4. Februar 2019

Problematisches Medikament


Bereits seit längerer Zeit ist die Schweiz betreffend Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS-Diagnosen und Ritalin-Abgabe an Kindern, in der Kritik. Im Jahr 2015 bemängelte sogar der UNO-Kinderrechtsausschuss in einem Bericht, dass Kinder in der Schweiz zu häufig die Diagnose ADHS erhalten würden. Man zeigte sich berechtigterweise besorgt über den damit verbundenen Anstieg bei den Verschreibungen von Ritalin und anderen Psychostimulanzien, obschon es deutliche Hinweise auf schädliche Auswirkungen dieser Medikamente gebe. 
Luzerner Zeitung, 24.1. Leserbrief von Martina Amato
 

Ich persönlich kenne Menschen in meinem Umfeld, die seit längerem erfolglos versuchen, das Ritalin abzusetzen, jedoch inzwischen ritalinabhängig sind. Schaut man über die Landesgrenzen hinaus und spricht über die Thematik, reagieren die Menschen nicht selten geschockt. Wenn man die Beschreibung auf der Packung von Ritalin, Concerta und ähnlichen Medikamenten liest, kommt es einem paradox vor, wenn da steht: «Bitte von Kindern fernhalten.» Auffallend und als Denkanstoss hier erwähnt, ist die Tatsache, dass die Diagnose ADHS vor Eintritt ins Schulsystem praktisch nicht existiert. 

Am 13. November 2018 stellte Professor Markus P. Neuenschwander an der Pädagogischen Hochschule Luzern das Projekt «Fokus» vor. Seine Ausführungen haben einmal mehr gezeigt, dass man auch in diesem Bereich oft versucht, Symptome zu behandeln, anstatt den Ursachen – in diesem Fall den sogenannten Verhaltensauffälligkeiten der Kinder – nachzugehen. Unzählige Lehrpersonen waren ebenfalls anwesend und versuchen im Schulalltag bereits ihr Bestes zu geben. 

Nichtsdestotrotz stösst man verständlicherweise auch aufgrund fehlender Ressourcen an Grenzen. Es ist stets alles eine Frage der Perspektive. Jeder hat eine andere. In den Augen eines jungen Menschen, der mit der ADHS-Diagnose lebt, hätte der vom Bundesamt für Gesundheit finanzierte Anlass von Herrn Neuenschwander dann womöglich einen anderen Titel gehabt. Statt «Störende Kinder – gestörte Schule» hätte er genauso gut lauten können: «Störende Schule – gestörte Kinder». Denn aus der Perspektive der vielen von ADHS betroffenen Kinder stellt sich vielleicht die Frage: Wer stört da wen?

1 Kommentar:

  1. Als Betroffene nervt mich das dauernde Ritalin-Bashing. Wenn ein Diabetiker Insulin einnimmt, kräht kein Hahn danach. Dabei ist es wie ADHS eine andere Form von Stoffwechsel. Warum soll denn ein ADHSler kein Medikament einnehmen dürfen, um in der „normalen“ Welt funktionieren zu können? Es ist eine Art Krücke. Bei Gehbehinderten jammert auch keiner, wenn sie am Gehstock daherkommen - Ritalin ist unsere „Krücke“, die wir brauchen, weil wir sonst in der Welt um uns herum anecken oder uns besser konzentrieren können.
    Ritalin macht auch NICHT abhängig. Man nimmt es ein und es wirkt - und wenn es nicht mehr wirkt, merkt man das sofort. Daher kann es nicht abhängig machen. Unter Ritalin können die meisten von uns nicht schlafen, daher nimmt man es auch nicht andauernd wie ein Süchtiger. Aber die Umstände der Welt um uns herum bedingen, dass wir uns oft gezwungen sehen, Ritalin einzunehmen, um nicht dauernd anzuecken. Es ist oft schwer, ohne im Alltag zu bestehen.
    Man nimmt es zudem nicht dauernd, sondern nur dann, wenn es nötig ist, z.B. in der Schule, nicht aber zuhause oder am Wochenende oder in den Ferien.
    Ich stimme als Lehrperson dem Autoren zu, dass eine Schulung der Lehrkräfte dringend Not tut. An den PH‘s erfährt man kaum was über ADHS und oft wird mit diesen Kindern in der Schule aus Unwissenheit so umgegangen, dass ihr Seelen Schaden nehmen. Ich muss oft genug meinen Kolleg:innen auf die Finger klopfen. Andererseits helfen auch gut ausgebildete Lehrkräfte je nach Schweregrad des ADHS nicht weiter (es handelt sich um eine Spektrumsstörung). Ich unterrichte Kinder, die hochintelligent sind, aber ihr ADHS hindert sie zu zeigen, was sie drauf haben, und die Eltern verweigern die Gabe von Medikamenten. Schütteln möchte ich diese Eltern (und oft auch Lehrkräfte)! Die Kinder leiden, weil sie sich gern konzentrieren möchten und mithalten wollen, aber nicht können, und dann verwehrt man ihnen auch noch den Krückstock, das Ritalin…

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