1. März 2018

Fragwürdiger Pakt mit Grossfirmen

Aus Finanznot gehen viele amerikanische Schulen Deals mit Großkonzernen wie Apple, Amazon oder Google ein. Dabei spielen die Lehrer eine wichtige Rolle. Sie gehen mit den Unternehmen einen moralisch fragwürdigen Pakt ein.
Lehrer Provenzano mit seinen gesponserten Technik-Spielereien. Quelle: Stefan Beutelsbacher
Der gekaufte Lehrer, Welt, 1.3. von Stefan Beutelsbacher


Es ist früh am Morgen, als der Mann, den einige hier für einen Magier halten, das Klassenzimmer betritt. „Hey Leute“, ruft Nicholas Provenzano, „seid ihr bereit?“ Der Lehrer will keine Zeit verlieren, er weiß, seine Schüler sind ungeduldig.
„Mister P.“, wie sie ihn nennen, bahnt sich seinen Weg durch die Stuhlreihen und stellt sich vor ein Regal. Er blickt die Kinder an und lächelt, dann schaltet er den Dremel 3D40 ein, einen 3-D-Drucker.

Der Apparat, groß wie eine Mikrowelle, beginnt zu summen. Es fasziniert die Jungen und Mädchen, was Mister P. damit anstellen kann: Dinge in allen Formen und Farben erschaffen, scheinbar aus dem Nichts. An diesem Montag produziert der Lehrer an seiner Schule nahe Detroit, USA, Teile für ein Thermometer. Die Kinder lernen gerade einiges über Temperatur, sie sollen in der kommenden Woche messen, wie kalt es auf ihrem Pausenhof ist.

Günstig ist dieses Ding nicht, das die Klasse so liebt. Der Drucker, den Provenzano in seinem Unterricht nutzt, kostet 1299 Dollar. Wie kann eine Schule sich so etwas leisten? Das geht nur, weil Mister P. mehr ist als ein einfacher Lehrer. Er ist auch Markenbotschafter der Firma Dremel. Der Deal, den er geschlossen hat, ist heikel. Dremel sponsert den Drucker, dafür wirbt Provenzano für ihn: in der Schule, in seinen Klassen.

Finanznot zwingt Schulen zu fragwürdigen Deals

Provenzano, 38 Jahre alt, Hornbrille, Dreitagebart, zählt in den USA zu einer neuen Art Lehrer. Er ist Teil einer wachsenden Gemeinde von Pädagogen, die einen Pakt mit der Wirtschaft eingehen. Sie lassen sich von Tech-Firmen mit dem Neuesten und Besten ausstatten – und preisen im Gegenzug die Produkte gegenüber Kollegen und Schülern.

Google, Amazon, Apple, Microsoft, sie alle sind in den Klassenzimmern des Landes vertreten. Amerikas Rektoren heißen die Konzerne willkommen, ohne ihre Hilfe könnten sie sich moderne Geräte wie Laptops, Tablets oder sogar 3-D-Drucker kaum leisten. Viele Lehrer müssen ja schon das Kopierpapier aus eigener Tasche zahlen.

Aber nicht nur in der Bildung, auch in vielen anderen Bereichen übernimmt die Wirtschaft Aufgaben, für die eigentlich der Staat zuständig ist. Amazon-Chef Jeff Bezos hat angekündigt, eine Krankenkasse zu gründen. Bill Gates leistet in einer Zeit, in der Amerika die Mittel für ärmere Länder kürzt, Entwicklungshilfe. Elon Musk, der gerade einen Tesla ins Weltall schoss, entstaatlicht mit seiner Firma SpaceX die Raumfahrt.

Tweets und Facebook-Posts als Gegenleistung

Der Grund ist simpel: Viele öffentliche Einrichtungen leiden unter Geldnot, erscheinen aufgeblasen, träge. Besserung ist nicht in Sicht. Präsident Donald Trump gibt lieber Geld für die Armee aus als für Bildung oder Forschung. „Die Regierung funktioniert derzeit nicht so gut wie früher“, sagte kürzlich Apple-Chef Tim Cook. Seine Lösung: „Die Wirtschaft muss einspringen.“

Konzerne werden in der Ära Trump sogar allmählich zu einer Art moralischen Instanz. Als der Präsident im vergangenen Jahr einen Neonazi-Aufmarsch kleinredete, meldeten sich Manager zu Wort, um Gewalt und Rassismus zu verurteilen. Die Wirtschaft, so scheint es, kann derzeit manche gesellschaftliche Pflicht besser erfüllen.

