällen aufzeigen, dass die Sekundarschule in Kombination mit
einer Lehre hervorragende Karrierechancen bietet. Monika Walser von de Sede,
Hansueli Loosli von Coop oder Ernst Tanner von Lindt und Sprüngli sind dafür
beste Beispiele.
Das Abwandern von guten Schülern aus der Sekundarschule müssen wir
verhindern. Talente gehören gefördert, nur so lässt sich der Bedarf an guten
Fachkräften stillen. Stadtzürcher Eltern und Kinder müssen frühzeitig über mögliche
Alternativen zum Gymnasium informiert werden – idealerweise noch vor Ende der
Primarschule. Es braucht entsprechende Schritte, um die Langzeitgymi-Quote
zugunsten des Kurzzeitgymnasiums zu senken. So haben mehr Kinder die
Möglichkeit, die Erfahrung einer Schnupperlehre zu machen, mit der Arbeitswelt
in Kontakt zu treten und unbekannte Fähigkeiten oder Neigungen zu entdecken.
Daher: Nur wer gut und breit informiert ist, kann sich fundiert mit der eigenen
oder der Zukunft seines Kindes auseinandersetzen und die wirklich passende
Lösung finden. Und gerade bei Kindern, die den Knopf etwas später aufmachen,
sorgt unser durchlässiges Bildungssystem für eine hervorragende
Chancengerechtigkeit – dem gilt es Sorge zu tragen.
Filippo
Leutenegger, Stadtrat in Zürich, ist der Vorsteher des Schul- und
Sportdepartements.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen