Lange Zeit galt die Grundschule als
geradezu sakrosankt. Bildungsforscher und Politiker waren überzeugt davon, dass
sie noch am besten mit den ganz unterschiedlichen Schülern und Leistungsständen
zurechtkommt. Manche Kinder in der ersten Klasse können kaum einen Stift
halten, andere lesen schon flüssig. Manche haben einen großen Wortschatz,
andere hadern noch mit der Verständigung, weil sie zuhause eine andere Sprache
sprechen. Hinzu kommen Kinder mit Behinderungen, Kinder aus gerade
eingewanderten Familien. Es gibt also neben den schon immer vorhandenen
Unterschieden eine politisch gewollte und verstärkte Heterogenität. Und nun
sollen die Lehrer die Heterogenität auch noch als Gewinn verstehen, obwohl sie
täglich mit so viel Anstrengung, Misserfolgserlebnissen für sie verbunden ist?
Keine Experimente in der Grundschule, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.10. Kommentar von Heike Schmoll
Dass sie an den Grundschulen
zu einem nahezu unüberwindlichen Problem geworden ist und erst recht noch
werden wird, hat der aktuelle Bildungstrend des Instituts zur
Qualitätsentwicklung im Bildungsbereich gezeigt. Seine Ergebnisse sind
niederschmetternd. Denn viel zu viele Schüler verlassen die Grundschule mit nur
rudimentären Mathematikkenntnissen, können weder korrekt schreiben noch so gut
zuhören, dass sie zum Wechsel an eine weiterführende Schule wirklich in der
Lage wären. Und auch die Lesefähigkeiten sind verbesserungswürdig und haben
sich in vielen Ländern verschlechtert. Dabei waren die neu hinzugekommenen
Flüchtlingskinder, die größtenteils in der Grundschule ankommen, noch nicht
einmal am Test beteiligt. Das heißt, dass der nächste Bildungstrend mit hoher
Sicherheit noch ungünstiger ausfallen wird.
Ergebnisse in Berlin besonders schlecht
Ausgerechnet in Berlin, das
sich noch immer eine sechsjährige Grundschule leistet, sind die Ergebnisse
ähnlich wie in Bremen besonders schlecht. Dabei hätte jeder, der jemals eine
Klasse für jahrgangsübergreifendes Lernen von der ersten bis zur dritten Klasse
beobachtet hat, schon längst verstehen können, dass es selbst bei einem Lehrer
und einer Erzieherin in der Lerngruppe Grenzen der Heterogenität gibt. Gerade
in solchen Klassen bleibt den Lehrern oft nichts anderes übrig, als Schüler mit
Arbeitsblättern zum Lernen und Üben anzuhalten. Das heißt aber, dass
ausgerechnet das Sprachtraining im Unterrichtsgespräch viel zu kurz kommt.
Korrigiert wird kaum und solange die Schüler sich aussuchen dürfen, woran sie
gerade arbeiten wollen, werden sie üben, was sie schon können und ihre
Schwachstellen meiden. Solch ein Unterricht ist mehr Aufbewahrung als
sinnvolles Lernen.
Seit Jahrzehnten ist die
Grundschule das pädagogische Experimentierfeld schlechthin. Das begann schon in
den siebziger Jahren mit der unseligen Mengenlehre, hinzu kamen die flexible
Einschulung fünf bis sieben Jahre alter Kinder, die Abschaffung der Ziffernoten
in den ersten drei Klassen, das Schreiben nach Gehör und der ausgemachte Unsinn
von Fächerverbünden, den auch Baden-Württemberg eingeführt hat.
Fächerübergreifendes Lernen ist - wenn überhaupt - nur dann sinnvoll, wenn die
Basis im Fach stimmt. Der Grundwortschatz wurde reduziert und in vielen Ländern
sank die Gesamtzahl der Unterrichtsstunden. Viel hilft zwar nicht viel, aber
offenbar nutzen bayerische Grundschullehrer die zusätzlichen Unterrichtsstunden
für gezieltes Üben. Für manche Schüler aus bildungsfernen Schichten sind die
Sommerferien einfach zu lang. Viele von ihnen können ohnehin nicht wegfahren,
für sie gilt es zusätzliche Angebote während der Sommerferien zu schaffen,
damit nicht alles Gelernte in Vergessenheit gerät.
Fortbildungsangebote dienen eher der Selbstverwirklichung
Hinzu kommt die unzureichende
Lehrerfortbildung. In nicht wenigen Ländern können sich Lehrer ihre gesamte
Laufbahn erfolgreich um eine Fortbildung drücken. Oder die Fortbildungsangebote
dienen eher der Selbstverwirklichung. Mancherorts gehörten Seidenmalerei und
Fahrsicherheitstraining dazu. Solange Fortbildungen nicht anspruchsvoll und
verpflichtend sind und ein Schulleiter auch die Möglichkeit hat, einen Kollegen
zu einer bestimmten Fortbildung zu schicken, haben sie nicht mehr als eine
Alibifunktion. Auch bei noch so guter Fortbildung wird es aber Grenzen für den
Umgang mit der immer unterschiedlicheren Schülerschaft geben. Erfahrene
Grundschullehrer berichten, dass junge Kollegen, die gerade die Ausbildung
beendet haben, dazu neigen, möglichst viele Höhepunkte im Unterricht zu bieten,
das leidige Üben aber nicht konsequent genug verfolgen.
Auch wenn jedes Land andere
Wege bei der Analyse und Mängelbearbeitung gehen muss, sollte der jüngste
Bildungstrend Anlass genug sein, alles vorurteilsfrei auf den Prüfstand zu
stellen. Die Grundschule muss den Leistungsgedanken wiederentdecken und sich
ihrer Verantwortung für die Bildungsbiographie der Schüler bewusst werden. Der
Unterricht wird also anspruchsvoller und die Lehrer werden besser ausgebildet
sein müssen. Doch wer wird inzwischen noch Grundschullehrer? Und wer will schon
die Schulleitung übernehmen?
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