Trakt M, Raum 114, das Klassenzimmer von Lehrer Provenzano sieht chaotisch aus. Kabel verlaufen kreuz und quer über die Tische, in den Ecken des Raumes stapeln sich Kisten mit Computerchips. Auf dem Boden liegen Bausätze, aus denen die Schüler Roboter und ferngesteuerte Autos basteln. Vieles von dem, was man hier sieht, ist gesponsert wie der Drucker.

Dafür revanchiert sich Provenzano, indem er das Gerät im Internet bejubelt. Auf Twitter schreibt er: „Lob an Dremel für das großartige Werkzeug, das mir hilft, meine Projekte zu verwirklichen.“ Auf Instagram postet Provenzano Bilder von Gegenständen, die seine Schüler erschaffen haben: Miniaturhäuser, ein Brillengestell, ein Modell der Sphinx. Auf YouTube ist ein Video zu sehen, in dem er einen Türstopper mit seinen Initialen NP herstellt.

Firmen locken Lehrer wie Big Pharma die Ärzte

So etwas kann sich für Lehrer lohnen, sie erhalten kein Geld, aber viele Annehmlichkeiten. TenMarks, ein Internetportal, das zu Amazon gehört und Arbeitsblätter für den Mathematik-Unterricht anbietet, versprach Pädagogen einen Einkaufsgutschein über 80 Dollar, wenn sie einen positiven Blogbeitrag schreiben.

Andere Unternehmen laden Lehrer zu Abendessen ein oder fliegen sie zu Konferenzen in aller Welt, so wie es früher Pharmakonzerne mit Ärzten machten. Vor allem aber werden die Lehrer, die die schöne neue Technik im Unterricht einsetzen, zu Stars der Pädagogik, denen im Internet Zehntausende Menschen folgen. Firmen und Schulen zahlen viel Geld, um sie als Redner oder Berater zu engagieren. Einige sind so bekannt, dass sie Tagessätze von mehreren Tausend Dollar erhalten.

Provenzano sieht darin kein Problem, im Gegenteil. „Kooperationen mit Unternehmen sind für viele Schulen die einzige Chance, an jene Technologien zu kommen, die im späteren Leben der Kinder eine Rolle spielen werden“, sagt er.

Ist es wirklich so einfach? Tatsächlich können Pädagogen wie er eine Hilfe sein, wenn öffentliche Etats knapp sind. Sie nehmen die Sache selbst in die Hand. Lässt der Staat sie hängen, verbünden sie sich mit der Wirtschaft. Die Super-Lehrer aus Amerika scheinen wenig mit ihren deutschen Kollegen gemein zu haben, denen manche nachsagen, sie seien behäbig, schläfrig. Provenzano ist der Gegenentwurf zum Staatsdiener, er ist ein Anti-Beamter.

Doch der neue Lehrer-Typus gefällt nicht allen. „Wenn sich Lehrer und Unternehmen zusammentun, ist das eine fragwürdige Sache“, sagt etwa der amerikanische Jura-Professor Joel Reidenberg, ein anerkannter Bildungsexperte. „Dann liegt ein Interessenkonflikt vor.“ Er ist nicht der Einzige, der fürchtet, dass Pädagogen ihre Unabhängigkeit verlieren. Denn die Allianz mit der Wirtschaft bedeutet Verpflichtungen.
Ein Vertrag der Firma Dremel, der dieser Zeitung vorliegt, belegt das. Wer einen Drucker möchte, muss jeden zweiten Monat ein vier Minuten langes Video über das Gerät drehen, drei Beiträge in sozialen Medien posten und auf zwei Konferenzen sprechen. Ein Lehrer, der das unterschreibt, wird kaum ein anderes Produkt bewerben, das er vielleicht viel besser findet – sondern jenes, das man ihm gesponsert hat. Der deutsche Beamte mag ein wenig gestrig wirken, aber eben auch unbestechlich.

Bill Gates Entwicklungshilfe ersetzt den Staat

Eine Hochschule in New York, ein Hörsaal. Auf der Bühne, auf der sonst die Professoren ihre Vorlesung halten, sitzt an diesem Vormittag Bill Gates, der Gründer des Software-Riesen Microsoft. Er trägt eine graue Hose, darüber einen blauen Pullover, auf dem Tisch neben ihm steht eine Cola Light. Er ist gekommen, um über das zu sprechen, wofür er den größten Teil seines Vermögens ausgibt: Entwicklungshilfe.

