In vielen Kantonen läuft
in diesen Tagen die Anmeldefrist fürs Gymnasium ab. Die künftigen
Gymnasiastinnen und Gymnasiasten müssen sich entscheiden, welche Mittelschule
sie besuchen wollen. Gewählt wird nach Erreichbarkeit, Fächerangebot,
Schulklima oder -grösse. Auch die Qualität ist ein Thema. Die Vermutung: Nicht
alle Schulen bereiten ihre Maturanden gleich gut auf ein Studium vor.
Einen konkreten
Hinweis liefert die Studienerfolgsquote. Mit ihr misst der Bund, wie viele
Absolventen eines Gymnasiums später ein Hochschulstudium abschliessen. Das
Bundesamt für Statistik (BFS) erfasst auch, wie viele Maturanden einer Schule
ein Studium abbrechen oder das Fach wechseln.
Luzern hat
diese Zahlen im Jahr 2018 erstmals veröffentlicht, letztes Jahr ist Zug nachgezogen.
Die Luzerner
Auswertungen zeigen frappente Unterschiede zwischen den Kantonsschulen beim
Bachelor-Studium, mit Quoten zwischen 75 (Kantonsschule Reussbühl) und 86
Prozent (Kanti Willisau). Das heisst, dass drei Viertel aller Absolventen des
Gymis Reussbühl, die zwischen 2009 und 2011 ein Studium aufgenommen hatten,
nach spätestens fünf Jahren einen Bachelor-Abschluss hatten; bei der ländlichen
Kantonsschule Willisau waren es 86 Prozent.
Unter 70 Prozent ist
der Wert der Privatschule St. Klemens, während die Maturitätsschule für
Erwachsene noch deutlicher zurückliegt: Nicht einmal jeder zweite Maturand der
MSE macht einen Bachelor. Das lasse sich damit erklären, dass die Abgänger in
der Regel älter seien und schon einen Beruf hätten, und deshalb ein Studium
eher abgebrochen werden könne, sagt Aldo Magno, Leiter der Luzerner
Dienststelle für Gymnasialbildung.
Ein ähnliches
Bild in Zug: Die beiden kantonalen Gymnasien weisen mit 83 respektive 86
Prozent eine gute Quote aus und sind relativ ausgeglichen. Das private Institut
Montana in Zugerberg liegt deutlich zurück.
Haben Privatschulen ein
Qualitätsproblem?
Der Befund
wirft die Frage auf, ob Privatschulen ein Qualitätsproblem haben. Ralph Späni,
Rektor des Instituts Montana, sieht den Grund darin, dass rund ein Drittel
seiner internationalen Schülerschaft im Ausland studiert und somit in der
Statistik nicht erfasst sei. «Zudem haben kostenpflichtige Privatschulen häufig
Absolventen, die an den staatlichen Schulen nicht zugelassen wurden oder das
Gymnasium abgebrochen hatten.» Mit anderen Worten sei es nicht klar, ob diese
Maturanden mit einem Abschluss an einer kantonalen Schule (wenn sie diesen
Abschluss geschafft hätten), dann im Studium erfolgreicher gewesen wären.
In Zug und
Luzern ist die Diskussion solcher Fragen möglich, weil die weil die
Studienverläufe der Schulabgänger transparent sind. Auch die
Hochschulabschlussquoten des Kollegiums St. Fidelis in Nidwalden, des
Gymnasiums in Appenzell, des Kollegi Altdorf und der Kantonsschulen in Trogen,
Glarus und Schaffhausen können diskutiert werden: Weil das BFS die Studienerfolgs-
und Studienabbruchquoten der Kantone veröffentlicht, entspricht bei Kantonen
mit nur einer Mittelschule der Wert präzis der Quote dieser Schule.
Widerstand gegen eine
zentrale Publikation
Insgesamt sind
so derzeit die Daten von fast 20 Gymnasien in acht Kantonen offengelegt. Die
der restlichen Schulen hält der Bund unter Verschluss. Das gefällt nicht allen:
Andrea Gmür, heute Luzerner Ständerätin (CVP), hatte noch als Nationalrätin
deren Publikation verlangt, die Motion wurde im letzten Juni aber von der
kleinen Kammer abgelehnt.
