Die
geburtenstarken Jahrgänge beginnen derzeit die obligatorische Schule. Das
Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlichte am Montag das Szenario für das
Bildungssystem 2018 bis 2027. Demnach wird auf allen Stufen ein Anstieg von 12
bis 15 Prozent erwartet. Den kräftigsten Anstieg der Schülerzahlen wird es auf
Sekundarstufe I geben: Die Statistiker prognostizieren bis 2027 einen Anstieg
von 15 Prozent auf 274'600 Schüler. Im Kanton Zürich wird auf Sekundarstufe ein
Schüleranstieg von 25 Prozent erwartet.
Führt der Lehrermangel zu schlechten Lehrern? 20 Minuten, 14.9.
Laut
Prognose des BFS wird gleichzeitig der Bedarf von Lehrpersonen auf
Sekundarstufe I von 2017 bis 2022 um 7 Prozent wachsen, während er auf
Primarstufe insgesamt stabil bleibt. Zudem ist laut dem Bericht die Zahl der
Pensionierungen bei den Lehrkräften der obligatorischen Schule gegenwärtig auf
einem Höchststand. Im Jahr 2017 wurden fast 40 Prozent mehr Austritte
verzeichnet als 2010.
Unterqualifizierte
Lehrpersonen
Mit
steigenden Schülerzahlen fehle es zunehmend an guten Lehrern, sagt SP-Grossrat
und Primarlehrer Roland Näf. «Es steht nicht niemand vor der Klasse, sondern
eine unterqualifizierte Person.» Der Beruf müsse mit dem Lohn attraktiver
gemacht werden und Lehrer müssten besser auf ihre soziale und schulische
Kompetenz geprüft werden.
In einer
Medienmitteilung schreibt die SP Bern, dass zunehmend Studenten eingesetzt
würden, damit überhaupt Unterricht stattfinden könne. Gleichzeitig fahre der
Kanton Bern fort mit einer Anstellungspolitik, die es den Schulen ermögliche,
Personen ohne Lehrdiplom anzustellen.
Lockere
Anstellungspolitik für Schulen
Auch in
anderen Kantonen wie Zürich und Aargau kann die Schulleitung eine Lehrperson
ohne Qualifikation einstellen, wenn das Diplom nachgeholt wird. Sollte der
Lehrermangel zu hoch sein, sind temporäre Lockerungen der Regeln in den meisten
Kantonen möglich.
Näf
spricht aus eigener Erfahrung. «Wir haben auf eine ausgeschriebene Stelle eine
einzige Bewerbung. Aus Not wird diese Person trotz fehlender Qualifikationen
angestellt», sagt Näf. Es bräuchte eigentlich vor allem auf Primarstufe immer
mehr Heilpädagogen und Lehrer mit Spezialausbildung.
Den
Quereinsteigern fehle das Herzblut
«Wir
müssen immer mehr ausländische Lehrer und Quereinsteiger einstellen», sagt Näf.
Als Quereinsteiger würden sich auch Menschen bewerben, die nicht aus
Leidenschaft unterrichten, sondern ihren jetzigen Beruf nicht mögen.
Unterqualifizierten Personen fehle auch die soziale Kompetenz, um
Elterngespräche richtig zu führen und die Kinder heilpädagogisch zu
unterstützen.
Ähnlich
sei dies an der Pädagogischen Hochschule, sagt Näf: «An die PH geht, wer in Jus
oder Medizin gescheitert ist.» Auch der Bildungsbericht 2018 belegt: An der PH
schreiben sich Studierende ein, die bereits andere Studiengänge abgebrochen
haben.
Professor
Urban Fraefel, Leiter des Instituts der Sekundarstufe an der PH der
Fachhochschule Nordwestschweiz, sieht durch die lockeren Anstellungsbedingungen
ein weiteres Problem: «Es kommen zunehmend Lehrpersonen ganz ohne Ausbildung
zum Einsatz. Somit können sie nicht mit den Belastungen des Berufs umgehen»,
worauf im Studium vorbereitet werde. «Unterqualifizierte Personen sind
anfälliger für ein Burn-out», meint Fraefel.
«Quereinsteiger
legen sich ins Zeug»
Paul
Bitschnau, Schulleiter der Bezirksschule Wohlen, bestätigt den
Handlungsspielraum bezüglich Anstellungsbedingungen. Die vom Kanton Aargau
geforderte «stufenentsprechende Grundausbildung» für Lehrer könne relativ frei
umgesetzt werden. «Ich stelle aber niemanden an ohne Erfahrung oder
Ausbildung», sagt Bitschnau. Zum Teil müsse deshalb auf pensionierte Lehrer
zurückgegriffen werden.
Berufskollege
Ueli Frey, Schulleiter auf der Primarstufe in Wohlen, ist selbst
Quereinsteiger. Quereinsteiger seien motivierte Studierende und Lehrer: «Viele
waren über 40 Jahre alt. Sie geben Gas, da sie so spät den Beruf noch
wechseln.»
Dozenten
und Studierende hätten schnell gemerkt, dass Menschen mit Lebenserfahrung die
Schule bereicherten, sagt Frey. «Während drei Jahren konnten Quereinsteiger
aber auch im Sommer als Lehrer angestellt werden und erst ab Herbst Teilzeit an
der PH studieren. Das ist schon fragwürdig.» Die Erziehungsdirektion des
Kantons Bern wollte zum Vorwurf keine Stellung nehmen.
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