Aus Finanznot
gehen viele amerikanische Schulen Deals mit Großkonzernen wie Apple, Amazon oder
Google ein. Dabei spielen die Lehrer eine wichtige Rolle. Sie gehen mit den
Unternehmen einen moralisch fragwürdigen Pakt ein.
Lehrer Provenzano mit seinen gesponserten Technik-Spielereien. Quelle: Stefan Beutelsbacher
Der gekaufte Lehrer, Welt, 1.3. von Stefan Beutelsbacher
Es ist früh am Morgen, als der Mann, den einige hier für
einen Magier halten, das Klassenzimmer betritt. „Hey Leute“, ruft Nicholas
Provenzano, „seid ihr bereit?“ Der Lehrer will keine Zeit verlieren, er weiß,
seine Schüler sind ungeduldig.
„Mister
P.“, wie sie ihn nennen, bahnt sich seinen Weg durch die Stuhlreihen und stellt
sich vor ein Regal. Er blickt die Kinder an und lächelt, dann schaltet er den
Dremel 3D40 ein, einen 3-D-Drucker.
Der
Apparat, groß wie eine Mikrowelle, beginnt zu summen. Es fasziniert die Jungen
und Mädchen, was Mister P. damit anstellen kann: Dinge in allen Formen und
Farben erschaffen, scheinbar aus dem Nichts. An diesem Montag produziert der
Lehrer an seiner Schule nahe Detroit, USA, Teile für ein Thermometer. Die
Kinder lernen gerade einiges über Temperatur, sie sollen in der kommenden Woche
messen, wie kalt es auf ihrem Pausenhof ist.
Günstig
ist dieses Ding nicht, das die Klasse so liebt. Der Drucker, den Provenzano in
seinem Unterricht nutzt, kostet 1299 Dollar. Wie kann eine Schule sich so etwas
leisten? Das geht nur, weil Mister P. mehr ist als ein einfacher Lehrer. Er ist
auch Markenbotschafter der Firma
Dremel. Der Deal, den er geschlossen hat, ist
heikel. Dremel sponsert den Drucker, dafür wirbt Provenzano für ihn: in der
Schule, in seinen Klassen.
Finanznot zwingt
Schulen zu fragwürdigen Deals
Provenzano, 38 Jahre alt, Hornbrille,
Dreitagebart, zählt in den USA zu einer neuen Art Lehrer. Er ist Teil einer
wachsenden Gemeinde von Pädagogen, die einen Pakt mit der Wirtschaft eingehen.
Sie lassen sich von Tech-Firmen mit dem Neuesten und Besten ausstatten – und
preisen im Gegenzug die Produkte gegenüber Kollegen und Schülern.
Google, Amazon, Apple, Microsoft, sie alle sind in den Klassenzimmern
des Landes vertreten. Amerikas Rektoren heißen die Konzerne willkommen, ohne
ihre Hilfe könnten sie sich moderne Geräte wie Laptops, Tablets oder sogar
3-D-Drucker kaum leisten. Viele Lehrer müssen ja schon das Kopierpapier aus
eigener Tasche zahlen.
Aber
nicht nur in der Bildung, auch in vielen anderen Bereichen übernimmt die
Wirtschaft Aufgaben, für die eigentlich der Staat zuständig ist. Amazon-Chef
Jeff Bezos hat angekündigt, eine Krankenkasse zu gründen. Bill Gates leistet in
einer Zeit, in der Amerika die Mittel für ärmere Länder kürzt,
Entwicklungshilfe. Elon Musk, der gerade einen Tesla ins Weltall schoss,
entstaatlicht mit seiner Firma SpaceX die Raumfahrt.
Tweets und Facebook-Posts als Gegenleistung
Der
Grund ist simpel: Viele öffentliche Einrichtungen leiden unter Geldnot,
erscheinen aufgeblasen, träge. Besserung ist nicht in Sicht. Präsident Donald
Trump gibt lieber Geld für die Armee aus als für Bildung oder Forschung. „Die
Regierung funktioniert derzeit nicht so gut wie früher“, sagte kürzlich
Apple-Chef Tim Cook. Seine Lösung: „Die Wirtschaft muss einspringen.“
Konzerne
werden in der Ära Trump sogar allmählich zu einer Art moralischen Instanz. Als
der Präsident im vergangenen Jahr einen Neonazi-Aufmarsch kleinredete, meldeten
sich Manager zu Wort, um Gewalt und Rassismus zu verurteilen. Die Wirtschaft,
so scheint es, kann derzeit manche gesellschaftliche Pflicht besser erfüllen.
