Noch vor
wenigen Tagen hielt ich Pamir für ein
Hochgebirge in Zentralasien. Das „Dach der Welt“. Angrenzend an ferne Länder
wie Kirgisistan, China, Afghanistan und Tadschikistan.
Dann las ich im
Klatsch einer Wochenend-Gazette, dass sich der Aargauer Nationalrat Cédric
Wermuth auf die kommende Legislatur Kopfhörer der neuesten Generation zulegen
wolle. „Der Lärm macht dich sonst fertig“, liess der Parlamentarier und einer
der Favoriten für das SP-Parteipräsidium, seine Twitter-Gemeinde wissen.
Ohrenschützer statt Schulbücher, Basler Zeitung, 22.11. von Roland Stark
Diese
Ankündigung kommt nun allerdings nicht überraschend. Eine Studie des
Parlamentsdienstes im Bundeshaus kommt zum Schluss, dass die Konzentration bei
solch lauten Geräuschen – im Schnitt rund 70 Dezibel (dB) – nicht über längere
Zeit aufrechterhalten werden könne. Das Arbeitsgesetz legt für „überwiegend
geistige Tätigkeiten“ einen Grenzwert von 50 dB , für „allgemeine
Bürotätigkeiten“ einen von 65 dB fest. Geräusche ab 85 dB gelten bei
langanhaltender oder häufig wiederholter Einwirkung als schädlich.
Unterdessen
habe ich mich über die marktüblichen Schutzmassnahmen gegen die Lärmplage
kundig gemacht. Als dienstuntauglich gestempelter Zivilist bin ich über die
persönliche Ausrüstung eines Soldaten in der Schweizer Armee nur unzureichend
informiert. Neben den Waffen gehören dazu offenbar noch weitere Hilfsmittel wie
das Armeemesser und eine Feldflasche. Darüber hinaus zählt auch der Pamir zur Ausstattung eines jeden
Soldaten. Dabei handelt es sich um einen kleinen Gehörschutz, den die Soldaten in
Situationen mit hoher Lärmbelastung verwenden können. Je nach Kaliber erzeugt
der Schuss einer Pistole oder eines Gewehres zwischen 130 und 150 Dezibel. Auch
der Start eines Düsenflugzeuges verursacht Lärm in dieser Grössenordnung.
Vergleichbare
Probleme mit Krach treten in zunehmend alarmierendem Ausmass auch an unseren
Schulen auf. „In Schulklassen ist es oft so laut, dass konzentriertes Lernen
und Lehrern nicht mehr möglich ist. Nicht nur Lehrer, sondern auch die
Schülerinnen und Schüler haben dann Mühe, sich auf den Unterricht zu
konzentrieren und sie sind schneller abgelenkt und gestresst“, lesen wir in
einem Merkblatt des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes Basel-Stadt.
Das
Gesundheitsdepartement leiht deshalb kostenlos sogenannte Lernampeln aus. An
dem Gerät kann die Lärmstufe eingestellt werden. Sie springt auf gelb oder rot,
wenn die Klasse zu laut ist.
An der Ampel
sind die Lärmstufen 1-7 voreingestellt, so dass für jede Lernsituation die
angemessene Lautstärkeeinstellung gewählt werden kann. 50-60 dB für Stillarbeit
(Stufe 1) oder 70-80 dB für normale Geräusche (Stufe 4).
Die Lärmampel
informiert über den Geräuschpegel und macht Lärm sichtbar. Zwar könne die
Lautstärke im Raum dadurch kaum gesenkt werden, immerhin aber würde die
Sensibilität für das Thema erhöht.
Angesichts
dieser unerfreulichen Entwicklung wundert es eigentlich niemanden, dass das
Allzweckmittel Pamir auch in den
Schulzimmern Einzug gehalten hat. „Auch in Basel werden Primar- und
Sekundarschüler mit einem Gehörschutz ausgerüstet. Der Konzentrationsverstärker
wird vor allem in der Stillarbeitsphase eingesetzt“, teilt uns Jean-Michel
Héritier, der Präsident der Freiwilligen Schulsynode Basel-Stadt mit.
Ein Fünftel
mehr Kinder-Ohrenschützer hat der Internethändler „Gehoerschutz-shop.ch in den
ersten neun Monaten 2019 verglichen mit dem Vorjahr verkauft. Die Bestellungen
kommen zum grössten Teil von Schulen. („Sonntagszeitung“, 20.10.2019)
Die Probleme,
da gibt es nichts zu beschönigen, sind im Wesentlichen hausgemacht. Die
wohlklingenden Versprechungen der Schulreformer sind nicht erfüllt worden,
vielfach haben sie in einem bildungspolitischen Desaster geendet. Das Konzept
„Gemeinsam lernen“ (um jeden Preis), unabhängig von Behinderungen, Lernproblemen
oder Verhaltensauffälligkeiten bringt in der Praxis das Schulsystem an seine
Grenzen. „Die Wahrheit liegt auf dem Platz“ würde der Fussballlehrer Otto
Rehhagel wohl dazu bemerken.
„Die Debatte um
die schulische Inklusion hat religiöse Züge angenommen“, schreibt Ewald Kiel,
Ordinarius für Schulpädagogik an der LMU München. „Skepsis und Erkenntnisse,
die den Erfolg in Zweifel ziehen können, werden ignoriert oder nur am Rande
behandelt. Das schadet am Ende der Sache selbst.“ Abweichler von der reinen Lehre
seien einfach noch nicht so weit, heisst es verächtlich, oder sie müssten noch
Trauerarbeit über den Verlust der ihnen bekannten (nicht-inklusiven) Welt leisten.
Ein Vorwurf, der auch Basler Heilpädagogen bekannt vorkommen dürfte.
Für die
unliebsamen Folgen ist dann nicht mehr das Erziehungs- sondern das
Gesundheitsdepartement zuständig.
Für Lernampeln
und Ohrenschützer ist Geld da. Für Schulbücher nicht.
„Ist dies schon
Wahnsinn, so hat es doch Methode.“ (Hamlet)
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