Das Argument
der Bildungskommission und des Bundesrates: Wenn die Zahlen zentral publiziert
würden, käme es zu einer Rangliste der Gymnasien, die nichts aussagte, weil
nicht Vergleichbares miteinander verglichen würde. Zudem sagten Erfolgs- und
Studienabbruchzahlen allein nichts aus über die Qualität eines
Bildungsinstituts. Zusätzlich spielten Faktoren wie Herkunft oder die Wahl des
Studienfachs mit. Deshalb bleibt es den Kantonen überlassen, ob sie die
Rohdaten anfordern und publizieren wollen.
Auch der Zuger
Bildungsdirektor Michael Truniger und Aldo Magno, Leiter der Luzerner
Dienststelle für Gymnasialbildung, sind sich dieser Problematik bewusst: «Es
wäre ein eklatanter Fehlschluss, einen kausalen Zusammenhang zwischen der
Qualität einer Schule und den Studienverläufen herstellen zu wollen», sagt
Magno. Beide haben in der Kommunikation deshalb speziell darauf hingewiesen,
dass etwa das Einzugsgebiet, also der sozioökonomische Hintergrund der
Familien, einer Schule ebenso einen Einfluss auf den Studienverlauf haben
könne. Magno: «Entsprechend sollte sich die Frage des Wettbewerbs unter den
Schulen kaum stellen.»
Angst vor einem Ranking
unbegründet
Tatsächlich hat
sich gezeigt, dass die verbreitete Angst vor einer Rangliste unbegründet ist.
In beiden Kantonen habe die Veröffentlichung der Quoten kaum Reaktionen
ausgelöst. Truniger: «Der Bericht ist in Fachgremien auf Interesse gestossen,
darüber hinaus habe er aber nicht zu verstärkten Rückfragen geführt». Es ist
auch nicht zu einem verschärften Wettbewerb zwischen den Schulen gekommen, noch
habe man eine Veränderung der Anmeldezahlen bemerkt. Das bestätigt eine
stichprobenartige Umfrage unter den Gymnasien.
Zug wie Luzern
geben an, die Daten fürs interne Monitoring und die Qualitätssicherung
angefordert, aufbereitet und mit den Rektoren diskutiert zu haben: «Wir finden
die Daten auch «publikationswürdig», weil die öffentliche Hand brutto 130
Millionen Franken jährlich in die Luzerner Mittelschulen investiert. Entsprechend
ist es von öffentlichem Interesse, zu wissen, ob die Zielsetzungen des
Gymnasiums erreicht werden», sagt der Luzerner Magno. Zudem helfe Transparenz,
Spekulationen und Gerüchten vorzubeugen.
So sehen es
lange nicht alle Kantone. Die Hälfte interessiert sich schlicht nicht für die
Quoten. Eine Nachfrage beim BFS hat ergeben, dass lediglich 13 Kantone die
Rohdaten überhaupt bestellt haben: Aargau, Appenzell Ausserrhoden,
Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Freiburg, Graubünden, Luzern, Nidwalden,
Obwalden, Solothurn, Thurgau, Zug und Zürich. Das Tessin gibt an, die Daten
verlangt, aber noch nicht erhalten zu haben.
Economiesuisse kritisiert Kantone
Andere haben
die Analyse der Rohdaten noch nicht abgeschlossen. Kleinere Kantone wie Schwyz,
Appenzell Ausserrhoden oder Glarus sind überfordert mit der Aufbereitung
mangels statistischer Ressourcen. Lediglich der Aargau, wo ein Postulat es
verlangt, und Zürich haben eine Publikation ins Auge gefasst, halten sich
bezüglich eines Termins aber bedeckt. Die meisten Kantone aber denken nicht
daran, zu publizieren, und argumentieren wie der Bund.
