Im Februar 2016 präsentierte ein gut
gelaunter Bernhard Pulver, Erziehungsdirektor des Kantons Bern, in einem
Hearing vor rund 250 Personen einen ersten Entwurf zur neuen
Schülerbeurteilung. Vor allem der Bereich der überfachlichen Kompetenzen, die
neu in einem Bericht beurteilt werden sollten, war den heute diskutierten
Lernberichten in der Stadt Basel nicht unähnlich, wenn auch bei Weitem nicht so
umfangreich. Diese wurden im Eiltempo vorgestellt, es gab lockere Sprüche,
einige Konsultativabstimmungen, die allesamt positiv verliefen und am Schluss
einen grossen Applaus gefolgt von einem feinen Buffet.
Lars
Burgunder hingegen, ein junger Lehrer, traute seinen Ohren nicht, als er
vernahm, dass man künftig in Lernberichten Charaktereigenschaften der Kinder
bewerten solle. Er fand es inakzeptabel, dass man Punkte wie Pünktlichkeit,
Höflichkeit und Umgangsformen, Ordnungssinn oder «Umgang mit Vielfalt»
beurteilen sollte, und das auf einer Skala von 1 bis 10. Am schlimmsten empfand
er den Satz: «Schülerinnen und Schüler können ihre Gefühle situationsgemäss
ausdrücken.» Er schickte die Berichte an den Schulblog «Schule Schweiz», die BaZ und die Sonntagszeitung griffen
es als Erste auf und sorgten für eine heftige öffentliche Diskussion.
Aufstand der Lehrkräfte, Basler Zeitung, 4.11. von Alain Pichard
Wie
heute in Basel reagierten damals auch viele Lehrkräfte im Kanton Bern ablehnend
auf dieses Ansinnen. Erziehungsdirektor Bernhard Pulver wurde hellhörig,
studierte ausdrücklich die kritischen Voten aus den Kollegien und stoppte
schliesslich den ganzen Unsinn. Zwar versuchten die PH- und
Beurteilungsexperten ihn während eines Kolloquiums noch einmal umzustimmen. Der
Erziehungsdirektor blieb aber hart. Ein ranghoher Mitarbeiter seiner
Bildungsbehörde meinte schnippisch zu den frustrierten Beurteilungsaposteln:
«Was Sie da alles beurteilen und beobachten wollen, will ich als Vater gar
nicht wissen.»
Kurz
darauf, am 17. Januar 2017, präsentierte Bernhard Pulver das definitive
Dokument. Von dem Versuch einer umfassenden Beurteilung blieb kaum mehr etwas
übrig. Bei aller Kritik, die ich ab und zu über unseren Erziehungsdirektor
äussere, gilt es festzuhalten, dass Bernhard Pulver die Fähigkeit besitzt,
seinen Lehrkräften zuzuhören. Und er kann über seinen Schatten springen,
Meinungen revidieren sowie – das ist das Besondere an diesem Mann – sich dann
auch gegenüber seinen Experten durchsetzen.
Genau
hier zeigt sich auch das höchst unterschiedliche Format der Basler
Departementsvorsteher Eymann und Cramer gegenüber einem Bernhard Pulver. Es istden Basler Lehrkräften hoch anzurechnen, dass sie sich dazu aufgerafft haben,diese Perversion von Beurteilung anzuprangern. Gewiss haben Lehrkräfte eine
Loyalitätsverpflichtung gegenüber ihrem Arbeitgeber. Aber sie sind auch ihrem
Berufsethos und dem Wohl ihrer Lernenden verpflichtet. Und sie wissen genau,
dass eine Schule, die sich anmasst, Verhalten und Eigenschaften zu messen, an
schlimmste Urzeiten unserer ehrwürdigen Institution erinnert. Das Verhalten zu
messen ist keine Aufgabe einer öffentlichen Schule und darf deshalb auch kein
Lehrplanziel sein. Wird das Verhalten zudem noch als Kompetenz gehandelt, als
prüfbare und messbare Kompetenz bewertet, dann enden wir bei einem
Erziehungsbegriff mit totalitärem Anspruch.
Eine
völlig unterschiedliche Haltung hat der Kanton Bern auch bei den sogenannten
Output-Prüfungen, sprich den geplanten Tests. Im April 2015 führten Herr Eymann
und ich in der BaZ ein
Streitgespräch, bei dem es um den Lehrplan ging. Ausdrücklich betonte der
damalige Departmentsvorsteher, dass es in Basel keine flächendeckenden Tests
geben werde. Heute gehört seine Stadt und mit ihm der Bildungsraum
Nordwestschweiz zu den einzigen Kantonen, welche die Tests flächendeckend
durchführen. Im Kanton Bern hingegen bleibt es bei Stichproben, wie es die
bernische Erziehungsdirektion versprochen hat. Eymann hat sein Versprechen
gebrochen, Pulver hat es gehalten.
Gewundert
habe ich mich über die Stellungnahme von Kerstin Wenk in der BaZ (2. 11.
17), VPOD-Sekretärin und SP-Grossrätin. Offensichtlich möchte auch sie diese Tests
abschaffen. Als die GLP-Grossrätin Katja Christ dies in einer Motion fordern
wollte, stiess sie im Parlament auf heftige Opposition, unter anderem auch bei
der SP. Ihr Vorhaben wurde schliesslich in der abgeschwächten Form eines Anzugs
der Regierung überwiesen. Die Zurückhaltung der SP ist verständlich, verlangt
sie ja in ihrem Bildungspapier 2007 selber flächendeckende Tests und zwar,
notabene, mit Zertifizierung (Bildungsoffensive der SP März 2007) und steht
vollkommen hinter der Kompetenzorientierung. Ich möchte meiner ehemaligen
Gewerkschaftskollegin ja nicht zu nahetreten. Aber mit dieser Positionierung
geht ihre Partei ja noch weiter als das Duo Eymann/Cramer. Denn
Zertifizierungen entscheiden in der Regel über Zu- und Abweisungen zu
Bildungsinstitutionen, und da wären wir ja bereits in den USA.
Angesichts
dieses kolossalen Versagens der Basler Bildungsexpertokratie ist den Eltern nur
zu raten, ihre aufmüpfigen Lehrkräfte zu unterstützen.
Letzte
Woche wurden übrigens mehrere Lehrstellenanwärter aus dem Kanton Bern, darunter
auch ein Mädchen meiner Klasse, zu einem Eignungstest und einem
Vorstellungsgespräch in der Hoffmann-La Roche eingeladen. Basler Schulabgänger
gab es dort keine. Das kann man ja auch als Outputkontrolle ansehen. Die ist
aussagekräftiger und wesentlich billiger.
Alain
Pichard ist Herausgeber der Broschüre «Einspruch» und Sekundarlehrer in Orpund.
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