13. April 2018

Ausser Spesen nichts gewesen

Fremdsprachen lernen, je früher desto besser, ist ein Mythos! Der Mythos entsteht durch die Tatsache, dass mehrsprachig aufwachsende Kinder eine Zweit-, ja selbst mehrere Sprachen intuitiv aufnehmen können. Dazu müssen jedoch drei Bedingungen erfüllt sein: 

1. Die Sprachen müssen im sozialen Umfeld dauernd und über lange Zeit gesprochen werden.
2. Sie müssen in möglichst verschiedenem, motivierendem Kontext und ohne Leistungsdruck vermittelt werden.
3. Die Kontaktpersonen müssen authentisch in ihrer Muttersprache (oder fast muttersprachlich) sprechen. 
Zu-früh-Fremdsprachen, Bündner Tagblatt, 11.4. von Marianne Manzanell



Sind diese Bedingungen erfüllt, nehmen die Kinder die Fremdsprache in ihrem Muttersprachen-Zentrum des Gehirns auf. Sie entwickeln ein Gefühl für die grammatikalischen Eigenheiten der Fremdsprache, sie "hören", ob ein Ausdruck richtig gebraucht wurde, ohne zu wissen, warum. Im Lektionenlernen wird die Sprache systematisch anders und in einem anderen Hirnareal festgehalten.

In der Diskussion um die Frühsprachen werden muttersprachliches Lernen und Lektionenlernen nicht unterschieden. Lehrer, Eltern und Schüler erfahren nun dauernd, wie brutal unspielerisch in unserem Schulsystem der Fremdsprachenunterricht vermittelt werden muss. Nämlich in zwei Wochenlektionen, von Sprachkursabsolventen, unter Druck, da die Noten für die Promotionen und den Übertritt in die Oberstufen zählen. Damit wird verifiziert, was Hirnforscher und Sprachwissenschafter längst wissen: Das Lektionenlernen besteht aus büffeln von Vokabeln, Grammatik, Satzstellungen und nicht spielerisch! Untersuchungen der Linguistin Simone Pfenninger haben zudem ergeben, dass für die Kinder, wenn in Lektionen gelehrt wird, gute Kenntnisse der Erstsprache entscheidend sind.

In der dritten Primarklasse sind sie noch nicht genug gefestigt in der Erstsprache. Auch Mathe kann man nicht begreifen, solange man sich in den Grundoperationen nicht auskennt!

Grammatikverständnis verlangt abstraktes Denkvermögen. Nach dem Psychologen Jean Piaget ist das Hirn von Kindern erst etwa nach dem zwölften Altersjahr genügend ausgebildet, um abstrakt denken zu können. Tests bestätigen: Die Grühsprachenvermittlung bringt ausser grossen Kosten nichts. 

Sprachlehrer an der Kantonsschule bestätigen, Schüler, die ohne entsprechende Fremdsprachen-Vorkenntnis aus der Primarschule in die Oberstufe wechseln, haben nach ein paar Wochen die gleichen Kompetenzen, wie die Primarschüer nach jahrelangem Frühsprachenunterricht. Mit den solideren Kenntnissen in den Strukturen der Muttersprache und der weiter fortgeschrittenen Gehirnentwicklung holen die Schüler in ein paar Wochen auf, was den armen Primarschülern im Frühsprachenunterricht eingetrichtert wurde. Die Praxis zeigt mit jedme Jahr: Sind die schüler älter, lernen sie effizienter und besser.

Der Frühsprachenunterricht hat weitere miese Konsequenzen. Die Schüler werden verheizt, da sie für die angewendete Methode nicht reif sind. Die Kompetenz in der Muttersprache leidet unter dem grossen Aufwand für die Erreichung der utopischen Ziele in den Fremdsprachen. Das ungenügende Ausdruck- und Textverständnis in der Erstsprache wirkt sich auf die übrigen Fächer negativ aus. Auf der Stecke bleiben die Schüler, die zu Hause eine weitere Erstsprache sprechen. Mehr technisch begabte Schüler scheiern an der Sprachhürde für den Eintritt in die Höheren Bildungsstätten. Sie sind ausfiltiert für die Mint-Fächer (Mathe, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Die Schweiz braucht viele Mint-Leute. Die Überbewertung der Sprachfächer als Voraussetzung für den Eintritt in eine höhere Schule ist extrem kontraproduktiv und am Bedürfnis der Wirtschaft vorbeiproduziert.

Nicht zu vergessen, die Tausende von Aufgabenstunden, die vergossenen Tränen, die untergegangene Schulmotivation, die gestressten Eltern, alles wegen eines längst theoretisch und praktisch widerlegten Mythos, Fremdsprachen, je früher desto besser.

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