2. Mai 2017

Sind zwei Primarfremdsprachen zuviel?

Aufwand und Ertrag stimmten nicht überein, sagen die Befürworter der Initiative gegen die zweite Fremdsprache in der Primarschule. Die Gegner warnen vor einem nationalen Sprachenstreit.
Vera Lang und Christoph Ziegler streiten sich über die Fremdsprachen-Initiative. Bild: Reto Oeschger
Wie viel Sprache verträgt ein Kind? Tages Anzeiger, 2.5. von Daniel Schneebeli

Erst 10 Jahre ist es her, seit das Volk eine Initiative abgelehnt hat, die nur eine Fremdsprache an der Primarschule forderte Warum muss es jetzt schon wieder über die gleiche Frage befinden?

Christoph Ziegler: In den letzten 10 Jahren hat es sich einfach gezeigt, dass die zweite Fremdsprache an der Sekundarschule viel schneller, besser und nachhaltiger gelernt werden kann. Das zeigt etwa eine Studie aus dem Kanton Aargau, wonach Aargauer Schüler die Frühenglisch hatten, am Ende der Volksschule kaum weiter sind als die Solothurner, die kein Frühenglisch hatten. Der grosse Aufwand, den wir in der Primarschule betreiben, ist gemessen am Resultat nicht gerechtfertigt. Zudem sind die Rahmenbedingungen an der Primarschule schlecht, wir haben zu wenig Lektionen und zu grosse Klassen.

Vera Lang: Da kommt Ihre Initiative aber zu spät. Mit der Einführung des Lehrplans 21 wird die Zahl der Fremdsprachenlektionen in der Primarschule erhöht. Dann wird die Einführung von Frühenglisch von der 2. in die 3. Klasse verlegt. Es gibt also in der zweiten Klasse mehr Zeit, um besser Deutsch zu lernen. Somit werden einige Forderungen Ihrer Initiative schon 2018 umgesetzt sein.

Ziegler: Es stimmt, jetzt wird im Stundenplan etwas herumgeschraubt. Aber das reicht natürlich nicht, ein schlechtes Sprachenkonzept ein bisschen zu verbessern. Kommt dazu, dass dafür in der Sekundarschule weniger Sprachstunden geplant sind. Darum ist es jetzt Zeit, die Übung mit zwei Fremdsprachen abzubrechen. Neu muss es heissen: In der Primarschule lernen die Kinder nur noch eine Fremdsprache, dafür richtig.

Welche Rahmenbedingungen müssten für Sie stimmen, damit man in der Primarschule zwei Fremdsprachen haben könnte?

Ziegler: Der Unterricht müsste zum Beispiel in halben Klassen stattfinden können. Wir müssten auch viel mehr Lektionen zur Verfügung haben. Aber das ist kaum zu erreichen.
Sind Sie einverstanden, dass die Rahmenbedingungen in der Primarschule schlecht sind? 

Lang: Nein, bin ich nicht. Die Initianten sagen, die Schüler seien überfordert. Es stimmt zwar, dass es überforderte Schüler gibt, aber die gibt es auch in anderen Fächern. Ich bin der Überzeugung, dass wir unsere Schule nicht allein an den 20 Prozent Überforderten ausrichten dürfen. Denn es gibt auch 80 Prozent der Schüler, die mit zwei Fremdsprachen zurechtkommen. 

Ziegler: Diese Zahlen würde ich bestreiten. Gemäss einer aktuellen Zentralschweizer Studie erreichen nur 34 Prozent der Schüler die Lernziele im Primarschulfranzösisch.

Fakt ist, dass in der Primarschule nur eine Minderheit überfordert ist. Kommt dazu, dass es mindestens so viele Unterforderte gibt. Warum soll man das Fremdsprachenkonzept an einer Minderheit ausrichten und die Mehrheit strafen?

Ziegler: Es ist keine Bestrafung der Mehrheit. Die Mehrheit lernt in der frei werdenden Zeit etwas anderes. Besser Deutsch, Natur und Technik, Realien. 

