An der mit dem Schweizer Schulpreis ausgezeichneten
Basler Sekundarschule wird komplett anders unterrichtet, als wir das gewohnt
sind. Alter und Niveau werden gemischt und Klassenzimmer sehen aus wie
Grossraumbüros. Ein Model für die Zukunft?
In dieser Basler Sekundarschule wird anders unterrichtet - sieht so die Schule von morgen aus? Basellandschaftliche Zeitung, 22.1. von Jakob Weber
In der Sekundarschule Sandgruben ist alles ein
wenig anders. In den Lernateliers, wie die Schulklassen dort heissen, findet
man jedes Alter und jede Intelligenz. Erstklässler, wie die zwölfjährige Lilly
aus dem P-Zug, lernen gemeinsam mit Drittklässlern aus dem A-Zug und
Zweitklässlern aus dem E-Zug. Klassen, wie wir sie kennen, gibt es gar nicht
mehr. Stattdessen sind 50 bis 60 Schüler zusammen in einem Atelier
untergebracht. Insgesamt beherbergt die Schule momentan neun solcher Einheiten.
Betreut werden die Schüler nicht mehr von einem
Klassenlehrer, sondern von einem fünf bis achtköpfigen Lehrerteam. Das hat zur
Folge, dass das Klassenzimmer einem Grossraumbüro gleicht. Im Hauptraum stehen
durch Trennwende abgetrennt die persönlichen Schreibtische der Schüler und des
Lehrerteams. An das Hauptzimmer grenzt ein Gruppen- und ein Inputraum.
Letzterer erinnert mit Wandtafel und Tischreihen dann doch noch an die
traditionelle Schulklasse, in der ein Lehrer vorne doziert und die Schüler
artig lauschen.
Zwei Drittel des Stundenplans sieht für jeden
Schüler Input vor. Dafür wird das Atelier gedrittelt. Je nach Fach ist dann
aber die Zusammensetzung der Gruppen anders. In Deutsch wird zum Beispiel
altersdurchmischt unterrichtet. Dafür sind dann alle Schüler, die gleichzeitig
Input haben, im gleichen Zug (A, E oder P). In Mathematik oder in Sprachen wird
dagegen niveaudurchmischt unterrichtet. Das restliche Drittel arbeiten die
Schüler individuell an ihren persönlichen Lernplänen.
Schweizer Schulpreis 2017
Der Grund für das neue Konzept, das jüngst mit dem
Schweizer Schulpreis 2017 ausgezeichnet wurde, sind gesellschaftliche
Veränderungen. «Für die Kinder ist es unwahrscheinlich, dass sie 20 Jahre lang
den selben Beruf ausüben. Deswegen sollen die Schüler schon in der Schule
lernen, wie sie selber zu neuem Wissen kommen», sagt Schulleiter Götz Arlt. Als
eine bessere Schule sieht er seine Sandgrube aber nicht: «Wir haben lediglich
eine Lösung gefunden, die für uns gut ist. Der Preis bestätigt, dass wir auf
dem richtigen Weg sind.»
Zwei wichtige Pfeiler des alternativen
Schulkonzepts beziehen sich auf Motivations- und Lernforschung. «Die Motivation
ist begrenzt, wenn man alle 45 Minuten in einem neuen Zimmer ein anderes Fach
hat», sagt Arlt und fügt hinzu: «Nur wer sich in der Schule wohl fühlt, lernt
auch.»
Die Rückmeldung der Schüler gibt ihm recht. Viele
bleiben sogar freiwillig bis weit nach Schulschluss noch in der Schule. «Ich
finde es hier besser als in der Primar», sagt die Drittklässlerin Melina.
Warum? «Weil man hier nicht so aufeinander arbeitet und selbstständig lernen
kann.» Lernt ihr denn tatsächlich selbstständig? «Klar nutzen wir den Freiraum
auch mal für Privatgespräche, aber wir lernen auch viel.» Bremsen dich die
A-Zügler nicht? «Nein. Ich bin froh, wenn ich denen Mal helfen kann. Das ist
dann immer eine Bestätigung, dass ich selber das Thema begriffen habe.»
Auch Lilly aus dem P-Zug, eine vom Typ Hermine
Granger aus Harry Potter, die alles weiss und gerne dran genommen wird,
geniesst die Freiheiten. «Früher habe ich mich genervt, wenn ich nicht
drangenommen wurde. Jetzt kann ich im Atelier selber entscheiden, was ich
lernen will und wenn ich mal früher fertig bin, lese ich ein Buch», sagt sie.
Mehraufwand für die Lehrer
Was den Schüler auf den Weg gegeben werden soll,
müssen auch die Lehrer vorleben: Ohne Teamarbeit geht es nicht. Dafür
verpflichten sich alle Lehrer 20 Prozent zusätzlich zu ihrem Stundenpensum im
Atelier anwesend zu sein. Sie bereiten dort den Unterricht vor oder stehen den
Schülern bei Fragen zur Verfügung. «Die Arbeit hier ist eindeutig mit mehr
Aufwand verbunden», sagt Ira Patocka. Sie unterrichtet das Atelier mit Lilly
und Melina und muss einen Unterricht konzipieren, der für mehrere Altersstufen
und Niveaus funktioniert. Doch auch für Patocka, die vorher sechs Jahre in
Bayern arbeitete, überwiegen die Vorteile: «Die Schüler sind hier
selbstständiger, besser organisiert und trauen sich mehr zu. Das hilft ihnen
auch im Alltag.»
"Dafür verpflichten sich alle Lehrer 20 Prozent zusätzlich zu ihrem Stundenpensum im Atelier anwesend zu sein." Hier wird der Eindruck erweckt, neue Lehrmethoden stützten sich auf besonders engagierte Lehrer. Jede Art von Unterricht benötigt Vorbereitungszeit. Der verklärte Blick auf diese Helden des Unterrichts ist völlig unangebracht. Einsatz und Engagement hängt nicht vom Schulmodell ab, sondern vom Charakter der Lehrperson.
AntwortenLöschen