5. November 2017

Basler Bildungsexpertokratie versagt

Im Februar 2016 präsentierte ein gut gelaunter Bernhard Pulver, Erziehungsdirektor des Kantons Bern, in einem Hearing vor rund 250 Personen einen ersten Entwurf zur neuen Schülerbeurteilung. Vor allem der Bereich der überfachlichen Kompetenzen, die neu in einem Bericht beurteilt werden sollten, war den heute diskutierten Lernberichten in der Stadt Basel nicht unähnlich, wenn auch bei Weitem nicht so umfangreich. Diese wurden im Eiltempo vorgestellt, es gab lockere Sprüche, einige Konsultativabstimmungen, die allesamt positiv verliefen und am Schluss einen grossen Applaus gefolgt von einem feinen Buffet.
Lars Burgunder hingegen, ein junger Lehrer, traute seinen Ohren nicht, als er vernahm, dass man künftig in Lernberichten Charaktereigenschaften der Kinder bewerten solle. Er fand es inakzeptabel, dass man Punkte wie Pünktlichkeit, Höflichkeit und Umgangsformen, Ordnungssinn oder «Umgang mit Vielfalt» beurteilen sollte, und das auf einer Skala von 1 bis 10. Am schlimmsten empfand er den Satz: «Schülerinnen und Schüler können ihre Gefühle situationsgemäss ausdrücken.» Er schickte die Berichte an den Schulblog «Schule Schweiz», die BaZ und die Sonntagszeitung griffen es als Erste auf und sorgten für eine heftige öffentliche Diskussion.
Aufstand der Lehrkräfte, Basler Zeitung, 4.11. von Alain Pichard

Wie heute in Basel reagierten damals auch viele Lehrkräfte im Kanton Bern ablehnend auf dieses Ansinnen. Erziehungsdirektor Bernhard Pulver wurde hellhörig, studierte ausdrücklich die kritischen Voten aus den Kollegien und stoppte schliesslich den ganzen Unsinn. Zwar versuchten die PH- und Beurteilungsexperten ihn während eines Kolloquiums noch einmal umzustimmen. Der Erziehungsdirektor blieb aber hart. Ein ranghoher Mitarbeiter seiner Bildungsbehörde meinte schnippisch zu den frustrierten Beurteilungsaposteln: «Was Sie da alles beurteilen und beobachten wollen, will ich als Vater gar nicht wissen.»

Kurz darauf, am 17. Januar 2017, präsentierte Bernhard Pulver das definitive Dokument. Von dem Versuch einer umfassenden Beurteilung blieb kaum mehr etwas übrig. Bei aller Kritik, die ich ab und zu über unseren Erziehungsdirektor äussere, gilt es festzuhalten, dass Bernhard Pulver die Fähigkeit besitzt, seinen Lehrkräften zuzuhören. Und er kann über seinen Schatten springen, Meinungen revidieren sowie – das ist das Besondere an diesem Mann – sich dann auch gegenüber seinen Experten durchsetzen.

Genau hier zeigt sich auch das höchst unterschiedliche Format der Basler Departementsvorsteher Eymann und Cramer gegenüber einem Bernhard Pulver. Es istden Basler Lehrkräften hoch anzurechnen, dass sie sich dazu aufgerafft haben,diese Perversion von Beurteilung anzuprangern. Gewiss haben Lehrkräfte eine Loyalitätsverpflichtung gegenüber ihrem Arbeitgeber. Aber sie sind auch ihrem Berufsethos und dem Wohl ihrer Lernenden verpflichtet. Und sie wissen genau, dass eine Schule, die sich anmasst, Verhalten und Eigenschaften zu messen, an schlimmste Urzeiten unserer ehrwürdigen Institution erinnert. Das Verhalten zu messen ist keine Aufgabe einer öffentlichen Schule und darf deshalb auch kein Lehrplanziel sein. Wird das Verhalten zudem noch als Kompetenz gehandelt, als prüfbare und messbare Kompetenz bewertet, dann enden wir bei einem Erziehungsbegriff mit totalitärem Anspruch.

Eine völlig unterschiedliche Haltung hat der Kanton Bern auch bei den sogenannten Output-Prüfungen, sprich den geplanten Tests. Im April 2015 führten Herr Eymann und ich in der BaZ ein Streitgespräch, bei dem es um den Lehrplan ging. Ausdrücklich betonte der damalige Departmentsvorsteher, dass es in Basel keine flächendeckenden Tests geben werde. Heute gehört seine Stadt und mit ihm der Bildungsraum Nordwestschweiz zu den einzigen Kantonen, welche die Tests flächendeckend durchführen. Im Kanton Bern hingegen bleibt es bei Stichproben, wie es die bernische Erziehungsdirektion versprochen hat. Eymann hat sein Versprechen gebrochen, Pulver hat es gehalten.

Gewundert habe ich mich über die Stellungnahme von Kerstin Wenk in der BaZ (2. 11. 17), VPOD-Sekretärin und SP-Grossrätin. Offensichtlich möchte auch sie diese Tests abschaffen. Als die GLP-Grossrätin Katja Christ dies in einer Motion fordern wollte, stiess sie im Parlament auf heftige Opposition, unter anderem auch bei der SP. Ihr Vorhaben wurde schliesslich in der abgeschwächten Form eines Anzugs der Regierung überwiesen. Die Zurückhaltung der SP ist verständlich, verlangt sie ja in ihrem Bildungspapier 2007 selber flächendeckende Tests und zwar, notabene, mit Zertifizierung (Bildungsoffensive der SP März 2007) und steht vollkommen hinter der Kompetenzorientierung. Ich möchte meiner ehemaligen Gewerkschaftskollegin ja nicht zu nahetreten. Aber mit dieser Positionierung geht ihre Partei ja noch weiter als das Duo Eymann/Cramer. Denn Zertifizierungen entscheiden in der Regel über Zu- und Abweisungen zu Bildungsinstitutionen, und da wären wir ja bereits in den USA.

Angesichts dieses kolossalen Versagens der Basler Bildungsexpertokratie ist den Eltern nur zu raten, ihre aufmüpfigen Lehrkräfte zu unterstützen.

Letzte Woche wurden übrigens mehrere Lehrstellenanwärter aus dem Kanton Bern, darunter auch ein Mädchen meiner Klasse, zu einem Eignungstest und einem Vorstellungsgespräch in der Hoffmann-La Roche eingeladen. Basler Schulabgänger gab es dort keine. Das kann man ja auch als Outputkontrolle ansehen. Die ist aussagekräftiger und wesentlich billiger.

Alain Pichard ist Herausgeber der Broschüre «Einspruch» und Sekundarlehrer in Orpund.


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