Lang: Mich stört an Ihren Aussagen, dass Sie zwar mit einer Studie übers Frühfranzösisch argumentieren, aber nicht sagen, welche Sprache in die Sekundarschule verlegt werden soll. Das ist feige. Denn eines ist klar: Wenn es ein Ja gibt zu dieser Initiative, wird aus staatspolitischen Gründen Englisch auf die Sekundarschule verschoben und nicht die Landessprache Französisch. Das verändert die Ausgangslage, denn vor 10 Jahren hat das Volk dem Frühenglisch mit einer grossen Mehrheit zugestimmt. Wenn wir dies bereits wieder rückgängig machen, wäre dies sehr bedauerlich. Denn gerade mit dem neuen Fach Medien und Informatik, das wir ab der 5. Klasse haben, wird Englisch in der Primarschule nochmals wichtiger. Das kann ich nicht unterstützen. Zürich ist ein Wirtschaftskanton und Englisch entsprechend wichtig.

Sie seien feige, weil Sie nicht sagen, welche Sprache verschoben werden soll. Was sagen Sie dazu?

Ziegler: Es ist irrelevant, welche Sprache zuerst gelernt wird. Am Ende der Volksschule werden die Kinder beide Sprachen gleich gut können. Wenn man unserem Sprachkonzept zustimmt, werden die Schüler am Ende der Schulzeit auch noch besser Deutsch können.

Welche Sprache soll aus ­pädagogischer Sicht in die ­Sekundarschule verschoben ­werden?

Ziegler: Es sollte meiner persönlichen Meinung nach Französisch sein. Ob der Bund des Sprachenkonzept verfügen kann, wie es Bundesrat Berset angedroht hat, sehen wir dann noch. Aus pädagogischer Sicht macht es nämlich mehr Sinn, mit Englisch zu beginnen, weil es den Kindern näherliegt.

Lang: Mit einem Ja zu dieser Initiative, würde der heutige Sprachenkompromiss, den die Harmos-Kantone geschlossen haben – erste Fremdsprache ab der 3. Klasse, zweite Fremdsprache ab der 5. Klasse –, verletzt. Der Kanton Zürich müsste aus Harmos also austreten.

Wie soll es mit Harmos weitergehen, wenn Zürich diese Initiative annimmt? Austritt oder nicht?

Ziegler: Ich bin gegen den Austritt. Es wird bei einem Ja zu unserer Initiative zuerst Verhandlungen über ein neues Sprachkonzept geben. Sollten sie scheitern, könnte am Ende ein Austritt Zürichs stehen. Ich persönlich stehe weiterhin zu Harmos. Das Konkordat regelt ja viel mehr als nur die Sprachenfrage.

Lang: Für mich ist klar. Wenn Zürich eine Sprache auf die Oberstufe verschiebt, kann es nicht bei Harmos dabeibleiben. Aber ich will verhindern, dass Zürich Harmos künden muss.

Welche Folgen hätte ein Ja zur Initiative neben einem möglichen Austritt aus Harmos?

Lang: Wir müssten vor allem den Lehrplan grundlegend überarbeiten und natürlich auch die Stundentafeln.

Ziegler: Der neue Lehrplan ist ohnehin noch nicht gegeben. Es gibt ja im Kanton Zürich auch noch eine Initiative gegen den Lehrplan 21.

Warum schiessen sich Lehrerinnen und Lehrer so auf den Unterricht in den Fremdsprachen ein? Womöglich ist der Lernerfolg in anderen Fächern auch nicht grösser.

Ziegler: Es geht nicht gegen ein Fach, sondern um ein Sprachkonzept. Es geht darum, die drei Sprachen Deutsch, Französisch und Englisch möglichst effizient zu lernen. Gemäss Pisa-Studie schneiden unsere Schüler regelmässig enttäuschend ab in Deutsch. Darum muss es Änderungen im Stundenplan zugunsten von Deutsch geben.
 
Lang: Mich erstaunt schon, dass Sie mit der Pisa-Studie argumentieren, die insbesondere in der Lehrerschaft stark kritisiert wird. Man frage das Falsche ab, und die Settings der Tests seien nicht korrekt. Meines Erachtens müssen wir dem geltenden Sprachkonzept noch etwas Zeit geben. Denn Untersuchungen zeigen, dass Schüler, die mit zwei Fremdsprachen überfordert sind, auch in anderen Fächern Mühe haben. Die Zürcher Schulpräsidenten sind klar der Meinung, dass die Schule im Fremdsprachenunterricht gut unterwegs ist und Fortschritte macht. Wir wollen keinen Rückschritt in der Volksschule.