Trakt
M, Raum 114, das Klassenzimmer von Lehrer Provenzano sieht chaotisch aus. Kabel
verlaufen kreuz und quer über die Tische, in den Ecken des Raumes stapeln sich
Kisten mit Computerchips. Auf dem Boden liegen Bausätze, aus denen die Schüler
Roboter und ferngesteuerte Autos basteln. Vieles von dem, was man hier sieht,
ist gesponsert wie der Drucker.
Dafür
revanchiert sich Provenzano, indem er das Gerät im Internet bejubelt. Auf
Twitter schreibt er: „Lob an Dremel für das großartige Werkzeug, das mir hilft,
meine Projekte zu verwirklichen.“ Auf Instagram postet Provenzano Bilder von
Gegenständen, die seine Schüler erschaffen haben: Miniaturhäuser, ein
Brillengestell, ein Modell der Sphinx. Auf YouTube ist ein Video zu sehen, in
dem er einen Türstopper mit seinen Initialen NP herstellt.
Firmen locken Lehrer wie Big Pharma die Ärzte
So
etwas kann sich für Lehrer lohnen, sie erhalten kein Geld, aber viele
Annehmlichkeiten. TenMarks, ein Internetportal, das zu Amazon
gehört und Arbeitsblätter für den Mathematik-Unterricht anbietet, versprach
Pädagogen einen Einkaufsgutschein über 80 Dollar, wenn sie einen positiven
Blogbeitrag schreiben.
Andere
Unternehmen laden Lehrer zu Abendessen ein oder fliegen sie zu Konferenzen in
aller Welt, so wie es früher Pharmakonzerne mit Ärzten machten. Vor allem aber
werden die Lehrer, die die schöne neue Technik im Unterricht einsetzen, zu
Stars der Pädagogik, denen im Internet Zehntausende Menschen folgen. Firmen und
Schulen zahlen viel Geld, um sie als Redner oder Berater zu engagieren. Einige
sind so bekannt, dass sie Tagessätze von mehreren Tausend Dollar erhalten.
Provenzano
sieht darin kein Problem, im Gegenteil. „Kooperationen mit Unternehmen sind für
viele Schulen die einzige Chance, an jene Technologien zu kommen, die im
späteren Leben der Kinder eine Rolle spielen werden“, sagt er.
Ist
es wirklich so einfach? Tatsächlich können Pädagogen wie er eine Hilfe sein,
wenn öffentliche Etats knapp sind. Sie nehmen die Sache selbst in die Hand.
Lässt der Staat sie hängen, verbünden sie sich mit der Wirtschaft. Die
Super-Lehrer aus Amerika scheinen wenig mit ihren deutschen Kollegen gemein zu
haben, denen manche nachsagen, sie seien behäbig, schläfrig. Provenzano ist der
Gegenentwurf zum Staatsdiener, er ist ein Anti-Beamter.
Doch
der neue Lehrer-Typus gefällt nicht allen. „Wenn sich Lehrer und Unternehmen
zusammentun, ist das eine fragwürdige Sache“, sagt etwa der amerikanische
Jura-Professor Joel
Reidenberg, ein anerkannter Bildungsexperte. „Dann liegt ein
Interessenkonflikt vor.“ Er ist nicht der Einzige, der fürchtet, dass Pädagogen
ihre Unabhängigkeit verlieren. Denn die Allianz mit der Wirtschaft bedeutet
Verpflichtungen.
Ein Vertrag der Firma Dremel, der
dieser Zeitung vorliegt, belegt das. Wer einen Drucker möchte, muss jeden
zweiten Monat ein vier Minuten langes Video über das Gerät drehen, drei Beiträge
in sozialen Medien posten und auf zwei Konferenzen sprechen. Ein Lehrer, der das
unterschreibt, wird kaum ein anderes Produkt bewerben, das er vielleicht viel
besser findet – sondern jenes, das man ihm gesponsert hat. Der deutsche Beamte
mag ein wenig gestrig wirken, aber eben auch unbestechlich.
Bill Gates
Entwicklungshilfe ersetzt den Staat
Eine Hochschule in New York, ein
Hörsaal. Auf der Bühne, auf der sonst die Professoren ihre Vorlesung halten,
sitzt an diesem Vormittag Bill Gates, der Gründer des Software-Riesen
Microsoft. Er trägt eine graue Hose, darüber einen blauen Pullover, auf dem
Tisch neben ihm steht eine Cola Light. Er ist gekommen, um über das zu
sprechen, wofür er den größten Teil seines Vermögens ausgibt:
Entwicklungshilfe.
