16. September 2018

Unterqualifizierte Lehrer

Die geburtenstarken Jahrgänge beginnen derzeit die obligatorische Schule. Das Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlichte am Montag das Szenario für das Bildungssystem 2018 bis 2027. Demnach wird auf allen Stufen ein Anstieg von 12 bis 15 Prozent erwartet. Den kräftigsten Anstieg der Schülerzahlen wird es auf Sekundarstufe I geben: Die Statistiker prognostizieren bis 2027 einen Anstieg von 15 Prozent auf 274'600 Schüler. Im Kanton Zürich wird auf Sekundarstufe ein Schüleranstieg von 25 Prozent erwartet.
Führt der Lehrermangel zu schlechten Lehrern? 20 Minuten, 14.9.


Laut Prognose des BFS wird gleichzeitig der Bedarf von Lehrpersonen auf Sekundarstufe I von 2017 bis 2022 um 7 Prozent wachsen, während er auf Primarstufe insgesamt stabil bleibt. Zudem ist laut dem Bericht die Zahl der Pensionierungen bei den Lehrkräften der obligatorischen Schule gegenwärtig auf einem Höchststand. Im Jahr 2017 wurden fast 40 Prozent mehr Austritte verzeichnet als 2010.

Unterqualifizierte Lehrpersonen
Mit steigenden Schülerzahlen fehle es zunehmend an guten Lehrern, sagt SP-Grossrat und Primarlehrer Roland Näf. «Es steht nicht niemand vor der Klasse, sondern eine unterqualifizierte Person.» Der Beruf müsse mit dem Lohn attraktiver gemacht werden und Lehrer müssten besser auf ihre soziale und schulische Kompetenz geprüft werden.
In einer Medienmitteilung schreibt die SP Bern, dass zunehmend Studenten eingesetzt würden, damit überhaupt Unterricht stattfinden könne. Gleichzeitig fahre der Kanton Bern fort mit einer Anstellungspolitik, die es den Schulen ermögliche, Personen ohne Lehrdiplom anzustellen.

Lockere Anstellungspolitik für Schulen
Auch in anderen Kantonen wie Zürich und Aargau kann die Schulleitung eine Lehrperson ohne Qualifikation einstellen, wenn das Diplom nachgeholt wird. Sollte der Lehrermangel zu hoch sein, sind temporäre Lockerungen der Regeln in den meisten Kantonen möglich.
Näf spricht aus eigener Erfahrung. «Wir haben auf eine ausgeschriebene Stelle eine einzige Bewerbung. Aus Not wird diese Person trotz fehlender Qualifikationen angestellt», sagt Näf. Es bräuchte eigentlich vor allem auf Primarstufe immer mehr Heilpädagogen und Lehrer mit Spezialausbildung.

Den Quereinsteigern fehle das Herzblut
«Wir müssen immer mehr ausländische Lehrer und Quereinsteiger einstellen», sagt Näf. Als Quereinsteiger würden sich auch Menschen bewerben, die nicht aus Leidenschaft unterrichten, sondern ihren jetzigen Beruf nicht mögen. Unterqualifizierten Personen fehle auch die soziale Kompetenz, um Elterngespräche richtig zu führen und die Kinder heilpädagogisch zu unterstützen.

Ähnlich sei dies an der Pädagogischen Hochschule, sagt Näf: «An die PH geht, wer in Jus oder Medizin gescheitert ist.» Auch der Bildungsbericht 2018 belegt: An der PH schreiben sich Studierende ein, die bereits andere Studiengänge abgebrochen haben.
Professor Urban Fraefel, Leiter des Instituts der Sekundarstufe an der PH der Fachhochschule Nordwestschweiz, sieht durch die lockeren Anstellungsbedingungen ein weiteres Problem: «Es kommen zunehmend Lehrpersonen ganz ohne Ausbildung zum Einsatz. Somit können sie nicht mit den Belastungen des Berufs umgehen», worauf im Studium vorbereitet werde. «Unterqualifizierte Personen sind anfälliger für ein Burn-out», meint Fraefel.

«Quereinsteiger legen sich ins Zeug»
Paul Bitschnau, Schulleiter der Bezirksschule Wohlen, bestätigt den Handlungsspielraum bezüglich Anstellungsbedingungen. Die vom Kanton Aargau geforderte «stufenentsprechende Grundausbildung» für Lehrer könne relativ frei umgesetzt werden. «Ich stelle aber niemanden an ohne Erfahrung oder Ausbildung», sagt Bitschnau. Zum Teil müsse deshalb auf pensionierte Lehrer zurückgegriffen werden.

Berufskollege Ueli Frey, Schulleiter auf der Primarstufe in Wohlen, ist selbst Quereinsteiger. Quereinsteiger seien motivierte Studierende und Lehrer: «Viele waren über 40 Jahre alt. Sie geben Gas, da sie so spät den Beruf noch wechseln.»

Dozenten und Studierende hätten schnell gemerkt, dass Menschen mit Lebenserfahrung die Schule bereicherten, sagt Frey. «Während drei Jahren konnten Quereinsteiger aber auch im Sommer als Lehrer angestellt werden und erst ab Herbst Teilzeit an der PH studieren. Das ist schon fragwürdig.» Die Erziehungsdirektion des Kantons Bern wollte zum Vorwurf keine Stellung nehmen.


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