Willenskraft und
Selbstkontrolle sind lernbar und das Wichtigste im Leben, sagt der Hirnforscher
Manfred Spitzer. Dafür müssen Kinder ins Grüne. Musik und Sport hält er für die
bedeutendsten Schulfächer.
Laut Hirnforscher sind Kunst und Sport die wichtigsten Schulfächer, Luzerner Zeitung, 3.11. von Bruno Knellwolf
Intelligenz ist das
eine, aber es gibt noch eine Voraussetzung dafür, wie ein erfolgreiches Leben
gelingen kann. Das sagt der renommierte Gehirnforscher, Psychiater und Direktor
der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm Manfred Spitzer. Er spricht von
Willenskraft und Selbstkontrolle. Und daran könne der Mensch selbst arbeiten.
In einer Studie wurden
jungen Männern «schöne Videos» gezeigt – mit Reizen, die Spitzer nicht speziell
beschreiben will. Die erste Testgruppe durfte die Bilder einfach geniessen. Die
zweite erhielt den Auftrag, den Reizen nicht zu unterliegen. Dieses Experiment
zeigte im Hirnscanner, dass es möglich ist, seine gereizten Emotionen
willentlich zu bremsen. Der Mensch hat die Möglichkeit, autonom zu sein, seine
Willenskraft zu stärken und Selbstkontrolle zu fördern. «Und wenn ein Kind das
gut kann, kann es das vierzig Jahre später immer noch», sagt Spitzer.
Kinder müssten in dieser
Hinsicht gefördert werden. «Wer als Kind konzentriert sein kann, sich gut im
Griff hat und über Selbstkontrolle verfügt, hat später viele Vorteile», sagte
der Hirnforscher diese Woche im Rahmen einer Unicef-Tagung im
Weiterbildungszentrum der Universität St. Gallen zum Thema «Kinderfreundliche
Lebensräume». Je mehr Selbstregulation einem Kind möglich sei, desto weniger
sei es als Erwachsener krank, «hat bessere Zähne» und verdiene auch mehr, sagt
Spitzer. Die Fähigkeit zur Willenskraft sei lernbar, so wie ein Mensch eine
Sprache lernen müsse.
Gefordert ist das
Frontalhirn, doch sei dieses nach der Geburt noch nicht «online». Das Kind habe
zwar Reflexe, aber die höheren Areale des Hirns seien noch nicht verbunden, um
ein willenskräftiger, selbstbestimmter Mensch zu sein. «Hält man einem Dreijährigen
eine Glace vors Gesicht, wird es sich darauf stürzen. Nur ein Erwachsener ist
fähig, an seine Figur zu denken und zu verzichten», sagt Spitzer. Umso mehr wir
unser Hirn benutzen, desto mehr bilden sich die für die Willenskraft nötigen
Nervenverbindungen.
In den
Kindergarten investieren lohnt sich
Ein Hirn könne nicht
überladen werden. «Je mehr Sprachen ein Mensch spricht, desto leichter lernt er
eine neue.» Dass nun von einigen behauptet werde, «Digital Natives» verlagerten
einen Teil ihres Wissens aus dem Hirn in eine Cloud, hält Spitzer deshalb «für
einen völligen Blödsinn». «Alles was man nicht lernt, erschwert das Lernen. Ein
Hirn wird nicht voll, nur dessen Leere ist ein Problem.» Wir verfügen über 100
Milliarden Nervenzellen, die dafür sorgen, dass sich das Hirn dauernd
verändert, wenn es benutzt wird.
Doch wo und wie Kinder-
hirne fördern? Spitzer erwähnt eine grosse Studie, in der man berechnet hat, wo
sich der Dollar in der Bildung am meisten rechnet: Im Kindergarten. Und zwar am
besten mit Handlungen, die Kindern Freude machen. «Ein Lied zu singen im
Kindergarten ist eine Superidee. Oder einen Kuchen backen. Das ist
wissenschaftlich bewiesen.» Kinder lernen so zuzuhören und die Fähigkeit, etwas
im Kopf zu behalten. Deshalb seien Musik, Sport, Theaterspiel und Kunst die
wichtigsten Fächer in der Schule. «Das können Sie im ‹Science› nachlesen», sagt
der Hirnforscher. «Freude, Selbstvertrauen, soziale Bindung. Das bringt’s. Und
das muss draussen, im Freien stattfinden», sagt der Hirnforscher. Spitzer
erwähnt eine Studie, mit der belegt wurde: Je grüner gestaltet eine
Wohnumgebung ist, desto weniger Kinder leiden dort unter
Aufmerksamkeitsstörungen ADHS, der Blutdruck der Kinder ist tiefer wie auch der
Cortisolspiegel im Blut. Kinder müssten nach draussen. «Viele unterschätzen die
positive Wirkung von Naturberührung. Im Freien, nicht digital.» Doch dagegen
wirke der grösste Freiheitskiller für Kinder, den es heute gebe: das
Smartphone. «In jedem Alter des Kindes erzeugt dieses Gerät Störungen.» Den Kleinen
mache es Schlafstörungen, den Älteren raube es die Wörter aus dem Gehirn.
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