Einem Vater von zwei Heranwachsenden fällt auf, dass an den Schulen des
rot-grün regierten Lausanne kaum Zeit aufgewendet wird für die Kenntnis
internationaler Institutionen wie UNFCCC, WHO, FAO, Weltbank, die beauftragt
sind, globale Probleme zu lösen. Und schon gar keine Zeit für Konzerne, welche
mit technischen Innovationen die Umweltzerstörung angehen.
Durch Veganismus die Welt retten? NZZ, 24.10. Kommentar von Toni Stadler
Dafür wird in Klassenzimmern ausführlich
darüber diskutiert, worauf wir verzichten sollten, damit es nebst den Menschen
vor allem den Tieren weniger schlechtgeht: Studenten, wenn ihr keine
tierischen Produkte konsumiert, leiden Bienen, Hühner, Fische, Rinder nicht mehr.
Weniger viehisches Methan bremst den Klimawandel. Kein Tierfutteranbau stoppt
die Entlaubung tropischer Wälder. Kein Sojamehl für unsere fetten Kühe
reduziert den Hunger in Ländern mit mageren Kühen. Ohne Nutztiere wird die
Resistenz gegen Antibiotika verschwinden. Und alle Menschen werden glücklicher,
gesünder, länger leben. Für Verzichtspädagogen gibt es – ausser dem Weltfrieden
– kaum eine globale Aufgabe, die nicht durch Askese gelöst werden könnte.
«Die einzige artgerechte Tierhaltung ist die Freilassung», heisst es auf
veganen Websites. Damit wird ein verdrehtes Bild der
Tierwelt verbreitet. Denkt man etwas genauer über die freie
Wildbahn nach, sieht man, dass dort, ob im Meer, auf dem Land oder in der Luft,
zwar Freiheit herrscht, aber auch die permanente Sorge, kein Futter zu finden
oder gefressen zu werden. Safaris und Naturfilme zeigen es: Ein Zebra mit
gebrochenem Bein, umringt von hungrigen Hyänen. Eine Antilope, bis zur
Erschöpfung gehetzt, von Löwen erstickt oder noch lebend angefressen. Ein
Büffel, zu alt, um wegzurennen, von einem Rudel afrikanischer Jagdhunde
zerrissen. Und kein veganer Peace-Keeper stellt sich dazwischen.
Damit verglichen, sieht der Abschuss eines Wildschweins durch einen
Jäger und selbst die professionelle Schlachtung eines Tieres in der Metzgerei
gnädig aus. Fazit: Falls es um das Vermeiden von Tierleid geht, kann mindestens
Wildfleisch mit Genuss verspeist sowie Fell und Haut ohne schlechtes Gewissen
für Schuhe oder Handtaschen gebraucht werden.
Bei unfrei lebenden Nutztieren wird
es komplizierter. Wenige Städter kennen einen
Landwirtschaftsbetrieb von innen. Die allermeisten Bauern sorgen sich um das
Wohl ihres lebenden Besitzes. Nicht nur, weil Verletzung und Krankheit Geld
kosten, sondern auch, weil sie ihre Tiere gern haben. Kein Bauer oder Metzger
hat Freude bei der Schlachtung. Tiere sind schmerzempfindliche Wesen, da haben
die Veganer recht. Doch fehlt ihnen ein Bewusstsein, eine Vorstellung vom Tod,
deshalb kennen sie nicht dieselbe Todesangst wie wir.
Bauern, Fischer, Metzger, Käser und Seidenraupenzüchter in die Nähe von
Henkern zu rücken, wie das gewisse vegane Websites tun, ist eine herzlose
Frechheit. Natürlich wissen auch Fleischesser, dass es in der Massentierhaltung
Praktiken gibt, die tierquälerisch sind. Dies zu korrigieren, ist Aufgabe
staatlicher Aufsicht, nicht des Konsumenten. Wegen Tierquälerei die ganze 10
000-jährige zivilisatorische Errungenschaft der Nutztierhaltung und damit die
ausgeklügelten Speisezettel von weltweit Hunderten raffinierter Esskulturen
aufgeben zu wollen, ist weltfremd.
Weniger Fleisch essen, auf grosse Autos verzichten, seltener ein
Flugzeug benutzen ist in Ordnung. Eigentlich. Fragwürdig wird es, wenn junge
Menschen den Eindruck vermittelt bekommen, damit hätten sie einen ausreichenden
Beitrag zur Verbesserung der Welt geleistet. Und fragwürdig wird es, wenn
bequeme Regierungen und eine schlecht funktionierende Staatengemeinschaft ihre
Verantwortung für die Lösung globaler Aufgaben auf die sich unvernünftig verhaltenden
Konsumenten abschieben. Etwa in der Art: Wer weiterhin Sashimi isst, macht sich
schuldig am Aussterben des Roten Thunfischs.
Damit werden unsere Schüler abgelenkt, wenn nicht depolitisiert, weil
untergeht, dass es direkte politische
Vorgehensweisen gibt, Tierleid zu mindern oder die Artenvielfalt durch ein
Verbot der Überfischung zu schützen.Weltverbesserung durch Verzicht
hat Grenzen. Erfahrungsgemäss sind weniger als 10 Prozent der Bevölkerung
bereit, freiwillig auf Komfort oder Genuss zu verzichten. Bei Konzernen setzt
die internationale Konkurrenzfähigkeit die Grenzen für freiwilliges Gutes-Tun.
Die grossen Herausforderungen unserer Zeit können nur durch Regierungen
und Konzerne gemeinsam gelöst werden, multilateral also, trotz oder gerade
wegen Donald Trump. Durch Besteuerung und Bestrafung von schädlichen oder
unethischen Praktiken, durch technische Innovation, durch internationale Abkommen und
Regelungen, welche für alle Regierungen und jeden Konzern gelten.
Dafür sollten sich die Lehrer an unseren Schulen starkmachen.
Toni Stadler, Historiker, arbeitete 25 Jahre bei internationalen
Organisationen, u. a. beim UN Global Compact an der freiwilligen
Verantwortlichkeit globaler Konzerne.
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