19. August 2019

Schwänzen ist Symptom


Für die meisten Schüler geht in diesen Tagen der Ernst des Lebens wieder los. Nach über einem Monat Sommerferien beginnt an den Schulen und Ausbildungszentren des Landes der Unterricht wieder. Schulbank statt Strandtuch, Prüfungsstress statt Party – viele Schüler tun sich damit schwer. Und das nicht nur nach den Ferien. Die immer beliebtere Lösung dafür: Schwänzen.
Trotz Bussen fehlen immer mehr Schüler unentschuldigt im Unterricht, Blick, 19.8. von Andrea Cattani


Unter den Lehrpersonen wächst mittlerweile die Sensibilisierung für das Thema. In seinem Magazin «Bildung Schweiz» warnt der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer explizit vor Blaumachern. «Jede zweite Schülerin und jeder zweite Schüler schwänzt ab und zu den Unterricht», heisst es darin. Gefragt sind darum wirksame Massnahmen.
In den Volksschulen sind es in der Regel die Eltern, die für das Fehlen der Kinder geradestehen müssen. Sie sind per Gesetz dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der Nachwuchs im Unterricht erscheint. Tun sie das nicht, kann es im Extremfall teuer werden. Bekannt wurde ein Fall von 2013, bei dem eine Mutter zu einer Zahlung von insgesamt 2000 Franken verdonnert wurde, weil sie ihr Kind zugunsten eines früheren Ferienantritts bewusst schwänzen liess.

Die meisten haben einfach «keine Lust»
Doch auch die Schüler selber gönnen sich immer öfter selber eine Pause. In St. Gallen haben die kantonalen Ämter unter dem Projekt «sicher! gsund!» insgesamt 4000 Schulschwänzer nach ihrem Motiv befragt. Über die Hälfte gab «keine Lust auf Schule» als Hauptgrund an. Weitere Gründe waren «ausschlafen wollen» und «langweiliger Unterricht».
Untersuchungen der Pisa-Studie kommen zum Schluss, dass das Problem akuter wird. Ging man 2012 noch von rund fünf Prozent der Schüler aus, die «massives Schulschwänzen» betrieben, waren es 2015 schon neun Prozent. 

Bis 50 Franken pro geschwänzte Lektion
Für Lehrlinge wird das Schwänzen teuer. Sie werden je nach Schule gleich selbst zur Kasse gebeten. Wer am Solothurner Berufsbildungszentrum Olten unentschuldigt im Unterricht fehlt, bekommt eine Busse von 20 Franken aufgebrummt. Insgesamt 32'436 Franken wurden so im letzten Jahr in die Schulkasse gespült. «Das Geld kommt am Ende wieder allen Schülern zugute. Damit werden beispielsweise Exkursionen, Diplomfeiern oder neue Wasserspender finanziert», sagt Schuldirektor Georg Berger.

Berüchtigt für sein Bussensystem ist das Berufsbildungszentrum Schaffhausen. Satte 50 Franken pro Lektion muss ein Schüler hinblättern, der keine gültige Absenzbegründung vorweisen kann. Fehlt jemand gleich einen ganzen Tag, kann dies bei zehn geschwänzten Lektionen rund einen halben Lehrlings-Monatslohn ausmachen.

Wie viel Geld das Berufsbildungszentrum Schaffhausen mit den Bussen im vergangenen Jahr eingetrieben hat, will Oskar Christian Brütsch von der Schulleitung nicht genau beziffern. Es seien aber «mehrere 10'000 Franken» gewesen, gibt er gegenüber BLICK zu.

Bussen bringen Geld, aber kaum Wirkung
Nur: Die unentschuldigten Absenzen hat man in Schaffhausen auch mit den hohen Strafen nicht in den Griff gekriegt. Einen Rückgang der Anzahl geschwänzter Lektionen habe man seit der Einführung 2014 nicht verzeichnen können. «Der Unterschied ist, dass der Kanton nun seit der Einführung der Busse etwas dabei verdient», sagt Brütsch. 

Bald will das Berufsbildungszentrum Schaffhausen deshalb wieder milder werden. «Eine Reduktion der Höhe der Busse ist für den Herbst geplant», sagt Brütsch. Man werde den Betrag dann dem Niveau von vergleichbaren Schulen im Land anpassen.

Falsche Toleranz bei Schwänzern ist fatal
Dass das Thema Schulschwänzen mehr thematisiert und Blaumacher von Anfang an genaustens beobachtet werden müssen, davon ist auch Margrit Stamm überzeugt. Die 69-jährige Erziehungswissenschaftlerin und emeritierte Professorin der Universität Freiburg hat sich schon mehrfach der Problematik des «Schulabsentismus» gewidmet. Stamm sagt deshalb: «Schwänzen ist bei Kindern und Jugendlichen oft das erste Symptom für viel tiefer greifende Probleme.»

Immer wieder komme es vor, dass Lehrpersonen es zu lange tolerieren würden, wenn einzelne Schüler regelmässig fehlten. Das sei bis zu einem gewissen Grad sogar verständlich, sagt Stamm. «Meistens sind das auch Schüler, die im Unterricht anstrengender sind und die anderen gern stören.» Doch gerade diese falsche Toleranz sei fatal. «Besonders die Schüler, die zum Schwänzen tendieren, müssen eine engere Beziehung zur Lehrperson haben und spüren, dass man sie im Unterricht will.»


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