Kein
Verständnis für dieses Desinteresse der Stände hat Rudolf Minsch, der
Chefökonom des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse. Diese Informationen
gäben wertvolle Rückschlüsse auf die Qualität der Ausbildung an den Gymnasien:
«Dass die Hälfte der Kantone die Daten nicht heranziehen, vermittelt den
Eindruck, dass sie gar nicht wissen wollen, wie gut ihre Schülerinnen und
Schüler an den Hochschulen abschneiden. Die Kantone weichen der
Qualitätsdiskussion aus.» Dabei könnten die Informationen zu einer Steigerung
der Qualität beitragen, ist der Wirtschaftsprofessor überzeugt, und gehörten
deshalb veröffentlicht.
Der Widerstand
gegen eine Offenlegung beim Bund ist indes enorm. Diese Zeitung hat gestützt
auf das Öffentlichkeitsgesetz, laut dem alle Personen grundsätzlich Zugang zu
jeder Information und jedem Dokument der Bundesverwaltung haben, beim BFS eine
Anfrage auf Herausgabe der Studienerfolgsquoten der Mittelschulen gemacht – sie
wurde abgelehnt.
Datenschutz verbietet
Veröffentlichung
Mit der
Begründung, dass die Zahlen zu rein statistischen Zwecken erhoben worden seien
und deshalb das Statistikgeheimnis zur Anwendung gelange und dem
Öffentlichkeitsgesetz in diesem Fall vorgehe. Zudem verbiete es das
Datenschutzgesetz, Daten zu veröffentlichen, die Rückschlüsse auf Personen,
Unternehmen oder auch einzelne Schulen erlaube.
Diese
Argumentation steht indes im Widerspruch zur Tatsache, dass das BFS wie erwähnt
schon heute mit der Öffnung der Abbruch- und Erfolgsdaten nach Kantonen
Rückschlüsse auf einzelne Gymnasien erlaubt. Der Durchschnitt aller Kantone
liegt bei 10 Prozent. Wenn Schaffhausen die kleinste Abbruchquote von 5,5
Prozent aufweist, entspricht das dem Wert der einzigen Kanti im Kanton. Wenn
Genf mit 15 Prozent die meisten Abbrecher stellt, verstecken sich hinter der
Zahl 14 Gymnasien. Die Unterschiede hier zu kennen, wäre interessant.
Der Wohnkanton
scheint Einfluss auf den Studienverlauf zu haben. Interessant ist in diesem Zusammenhang
die kantonale Maturitätsquote beizuziehen, also den Anteil der Schüler eines
Kantons, die ein Gymnasium abschliessen. Vieles deutet in unserer groben
Analyse darauf hin, dass – vor allem in der Westschweiz und im Tessin – mit der
Maturaquote auch die Abbrüche zunehmen. Das heisst, dass in Kantonen wie Genf
oder Tessin, wo mehr als jeder oder jede Dritte das Gymi absolviert, später
auch viele das Unistudium schmeissen. Interessant wäre es, diese Zahlen für die
Mittelschulen zu kennen: Gibt es Schulen, die das Maturazeugnis zu grosszügig
vergeben?
Antworten auf solche
Fragen bleiben mangels Transparenz weitgehend im Dunkeln, die Angst vor einer
Rangliste ist zu gross. Sie lässt Bund und Kantone bei der Datenaufbereitung
auch je andere Methodiken anwenden. Sie rechnen mit einer unterschiedlichen
Anzahl Jahre bis zum Bachelor oder mit drei, vier oder neun
Studieneintritts-Jahrgängen. Mit dem Resultat, dass die Quoten überkantonal
nicht präzis miteinander verglichen werden können.
Eine zentrale
Auswertung und Publikation durch den Bund könnten Abhilfe und schweizweit
Transparenz schaffen. Rudolf Minsch vom Wirtschaftsverband Economiesuisse
rechnet damit, dass eine solche Veröffentlichung Staub aufwirbeln würde, wie es
eine ETH-Studie vor gut zehn Jahren getan hat: «Aber nur im ersten Jahr. Schon
bald würde man die Zahlen als das interpretieren, was sie sind: ein wichtiger –
aber nicht der einzige – Indikator für die Qualität an Schweizer Gymnasien.»
Einen Indikator mehr, den Eltern und Schüler bei der Wahl des Gymis
miteinbeziehen könnten.
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