Ziegler: Wir wollen auch vorwärtsschauen. Unser Sprachkonzept wird die Schule weiterbringen.

Lang: Ihr Einsatz gegen die Fremdsprachen ist dennoch auffällig. Es gibt nämlich viele Kinder, die sich in der Primarschule mit der Geometrie schwertun. Noch nie hab ich gehört, dass man deshalb auf Geometrie verzichten sollte. 

Ziegler: Das ist ein Ablenkungsmanöver. Das Hauptproblem ist, dass wir immer mehr Stoff in die Primarschule stopfen, der die Kinder zunehmend überfordert. Die Vielfalt der Fächer ist zu gross.

Was passiert mit Schülern, die auch in der Sekundarschule mit zwei Fremdsprachen überfordert sind?

Ziegler: Wir haben in der Sek bessere Möglichkeiten, die Schüler aufzufangen, weil wir verschiedene Niveaus haben. Wenn es gar nicht geht, kann man die Kinder von einer Sprache dispensieren.

Lang: Das ist aber für Schwächere ein grosser Nachteil. Etwa im Detailhandel wird später Französisch verlangt.

Liegt die Misere womöglich bei den Lehrpersonen? Beherrschen sie die Fremdsprachen zu wenig? 

Ziegler: Das glaube ich nicht. Aber etwas stimmt. Primarlehrer sind Generalisten und müssen fast alles unterrichten können. Sie haben also in Englisch oder Französisch nicht die gleich fundierte Ausbildung wie ein Mittelschullehrer.

Haben Lehrerinnen und Lehrer zu hohe Erwartungen?

Ziegler: Das ist möglich. Aber dann erwarten auch die Lehrmittelautoren zu viel. Meines Erachtens sollten wir hohe Erwartungen haben. Wenn wir sie zurückschrauben, lohnt sich der grosse Aufwand erst recht nicht mehr.

Wie erklären Sie den Stimmbürgern, dass die 41 Millionen Franken, die in die Aus- und Weiterbildung der Primarlehrer investiert wurden, bei einem Ja für die Katz war?

Ziegler: Es war nicht für die Katz.

Wieso nicht?

Ziegler: Derzeit werden ja zwei Sprachen unterrichtet, und dafür war dieser Aufwand nötig. Ich sage den Stimmberechtigten aber: Mit unserer Initiative sparen wir in Zukunft.

Da müssten Sie als Freisinnige auch dafür sein, Frau Lang.

Lang: Ich glaube nicht, dass sich solches Sparen am Ende auszahlt. Eltern, die es sich leisten können, werden ihre Kinder wie früher in private Englischkurse schicken. Das wird die Chancengleichheit in der Schule verschlechtern.


1 Kommentar:

  1. LESERBRIEF an den TAGI
    Gescheitertes Sprachenkonzept korrigieren

    Am 21. Mai wird über die Volksinitiative «Mehr Qualität – eine Fremdsprache in der Primarschule» abgestimmt, die von den Zürcher Lehrerverbänden lanciert wurde, weil sie das bisherige Frühfremdsprachenkonzept als gescheitert ansehen. Sie weisen mit Recht darauf hin, dass sich der grosse Aufwand an Lernzeit für die beiden frühen Fremdsprachen überhaupt nicht lohnt. Dieser Verlust an wertvoller Lernzeit geht klar auf Kosten anderer Fächer. Diese Zeit könnte für bessere Deutschkenntnisse, mehr sprachfördernde Realienstunden (MINT-Fächer) und für eine solide Grundausbildung in Informatik eingesetzt werden. Wenn sich die Primarschule auf zu viele Bildungsziele verzettelt, kann sie ihren Grundauftrag nicht erfüllen. Eine Fremdsprache in der Primarschule ist genug, die zweite gehört auf die Oberstufe, wo mit altersgerechten analytischen Methoden in viel kürzerer Zeit mehr erreicht werden kann. Weil die Frühfremdsprachen keinen Langzeiteffekt haben, findet die Harmonisierung so oder so erst auf der Sekundarstufe statt. Warum soll der Kanton Zürich - wo er sonst überall an der Bildung sparen will - auf zwei teuren Frühfremdsprachen beharren, wenn Späteinsteiger in andern Kantonen mit nur halb so viel Fremdsprachlektionen in der Oberstufe praktisch gleich gut abschneiden?

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