Am 6. September vor zweihundert Jahren verstarb
Georg Kappeler. Heute erinnert einzig ein verwitterter Gedenkstein bei der
Kirche Kurzdorf an den Thurgauer Reformer, Pfarrer und Verleger.
Verwitterter Gedenkstein von Kappeler, Bild: Andrea Stalder
Die Seele der Thurgauer Volksschule, Thurgauer Zeitung, 5.9. von Markus Schär
Selbst
die übermächtige Morgensonne vermag nicht, die an der gerundeten Chormauer der
Kurzdorfer Kirche St. Johann zitternden Blätterschatten zu vertreiben, um die
200-jährigen Gravuren auf dem Gedenkstein entzifferbar zu machen. Aber etwas
Vorwissen hilft:
«Hier
ruhet die irdische Hülle Herrn Georg Kappeler, gewesenen evangelischen Pfarrers
in Frauenfeld geb 24. Jan 1775, gest 6. Sept 1818 – Kurz war sein Tagwerk aber
reich an Segen für Arme, für Schulen, für Kirche, Gemeinde und Vaterland.
Liebend weihen die trauernde Gattin u. Kinder diesen Denkstein dem Edeln, den
Gott frühe zur Ruhe und zum Lohne rief.»
Kappelers
letzter Lebenswunsch: eine wiederholte, sorgfältige Inspektion und Revision
aller Schulen im Thurgau. Dem steinernen Zeugnis hat vor allem sein Zürcher
Freund Salomon Vögelin ein literarisches hinzugefügt – in einem Artikel in den
Thurgauischen Beiträgen zur vaterländischen Geschichte aus dem Jahr 1870. Der
in Frauenfeld geborene Kappeller besucht nach der örtlichen Lateinschule das
Collegium humanitatis in Zürich und verbessert in Neuenburg seine französischen
Sprachkenntnisse. Als Erzieher ist er bei der Handelsfamilie Zeller in Trogen
AR angestellt. 1797 wird er Lehrer an der Lateinschule in Frauenfeld. Die
Französische Revolution gibt dem späteren Pfarrer neuen Schwung. Gemäss
Mediationsverfassung (1803) wird die allgemeine Schulpflicht eingeführt, die
Jugendbildung verbessert und die Pestalozzische Unterrichtsmethode bevorzugt
werden. Kappeler, seit 1804 Mitglied und Aktuar des thurgauischen Schulrates
setzt sich dafür ein. Er beruft erstmals Lehrer zu Bildungskursen ein und
begründet eine Schullehrer-Bibliothek. Fortbildungskurse richtet er auch für
die katholischen Schullehrer im Kloster Kreuzlingen ein. Die Reform der Schule
ist sein Werk. In seinem letzten Lebensjahr wünscht er sich nur noch die Stelle
eines Generalschulinspektors, um stets eine sorgfältige Inspektion und Revision
aller Schulen im Thurgau vorzunehmen.
Gemeinnutz, Bescheidenheit und nochmals Bildung
Vögelin
unterstreicht Kappelers Vorliebe für gemeinnützige Wirksamkeit: «Sein feuriger
Hülfseifer gegen Nothleidende und Arme. Als Freund der Landwirthschaft suchte
er die erworbenen Kenntnisse zu verbreiten und den Sinn für Verbesserungen in
der Landökonomie zu wecken... Im Hungerjahr 1817 gründet er einen
Armenunterstützungsverein. Er bereiste die leidendsten Gegenden des Kantons,
besonders den Bezirk Fischingen, um die Grösse der Noth in Augenschein zu
nehmen und an Ort und Stelle die zweckmässigste Hülfe dagegen zu treffen.» Sein
äusseres Wesen aber auch sein Benehmen seien nicht zuvorkommend: «Kurz und
trocken, alle Umschweife verschmähend, Feind aller Komplimente, sprach und that
er im Umgange nur so viel, als gerade nöthig war, um die allgemeine Höflichkeit
nicht zu verletzen. Einfach gewöhnt, entzog er sich gerne allem Geräusche und
allen Verfeinerungen des Luxus.» Entsprechend seiner allgemeinen
Bildungsoffensive ruft Kappeler um 1800 das «Wochenblatt für den Kanton
Thurgau» (eine Vorläuferin der TZ) ins Leben. Es publiziert auch Nachrichten
aus dem Ausland und gibt Ratschläge für die Bevölkerung.