Seine Stiftung ist im globalen Kampf
gegen Armut und Krankheit ein wichtiger Akteur geworden. Sie beschäftigt 1500
Menschen: Ökonomen, Ingenieure, Ärzte, Biologen, Chemiker, Politikberater. Ihre
Mission ist es, Malaria und Aids auszulöschen, Schulen und Büchereien zu bauen,
gesunden Reis und Weizen zu entwickeln. Sie sollen also Dinge erreichen, für
die lange Zeit Regierungsstellen zuständig waren, in Amerika die Behörde USAID.
Das Problem ist: Zuletzt hat sich Amerikas Regierung wenig für ärmere Länder
interessiert.
„Seit Jahrzehnten sind die USA
führend, wenn es darum geht, anderen Staaten zu helfen“, sagt Gates. Aber Trump
habe nun vor, die Gelder zu kürzen. „Ehrlich gesagt, mir macht diese
America-first-Weltsicht Angst.“
Konzerne gründen
eigene Krankenkasse
Die Gates-Stiftung hat einen großen
Vorteil gegenüber staatlichen Stellen: kein Präsident der Welt kann ihr das
Geld streichen. Ihr Budget speist sich aus dem Vermögen einer globalen
Geldelite. Im Jahr 2017 gaben die Helfer vier Milliarden Dollar aus – doppelt
so viel wie die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit.
Kritiker bemängeln, dass solche
Stiftungen undemokratisch sind. Dass anstelle des Volkes Milliardäre und
Konzerne entscheiden, wem in der Welt geholfen wird. Für Gates dagegen
überwiegen die Vorteile. „Wir arbeiten mit Unternehmen zusammen, weil sie Dinge
machen können, die andere nicht schaffen“, sagt er.
Drei
andere Superreiche sehen es wie er. Sie glauben, dass sie es besser können als
der Staat. Jeff Bezos, Amazon-Gründer, Warren Buffett, Großinvestor, und Jamie
Dimon, Chef der Bank JPMorgan,
planen nichts weniger, als das amerikanische Gesundheitssystem
zu revolutionieren. Sie wollen eine eigene Krankenkasse gründen. Zunächst für
die Mitarbeiter ihrer Unternehmen. Eines Tages aber sollen sich dort alle
Amerikaner versichern können.
Die
USA stecken mehr Geld in ihr Gesundheitssystem als jeder andere Staat der Welt,
dennoch sinkt die Lebenserwartung der Bürger. Auch in Deutschland wachsen die
Ausgaben. Im vergangenen Jahr wurde zum ersten Mal die Marke von einer
Milliarde Euro pro Tag überschritten. Vielleicht lässt sich die Vision von
Bezos, Buffett und Dimon eines Tages übertragen?
Lösen Firmen künftig die Probleme eines
Staats?
Sie
wollen neue Technologien nutzen, um die Kosten in den Griff zu bekommen. So
sollen die Menschen ihre Daten in Apps sammeln, auf die Ärzte zugreifen können.
Wie viel Sport treibt der Patient, wie ernährt er sich, trinkt er? Wenn all
diese Informationen mit einem Mausklick oder Wisch abrufbar sind, so die Logik,
lässt sich schneller die richtige Behandlung finden. Kritiker dagegen fürchten
eine Welt der Überwachung, wenn sich Tech-Konzerne um die Gesundheit von
Menschen kümmern, nicht der Staat. Der Mensch unter ständiger Beobachtung, ein
Lieferant kostenloser Daten, die sich gut verkaufen lassen.
Es
ist das ewige Dilemma, ob in der Gesundheit, in der Entwicklungshilfe oder in
der Bildung: Der Vorteil, den die Wirtschaft in die Politik einbringen könnte,
hat ihren Preis. Und es kann passieren, dass zwischen Idee und Wirklichkeit
Welten liegen.
Facebook-Gründer
Mark Zuckerberg ist dafür ein gutes Beispiel. 2010 spendete er 100 Millionen
Dollar, um die Schulen des Bundesstaates New Jersey zu modernisieren. Sie
sollten zum strahlenden Vorbild der Nation werden. Später zeigten
Untersuchungen, was mit Zuckerbergs Geld tatsächlich geschehen war: Die
Rektoren nutzten den größten Teil, um ihren Lehrern mehr Urlaub zu geben.
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