Eine Umfrage «Erfüllt das
Fremdsprachenkonzept unsere Erwartungen?», organisiert von einer Partei mit
frühlingshaftem Blättchen als Identitätsmerkmal, fand 2016 statt. Die
unterschwellige Antwort lautete Nein.
Zwei
Jahre später erklingt in der Öffentlichkeit noch immer dieselbe Leier,
dissonant für die einen, mit Fuge für die andern, da nun das Baselbiet aus
Passepartout aussteigt. In diesem Kontext erhebt sich meine Stimme. Würde sie
erklingen, würde sie singen. So lesen Sie meine Argumente pro Frühfranzösisch
und pro «Mille feuilles», frisch aus der Schulstube rapportiert, am besten
tirilierend.
Neue Töne für eine alte Leier, Basler Zeitung, 2.5. von Claudia Gradinger
Frage der
Ein- und Anstellung
Tatsächlich
war die Einarbeitung in dieses Lehrmittel eine Herausforderung. Sich durch das
komplexe Angebot der Aufgaben durchzuringen, verlangte der Lehrerschaft und den
Schülerinnen und Schülern einiges ab. Vergleichbar mit einem Fahrradbau –
tausend Teile und erst noch Zahnräder, die es zu montieren gilt. Allenfalls
standen mir die Haare zu Berge aber deswegen gehe ich nicht bis zum Bundesrat
und schreie Zeter und Mordio. Mittlerweile unterrichte ich erfolgreich mit
«Mille feuilles» seit vier Jahren, insgesamt zehn Klassen, 3. bis 6. Primar.
Nach
anfänglicher Aufregung scheinen sich die Eltern, einige ausgenommen, beruhigt
zu haben. Die Kinder haben ihre Anpassungsfähigkeit schon längst unter Beweis
gestellt und unter den Lehrkräften gibt es weiterhin negative und positive
Stimmen. Welche Methode auch immer angewendet wird, jede Lehrperson hat
schliesslich ihren eigenen Unterrichtsstil. Zudem ist «Mille feuilles» auf den
Lehrplan 21 abgestimmt.
Test auf
französischem Markt
«Mille
feuilles» könne die Motivation bei den jüngeren Kindern nicht entfachen. Sie
würden keinen noch so einfachen Satz sagen können, sagen die Kritiker am
Lehrmittel. Mit einer 3. Klasse fuhren wir nach Mülhausen zum grössten Markt
Ostfrankreichs mit dem Ziel, dort selbstständig Lebensmittel und anderes
einzukaufen.
In
der 3. Klasse kommt das Thema Markt vor. Die Schüler lernten den im «Mille
feuilles» vorgegebenen Alltagswortschatz, Zahlen von 0 bis 10 und
«Parallelwörter» (z.B. ananas, banane ...). Vor Ort wurden die Kinder in kleine
Gruppen aufgeteilt. Es ging darum, Marktartikel auszusuchen, zu bezahlen,
«Merci» und «Auf Wiedersehen» zu sagen. Ein Junge handelte sogar seine
Schirmmütze runter. So kamen sie alle nach Hause mit «bananes», «ananas»,
«tomates», wie auch mit «baguette» und «fromage».
Einige
Eltern gaben spontan Feedback, wie glücklich und stolz ihre Kinder
zurückkehrten. Auch ich machte meine Umfrage bei den Kindern, indem sie den
Prozentkuchen ausmalen durften zur Frage: Wie viel hast du Französisch geredet
und verstanden? Alle Kuchen waren über die Hälfte gefüllt. Wer das erste
3.-Klass-Magazine kennt, weiss, dass darin nicht nur vom berüchtigten «monstre
de l’alphabet» die Rede ist, dass nicht nur das Verb «chatouiller», welches die
breite Öffentlichkeit so interessiert, gelernt wird, sondern eben auch der
praxisbezogene Alltagswortschatz.
Auch
Grammatik gibt es. Sie ist in der Revue themenspezifisch geordnet, mit
unbeschriebenen Seiten versehen und fordert die Schüler nochmals auf, die im
Parcours erlernten Grammatikregeln mit eigenen Worten zu erfassen: Kluge
Kunstwerke entstehen so.