Seine Stiftung ist im globalen Kampf gegen Armut und Krankheit ein wichtiger Akteur geworden. Sie beschäftigt 1500 Menschen: Ökonomen, Ingenieure, Ärzte, Biologen, Chemiker, Politikberater. Ihre Mission ist es, Malaria und Aids auszulöschen, Schulen und Büchereien zu bauen, gesunden Reis und Weizen zu entwickeln. Sie sollen also Dinge erreichen, für die lange Zeit Regierungsstellen zuständig waren, in Amerika die Behörde USAID. Das Problem ist: Zuletzt hat sich Amerikas Regierung wenig für ärmere Länder interessiert.

„Seit Jahrzehnten sind die USA führend, wenn es darum geht, anderen Staaten zu helfen“, sagt Gates. Aber Trump habe nun vor, die Gelder zu kürzen. „Ehrlich gesagt, mir macht diese America-first-Weltsicht Angst.“

Konzerne gründen eigene Krankenkasse

Die Gates-Stiftung hat einen großen Vorteil gegenüber staatlichen Stellen: kein Präsident der Welt kann ihr das Geld streichen. Ihr Budget speist sich aus dem Vermögen einer globalen Geldelite. Im Jahr 2017 gaben die Helfer vier Milliarden Dollar aus – doppelt so viel wie die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit.

Kritiker bemängeln, dass solche Stiftungen undemokratisch sind. Dass anstelle des Volkes Milliardäre und Konzerne entscheiden, wem in der Welt geholfen wird. Für Gates dagegen überwiegen die Vorteile. „Wir arbeiten mit Unternehmen zusammen, weil sie Dinge machen können, die andere nicht schaffen“, sagt er.

Drei andere Superreiche sehen es wie er. Sie glauben, dass sie es besser können als der Staat. Jeff Bezos, Amazon-Gründer, Warren Buffett, Großinvestor, und Jamie Dimon, Chef der Bank JPMorgan, planen nichts weniger, als das amerikanische Gesundheitssystem zu revolutionieren. Sie wollen eine eigene Krankenkasse gründen. Zunächst für die Mitarbeiter ihrer Unternehmen. Eines Tages aber sollen sich dort alle Amerikaner versichern können.
Die USA stecken mehr Geld in ihr Gesundheitssystem als jeder andere Staat der Welt, dennoch sinkt die Lebenserwartung der Bürger. Auch in Deutschland wachsen die Ausgaben. Im vergangenen Jahr wurde zum ersten Mal die Marke von einer Milliarde Euro pro Tag überschritten. Vielleicht lässt sich die Vision von Bezos, Buffett und Dimon eines Tages übertragen?

Lösen Firmen künftig die Probleme eines Staats?

Sie wollen neue Technologien nutzen, um die Kosten in den Griff zu bekommen. So sollen die Menschen ihre Daten in Apps sammeln, auf die Ärzte zugreifen können. Wie viel Sport treibt der Patient, wie ernährt er sich, trinkt er? Wenn all diese Informationen mit einem Mausklick oder Wisch abrufbar sind, so die Logik, lässt sich schneller die richtige Behandlung finden. Kritiker dagegen fürchten eine Welt der Überwachung, wenn sich Tech-Konzerne um die Gesundheit von Menschen kümmern, nicht der Staat. Der Mensch unter ständiger Beobachtung, ein Lieferant kostenloser Daten, die sich gut verkaufen lassen.
Es ist das ewige Dilemma, ob in der Gesundheit, in der Entwicklungshilfe oder in der Bildung: Der Vorteil, den die Wirtschaft in die Politik einbringen könnte, hat ihren Preis. Und es kann passieren, dass zwischen Idee und Wirklichkeit Welten liegen.


Facebook-Gründer Mark Zuckerberg ist dafür ein gutes Beispiel. 2010 spendete er 100 Millionen Dollar, um die Schulen des Bundesstaates New Jersey zu modernisieren. Sie sollten zum strahlenden Vorbild der Nation werden. Später zeigten Untersuchungen, was mit Zuckerbergs Geld tatsächlich geschehen war: Die Rektoren nutzten den größten Teil, um ihren Lehrern mehr Urlaub zu geben.

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