Für die meisten Schüler geht in diesen Tagen der Ernst des Lebens wieder
los. Nach über einem Monat Sommerferien beginnt an den Schulen und
Ausbildungszentren des Landes der Unterricht wieder. Schulbank statt Strandtuch, Prüfungsstress statt Party – viele Schüler
tun sich damit schwer. Und das nicht nur nach den Ferien. Die immer beliebtere
Lösung dafür: Schwänzen.
Trotz Bussen fehlen immer mehr Schüler unentschuldigt im Unterricht, Blick, 19.8. von Andrea Cattani
Unter den Lehrpersonen wächst mittlerweile die Sensibilisierung für das
Thema. In seinem Magazin «Bildung Schweiz» warnt der Dachverband Lehrerinnen
und Lehrer explizit vor Blaumachern. «Jede zweite Schülerin und jeder zweite
Schüler schwänzt ab und zu den Unterricht», heisst es darin. Gefragt sind darum
wirksame Massnahmen.
In den Volksschulen sind es in der Regel die Eltern, die für das Fehlen der
Kinder geradestehen müssen. Sie sind per Gesetz dazu verpflichtet, dafür zu
sorgen, dass der Nachwuchs im Unterricht erscheint. Tun sie das nicht, kann es
im Extremfall teuer werden. Bekannt wurde ein Fall von 2013, bei dem eine
Mutter zu einer Zahlung von insgesamt 2000 Franken verdonnert wurde, weil sie
ihr Kind zugunsten eines früheren Ferienantritts bewusst schwänzen liess.
Die meisten haben einfach «keine Lust»
Doch auch die Schüler selber gönnen sich immer öfter selber eine
Pause. In St. Gallen haben die kantonalen Ämter unter dem Projekt «sicher!
gsund!» insgesamt 4000 Schulschwänzer nach ihrem Motiv befragt. Über die Hälfte
gab «keine Lust auf Schule» als Hauptgrund an. Weitere Gründe waren
«ausschlafen wollen» und «langweiliger Unterricht».
Untersuchungen der Pisa-Studie kommen zum Schluss, dass das Problem
akuter wird. Ging man 2012 noch von rund fünf Prozent der Schüler aus, die
«massives Schulschwänzen» betrieben, waren es 2015 schon neun Prozent.
Bis 50 Franken pro geschwänzte Lektion
Für Lehrlinge wird das Schwänzen teuer. Sie werden je nach Schule gleich
selbst zur Kasse gebeten. Wer am Solothurner Berufsbildungszentrum Olten
unentschuldigt im Unterricht fehlt, bekommt eine Busse von 20 Franken
aufgebrummt. Insgesamt 32'436 Franken wurden so im letzten Jahr in die
Schulkasse gespült. «Das Geld kommt am Ende wieder allen Schülern zugute. Damit
werden beispielsweise Exkursionen, Diplomfeiern oder neue Wasserspender
finanziert», sagt Schuldirektor Georg Berger.
Berüchtigt für sein Bussensystem ist das Berufsbildungszentrum
Schaffhausen. Satte 50 Franken pro Lektion muss ein Schüler hinblättern, der
keine gültige Absenzbegründung vorweisen kann. Fehlt jemand gleich einen ganzen
Tag, kann dies bei zehn geschwänzten Lektionen rund einen halben Lehrlings-Monatslohn ausmachen.
Wie viel Geld das Berufsbildungszentrum Schaffhausen mit den Bussen im
vergangenen Jahr eingetrieben hat, will Oskar Christian Brütsch von
der Schulleitung nicht genau beziffern. Es seien aber «mehrere 10'000
Franken» gewesen, gibt er gegenüber BLICK zu.
Bussen bringen Geld, aber kaum Wirkung
Nur: Die unentschuldigten Absenzen hat man in Schaffhausen auch mit den
hohen Strafen nicht in den Griff gekriegt. Einen Rückgang der Anzahl
geschwänzter Lektionen habe man seit der Einführung 2014 nicht verzeichnen
können. «Der Unterschied ist, dass der Kanton nun seit der Einführung der Busse
etwas dabei verdient», sagt Brütsch.
Bald will das Berufsbildungszentrum Schaffhausen deshalb wieder milder
werden. «Eine Reduktion der Höhe der Busse ist für den Herbst geplant», sagt
Brütsch. Man werde den Betrag dann dem Niveau von vergleichbaren Schulen im
Land anpassen.
Falsche Toleranz bei Schwänzern ist fatal
Dass das Thema Schulschwänzen mehr thematisiert und Blaumacher von
Anfang an genaustens beobachtet werden müssen, davon ist auch Margrit Stamm
überzeugt. Die 69-jährige Erziehungswissenschaftlerin und emeritierte
Professorin der Universität Freiburg hat sich schon mehrfach der Problematik
des «Schulabsentismus» gewidmet. Stamm sagt deshalb: «Schwänzen ist bei Kindern
und Jugendlichen oft das erste Symptom für viel tiefer greifende Probleme.»
Immer wieder komme es vor, dass Lehrpersonen es zu lange tolerieren
würden, wenn einzelne Schüler regelmässig fehlten. Das sei bis zu einem
gewissen Grad sogar verständlich, sagt Stamm. «Meistens sind das auch Schüler,
die im Unterricht anstrengender sind und die anderen gern stören.» Doch gerade
diese falsche Toleranz sei fatal. «Besonders die Schüler, die zum Schwänzen
tendieren, müssen eine engere Beziehung zur Lehrperson haben und spüren, dass
man sie im Unterricht will.»
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen