Wird die Leseförderung durch die zunehmende Digitalisierung nicht
obsolet? Genügt es nicht, wenn die Schülerinnen und Schüler digitale Medien
bedienen können? Meine Antwort ist hier ein ganz klares Nein. Kinder und
Jugendliche lesen heute nicht unbedingt weniger, sondern primär anders. Vor
noch nicht allzu langer Zeit haben sich die Lesemedien massiv um die digitalen
Endgeräte erweitert. Das Smartphone etwa ist für die überwiegende Zahl der Menschen
und auch für unsere Jugendlichen zum nicht mehr wegzudenkenden Begleiter im
Alltag geworden. Welche Konsequenzen haben diese einschneidenden Veränderungen
für die schulische Bildung?
Digitale Bildung ersetzt keine Leseförderung, NZZ, 13.12. von Michael Piazolo
Hier hat zuletzt die Stavanger-Erklärung Anfang des Jahres herausgestellt,
dass Bildschirme und bedrucktes Papier keine gleichwertigen Lesemedien sind.
Bei digitalen Texten besteht zum Beispiel die Gefahr des oberflächlichen und
unkonzentrierten Lesens. In ihren Schlussfolgerungen unterstützt die Erklärung
den von uns in Bayern eingeschlagenen Weg. Der Weg zum kompetenten Leser
erfolgt in Bayern über den gedruckten Text. Für Kinder und Jugendliche ist die
Lektüre von «analogen» Ganzschriften nach wie vor essenziell. Und dennoch
ist es daneben unabdingbar, unsere jungen Menschen – aufbauend auf bereits
fundierten Lesefähigkeiten – auch im Umgang mit digitalen Texten zu schulen,
ein Bewusstsein für die Unterschiedlichkeit der Medien zu schaffen und
Reflexionsprozesse anzustossen. Wir können und dürfen die Lebenswirklichkeit hier
nicht ausblenden.
«Deep reading»
Konkret bedeutet dies vor allem, dass die Schülerinnen und Schüler
einerseits schrittweise die Kompetenz des überfliegenden Lesens von Hypertexten
aufbauen und andererseits auch ihre Fähigkeit des digitalen «deep reading» trainiert
wird. Dabei verfolgen wir die Maxime, dass der Einsatz digitaler Medien an den
Schulen kein Selbstzweck sein darf, sondern einen pädagogisch-didaktischen
Mehrwert haben muss. Druckwerke dürfen nicht wahllos durch digitale
Technologien ersetzt werden.
Leseförderung im digitalen Zeitalter ist eng verbunden mit der
politischen Bildung und der Medienbildung. Wir brauchen kritische Leserinnen
und Leser, die Texte und deren Qualität beurteilen können. Ein angesichts des
digitalen Wandels noch vordringlicher gewordenes Ziel ist es, dass unsere
jungen Menschen kompetent und zunehmend souverän darin werden, Informationen
und Zusammenhänge zu überprüfen und Falsches von Zutreffendem zu unterscheiden.
Nur so lassen sie sich nicht von Populisten, Extremisten und Verschwörungstheoretikern
täuschen und vereinnahmen.
An diesem Beispiel wird ausserdem klar: Leseförderung in der Schule ist
bei weitem nicht nur die Aufgabe der Deutsch-Lehrkräfte, sondern hierbei
handelt es sich um ein fächerübergreifendes Bildungs- und Erziehungsziel, zu
dem alle Lehrerinnen und Lehrer einen Beitrag leisten. In Bayern haben wir
deshalb zum vergangenen Schuljahr die mehrjährige Leseförderungsinitiative
«#lesen.bayern» gestartet, die die Stärkung der Lesekompetenzen unser
Schülerinnen und Schüler nochmals als Daueraufgabe aller Schulen und aller
Lehrkräfte betont. Lesekompetenzen werden in allen Fächern – und später in
allen Studiengängen und in wohl nahezu allen Berufen – benötigt und müssen
deshalb auch im Unterricht fachspezifisch trainiert werden.
Fake-News entlarven
Ich bin deshalb fest davon überzeugt: Die Leseförderung wird auch in
Zukunft sogar mehr denn je ein zentrales Bildungs- und Erziehungsziel sein. Die
Digitalisierung macht zusätzliche Lesekompetenzen erforderlich, die Schülerinnen
und Schüler ebenfalls im Laufe ihrer Schullaufbahn erwerben und sukzessive
festigen müssen. Gerade bei der Nutzung digitaler Medien sind ausserdem die
Kompetenzen, die Qualität von Texten zu beurteilen und etwa sogenannte
Fake-News als solche zu entlarven, grundlegend.
Nur mit einer umfassend verstandenen Leseförderung, die Hand in Hand
auch mit der digitalen und der politischen Bildung geht, kann die Schule
erfolgreich auf verantwortliches und mündiges Handeln im persönlichen Umfeld,
im Beruf sowie in Staat und Gesellschaft vorbereiten. Je mehr dies
gesamtgesellschaftlich – beginnend bereits ab dem frühen Kindesalter –
unterstützt wird, umso wirksamer werden sich diese schulischen Anstrengungen
entfalten.
Michael
Piazolo ist bayrischer Staatsminister für Unterricht und Kultus. Er
diskutierte am NZZ-Podium Bayern mit vom 9. Oktober 2019 zum Thema «Lesen» in
den Münchner Kammerspielen.
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