Mit MF lerne
man kein Französisch
Mit
4. Klassen fuhren wir innerhalb der tollen «Zusatzangebote Passepartout» in die
«Petite Camargue Alsacienne». Die Kids erlebten dort die Naturreserve hautnah,
geführt wurden sie von einer zweisprachigen Leiterin. Sie erklärt, stellt
Rätsel und gibt Anweisungen. Für eine der 4. Klassen bat ich sie, dies alles
auf Französisch zu tun. Ich traute es den Kindern zu, über zwei Stunden
Französisch zu hören, zu verstehen und zu lesen. Indem die Kinder die Antworten
auf die Rätsel fanden, war klar, dass sie Französisch nicht nur laut vorlesen
können, sondern auch verstehen.
Fremde
Muttersprachen: In der besagten 4. Klasse haben bis auf zwei Kinder alle eine
fremde Muttersprache. Eben diese Klasse ist eine starke «Rede-Klasse». Nicht
erstaunlich: Studien haben ergeben, dass Kinder mit fremder Muttersprache,
unter der Voraussetzung, dass sie diese gut beherrschen, eine neue Sprache
einfacher dazulernen als monolinguale Kinder. Die Heterogenität als
Bereicherung zu sehen, hängt zweifellos von den Wertvorstellungen jeder
(Lehr-)Person ab. Ich mag es, die Kinder so viel wie möglich sprechen zu
lassen. «Nous parlons français», heisst es im Mille feuilles. Mit Hand und Fuss
reden sie zu ausgewählten Themen drauflos: Ambiance pur, Topmotivation! Fehler
sind willkommen, die Scheu zu reden, bleibt in der Garderobe. Mit fein
säuberlich erstellten Konjugationslisten haben wir noch nie Brot eingekauft und
auch nicht über Gott und die Welt diskutiert, oder?
An
dieser Stelle richte ich meine Gedanken an alle Französischlehrkräfte, die mit
viel Engagement und Professionalität ihre Schüler mit «Mille feuilles»
effizient unterrichten. Denn es gibt sie und sie sind auf der Höhe ihrer hohen
Ambitionen. Wie dringen wohl die argwöhnischen Bemerkungen «Die Kinder lernen
kein Französisch» zu deren Ohren? Ich stelle mir vor als Ohrfeige.
Lehrer
würden kulant bewerten
Mit
vier 6. Klassen habe ich die P6-Checks durchgeführt. Obschon ich keine Vertreterin
solcher Standardevaluierungen bin, boten diese einen Rahmen (und hier wohl
gleich erneuten Gesprächsanlass), über diesen man feststellen kann, wo ich als
Lehrperson «auf Kurs» bin bezüglich Bewertung der Leistungserhebungen. Die
Checks sind nicht auf «Mille feuilles» abgestimmt. In allen vier Klassen deckte
sich der von mir ausgerechnete Klassendurchschnitt mit demjenigen der Checks.
Erstaunlicherweise schnitten die Klassen im Französisch am besten ab im
Vergleich mit den anderen geprüften Fächern.
Die
Kinder wurden «nur» auf Hör- und Leseverstehen geprüft. Zählte man ihre
Sprechkompetenz zur Beurteilung, dann würde ich das abverdiente Stück vom
Kuchen mit Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, gerne teilen.
Liedtexte
seien zu anspruchsvoll
Vielerlei
Wortschatz zieht sich wie ein roter Faden durch Lieder und Texte bis hin zum
letzten 6.-Klass-Parcours. Tricks, wie man einen Text, von dem man anfangs nur
«Bahnhof» versteht, erschliessen und verstehen kann, kennen die Schulkinder
seit der 3. Klasse.
In
der PS Brunnmatt übten im Jahr 2017 alle in den Genuss des
Französischunterrichts kommenden 240 Kinder von der 3. - 6. Klasse das Lied
«On ira» von ZaZ ein, das im Magazine der 6. Klasse angeboten wird.
Eine
Herausforderung, die unsere Lehrkräfte gerne auf sich nahmen, um dem
Französisch seine verdiente Stimme zu verleihen. Alle Schülerinnen und Schüler
sangen «On ira» auswendig auf dem Pausenplatz. Das Lied war anspruchsvoll, die
Erarbeitung ebenso. Doch mit welcher Genugtuung verliessen die 6. Klässler die Primar
Richtung Sek, stolz sangen die jüngeren eifrig mit und mit Freude beklatschten
die Eltern ihre Sprösslinge.
«On
ira», ein Lied der Toleranz, als Aufruf zur «geistigen Öffnung» gegenüber
Neuem.
Claudia
Gradinger, Fachschaftspräsidentin Fremdsprachen der Primarschule und Lehrerin.
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