Physikunterricht, der mehr ans Vorwissen von
Schülerinnen und Schülern anknüpft, führt zu besseren Leistungen. Insbesondere
überdurchschnittlich intelligente Mädchen profitieren davon, wie Forschung der
ETH Zürich zeigt.
Gezieltes Scheitern verbessert Physikverständnis, Swissinfo.ch, 26.3.
Viele Schülerinnen und Schüler haben Mühe im
Physikunterricht, weil sie grundlegende Begriffe missverstehen. Eine von
ETH-Forschenden entwickelte Unterrichtsmethode setzt auf gezieltes Scheitern
und verbessert die Leistungen - besonders bei Mädchen.
Was ist der Unterschied zwischen Masse und Gewicht?
Die wenigsten Schüler können grundlegende Konzepte der Physik richtig erklären
- nicht einmal die Besten. Allerdings liegt das Problem nicht bei den Schülern.
"Unsere Forschung lässt schliessen, dass es meist am Unterricht liegt,
wenn gute Schüler Physik nicht verstehen", sagt Elsbeth Stern, Professorin
für Lehr- und Lernforschung an der ETH Zürich.
Selbst kleine Veränderungen am Unterricht können
viel bewirken, wie eine Studie des Forschungsteams um Sarah I. Hofer und Stern
zeigt. Ihre Methode setzt darauf, dass sich Schülerinnen und Schüler mit ihrem
Vorwissen auseinandersetzen, wie aus einer Mitteilung der ETH Zürich vom Montag
hervorgeht.
Gegen falsche Vorstellungen
In der Physik ist die Aktivierung des Vorwissens
laut Stern besonders wichtig: "In kaum einem Fach liegen Intuition und
Wirklichkeit so weit auseinander." Formeln auswendig zu lernen reiche
nicht. Vielmehr sei ein grosser mentaler Effort nötig, um physikalische
Konzepte wie Kraft, Masse oder Beschleunigung zu verstehen. Viele Schüler
hätten eine falsche Vorstellung von diesen Begriffen.
Die am Mint-Lernzentrum der ETH Zürich entwickelte
Unterrichtseinheit setzt bei diesen falschen Vorstellungen an und lässt die
Schüler beispielsweise gezielt scheitern. So werden ihnen Aufgaben gestellt,
die sie mit ihrem bestehenden Wissen nicht lösen können. Erst danach erläutert
die Lehrperson das zugrundeliegende Konzept.
In einem Experiment zeigten die Forschenden, dass
diese Methode im gymnasialen Schulalltag funktioniert. Zunächst entwickelte die
Forschungsgruppe zusammen mit erfahrenen Physiklehrkräften eine
Unterrichtseinheit mit 18 Lektionen zu Newtons Mechanik. Danach wurden
Gymnasiallehrer in der neuen Methode geschult. Diese unterrichteten danach
jeweils eine Parallelklasse mit der herkömmlichen Methode und eine mit der
neuen.
Weniger Geschlechtsunterschiede
Überprüft wurden die Leistungen von insgesamt 172
Schülerinnen und Schülern vor der Unterrichtsreihe, unmittelbar danach und noch
einmal nach drei Monaten. Es zeigte sich, dass die Schüler, die nach der neuen
Methode unterrichtet worden waren, besser abschnitten. Sie verbesserten nicht
nur ihr konzeptionelles Verständnis, sondern rechneten auch besser, wie die
Forschenden in der Fachzeitschrift "Journal of Educational
Psychology" berichten.
Den grössten Leistungsunterschied fanden Stern und
ihre Kollegen bei den überdurchschnittlich intelligenten Mädchen. Mit dem
angepassten Unterricht holten diese gegenüber den Knaben markant auf. Der
sogenannte Gender-Gap schloss sich zwar nicht ganz, verkleinerte sich aber
deutlich.
Nun wollen die Forschenden ihre Methode mit
Feinkorrekturen weiter verbessern. Sie erhoffen sich, dass Schülerinnen und
Schüler noch mehr davon profitieren können.
Auf jeden Fall geht die Bildungsforscherin davon
aus, dass ihre Studie ein Umdenken bewirkt. "Wir werden uns nun noch
überzeugter an jene Physiklehrer wenden, die das Fach immer noch vorwiegend mit
Rechenübungen vermitteln", so Stern gemäss der Mitteilung.
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