Georg Kappeler korrespondiert mit Heinrich
Pestalozzi
Vor 1798
liegt der Unterricht der Kinder im Thurgau in den Händen von Geistlichen, die
meist aus den regierenden Ständen stammen. Sie erstreben selten mehr als
Schreiben und Rechnen für die Bauernkinder. Nur in Frauenfeld und Bischofszell
und eingeschränkt im Einflussbereich der Klöster regt sich ein «höherer Geist».
Mit dem Umbruch in der Helvetik zeichnet sich die Möglichkeit einer neuen
Erziehungsweise ab. Johann Heinrich Pestalozzi geniesst als Pädagoge
europäischen Ruf. Seine neuen Lehrmethoden erregen Aufsehen.
So liegt
es auch in Frauenfeld nahe, sich in Schulfragen an ihn zu wenden, der wenig
persönliche Beziehungen zum Thurgau pflegt. Sein Lebensweg führt ihn von Zürich
aus immer mehr nach Westen. Pfarrer Kappeler, Aktuar des Thurgauischen
Schulrates, sucht den Kontakt mit ihm. Er teilt dem berühmten Pädagogen mit,
der Schulrat habe beschlossen, ihm einen fähigen jungen Mann zur
Lehrerausbildung zu schicken. Pestalozzi antwortet aus Yverdon: «In meinem
Hause würde er genährt und unterrichtet. Nebst dem gewöhnlichen Unterricht, der
den Zöglingen gegeben wird, erhielte er täglich noch zwei besondere Lektionen
als künftiger Lehrer. Für die Besorgung, die ein solcher Lehrer in meinem
Institut erhält, bin ich gewohnt, jährlich 25 Louisdors zu verlangen.»
Ein junger Thurgauer lässt sich bei Pestalozzi zum
Lehrer ausbilden
Auf diese
Antwort wird in Frauenfeld beschlossen, Caspar Meyer, Sohn Heinrich Meyers von
hier, nach Yverdon zu schicken. Meyer weilt von 1805 bis 1807 auf Kosten des
Kantons Thurgau zur Ausbildung in Yverdon. 1808 folgt seine Anstellung an der
höheren Schule in Frauenfeld, die den Versuch mit konfessionell gemischten
Klassen startet. Der junge Meyer engagiert sich auch in der Umgebung
Frauenfelds in der Ausbildung angehender Lehrer. 1811 wird er wegen angeblich sittlicher
Vergehen entlassen. Über seinen weiteren Lebensweg ist nichts bekannt.
Nachruf in der TZ vom 12.
September 1818
In der
Thurgauer Zeitung Nro. 37 vom 12. September 1818 erschien ein Nachruf auf den
im alter von 43 Jahren am Nervenfieber verstorbenen Stadtpfarrer Georg
Kappeler. Der unerwartete Todesfall muss auch den Berichterstatter zu Tränen
gerührt haben, wie er einleitend einräumte. «Es war ein herzbewegender Anblick
bey seinem Leichenbegängniß die wogende Menge zu sehen und die rothgeweinten
Augen, aus denen häufig Thränen flossen. Die allgemeine stille Rührung wurde
nur durch ein bisweilen hörbares Schluchzen unterbrochen: ein sprechender
Beweis, wie sehr der Verewigte geschätzt, geliebt und geachtet wurde und wie
tiefen Eindruck der Verlust diese verdienstvollen Mannes machte. An seinem
Grabe weinten seine trostlose, gute Mutter, seine würdige Gattin, 4 unerzogene
Kinder und seine achtungswürdigen Geschwister. [...] Mit flammender
Begeisterung und väterlicher Fürsorge verwandte er sich für die Armen um
Unterstützung und Nahrung». (hil)
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