Föderale
Lösungen sind nicht immer gerecht. Dies trifft auf die Aufnahmebedingungen an
Mittelschulen besonders zu. Franz Eberle von der Universität Zürich fordert von
den Kantonen faire Standards.
"Gleiche Chancen bei gleicher Fähigkeit", NZZ, 14.8. von Jörg Krummenacher
In der Westschweiz wird
den Jugendlichen der Eintritt ins Gymnasium leichter gemacht als in den meisten
Kantonen der Deutschschweiz, entsprechend höher ist dort die Zahl der
Mittelschüler. Weshalb ist das so?
Das ist
begründet durch die traditionelle Kultur der kantonalen Bildungshoheit im
Rahmen des Schweizer Föderalismus. Entsprechend autonom ist das
Mittelschulwesen in Bezug auf die Maturaquote und die Aufnahmebedingungen. In
der Westschweiz besteht die Tradition, eher ins Gymnasium zu gehen und weniger
eine Berufsausbildung zu machen, während die Berufsausbildung besonders in der
Ostschweiz ein höheres Gewicht hat. Auffallend ist auch, dass Kantone, die eine
Aufnahmeprüfung voraussetzen, tendenziell eine härtere Selektion machen als
jene Kantone, die vor allem die Vornoten berücksichtigen. Ganz gewiss ist es
aber nicht so, dass die Jugendlichen in der Westschweiz intelligenter sind als
in der Deutschschweiz.
Ist daraus zu schliessen, dass beim Eintritt
in ein Gymnasium keine Chancengleichheit unter den Kantonen besteht?
Ja, wir haben
tatsächlich eine Chancenungleichheit. Das finde ich deshalb problematisch, weil
mit der Maturität der Zulassungsausweis für die Universitäten auf nationaler
Ebene erworben wird. In Kantonen, die schliesslich auch eine höhere
Maturitätsquote ausweisen, kommen die Jugendlichen leichter zu diesem
Zulassungsausweis. Das finde ich ungerecht.
Sie sind demnach für eine Angleichung der
kantonalen Aufnahmebedingungen für die Gymnasien?
Ich würde es
gut finden, wenn man daran arbeiten würde. Eine radikale Lösung wäre, national
eine identische Aufnahmeprüfung durchzuführen. Aber das wäre keine
schweizerische Lösung, das hielte ich für falsch. Ich finde hingegen, dass man
einen guten Ausgleich finden muss zwischen kantonaler Autonomie und
vergleichbaren Standards bei der Aufnahme. Ein Weg dazu wäre, über die
Kantonsgrenzen hinauszuschauen, sich auszutauschen und zu vergleichen, wie die
Aufnahmeverfahren in den einzelnen Kantonen laufen. Meines Wissens findet das
bis jetzt nicht oder zu wenig statt. Das Ziel ist Chancengleichheit bei
gleicher Leistungsfähigkeit.
Kommt hinzu, dass in Kantonen, in denen das
Bestehen einer Aufnahmeprüfung vorausgesetzt wird, immer mehr Schüler
Ergänzungskurse besuchen müssen, um intakte Chancen zu haben. Sie kosten Geld.
Daraus ergibt sich ein zusätzlicher Nachteil für wenig Begüterte, die sich dies
nicht leisten können.
Das ist aber
weniger ein Problem der kantonal unterschiedlichen Anforderungen. In Kantonen
mit strengeren Aufnahmebedingungen, meist durch Prüfungen, florieren solche
Vorbereitungskurse in der Tat. Diese können sich Begüterte eher leisten. In
Kantonen, in denen die Selektion aufgrund der Vornoten erfolgt, gibt es dieses
Problem weniger. Aber auch dort besuchen Jugendliche Nachhilfeunterricht, was
sich weniger Begüterte entsprechend weniger leisten können. Das heisst übrigens
nicht automatisch, dass ich eine Selektion mit Vornoten automatisch für das
bessere Instrument halte.
Welches Aufnahmeverfahren für die
Mittelschule würden Sie denn empfehlen?
Ich finde eine
gemischte Lösung gut – mit einer klaren Priorisierung für die Aufnahmeprüfung.
Dazu muss man die Vor- und Nachteile der einzelnen Instrumente benennen. Bei
der reinen Abstützung auf Vornoten gibt es ein Gerechtigkeitsproblem, weil in
besseren Klassen strenger und in schlechteren Klassen weniger streng benotet
wird. Man kann also Noten aus verschiedenen Klassen nicht einfach miteinander
vergleichen. Deshalb finde ich eine Aufnahmeprüfung das fairere, objektivere
Instrument. Anderseits weiss man aber auch, dass Aufnahmeprüfungen eine
Momentaufnahme sind und mit Fehlern behaftet sein können. Deshalb muss man für
jene, welche die Aufnahme knapp verpassen würden, auch die Vornoten und
allenfalls weitere Faktoren einbeziehen, zum Beispiel Lernmotivation oder kognitive
Fähigkeiten. Man darf aber nicht vergessen: Ein völlig objektives
Selektionsverfahren gibt es nicht.
Interview: Jörg Krummenacher
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