Wenn schon Hochschulabsolventen ohne Punkt und Komma und voller
Rechtschreibfehler schreiben, dann muss man die Notbremse ziehen. Orthografie
geht nicht nach Gehör. Sie muss geübt werden. Üben ist sexy.
Wir sind auf dem Weg in eine Republik der Analphabeten, Welt, 10.4. von Hildegard Stausberg
Wenn man Geld für einen guten Zweck braucht, ist es völlig
legitim, Bittbriefe an Leute zu schicken, von denen man sich Hilfe erhoffen
darf. Insofern wunderte ich mich auch gar nicht, als mich vor Kurzem ein junger
Mann anschrieb, der in Rio de Janeiro ein Sozialprojekt betreut, das mithelfen
soll, Kindern aus Favelas eine bessere Schulausbildung zu ermöglichen. Toll!
Früher hätte man einen Brief bekommen, der zwingend begonnen
hätte mit einem „Sehr geehrte Frau Stausberg“. Geraume Zeit später wäre man
wohl übergegangen zu einem „Liebe Frau Stausberg“. Heute heißt es im lockeren
E-Mail-Verkehr nur noch: „Hallo Frau Stausberg“. Na ja, geht auch.
Rechtschreibreform war ein Flop
Die Rechtschreibreform hat ihr Ziel verfehlt. Zu dem Ergebnis
kamen jetzt Forscher, denn die Fehlerquote an den Schulen hat sich deutlich
erhöht. Vor allem drei Bereiche bereiten den Schülern Probleme.
Was aber gar nicht geht, sind Schriftstücke – egal ob Brief oder
E-Mail –, in denen kein einziges Komma mehr gesetzt wird (sic!) und wo in
mindestens jedem dritten Satz irgendein dicker Orthografiefehler steht.
Wohlgemerkt: Ich rede nicht von einem Volksschüler, dem man das
in den unteren Klassen noch nachsehen könnte, sondern einem jungen Menschen,
der auf die 30 zugeht und ein sozialwissenschaftliches Studium an einer
deutschen Fachhochschule mit Abschlussnote „gut“ absolviert hat, wie ein
beigefügter Lebenslauf bewies, mit dem er seine Seriosität ausweisen wollte.
Üben ist sexy
Wie kann das sein? Was züchten wir uns da eigentlich heran an
unseren Unis? Eine Zwei für einen Analphabeten – grausam! Ich habe den
Schreiber umgehend gebeten, mir sein Anliegen, das ich unterstützen möchte,
doch bitte in einer fehlerfrei verfassten Form zukommen zu lassen, schließlich
möchte ich damit auch in meinem Bekanntenkreis werben. Auf die Antwort warte
ich noch.
Kann es eigentlich noch mal besser werden? Und was rollt da auf
uns zu, wenn erst die nach der phonetischen Methode des „Schreibens nach Gehör“
ausgebildeten Schülergenerationen an die Unis drängen? Ihre Verteidiger,
angeblich „schülerzugewandte“ Pädagogen, sprechen verharmlosend von
„Erleichterungsdidaktik“.
In Wirklichkeit zeigen
die katastrophalen Ergebnisse: Rechtschreibung
kann nur durch beharrliches Üben der orthografisch richtigen Schreibweise
erlernt werden. Der hohe Anteil an Kindern mit
Migrationshintergrund verbietet sowieso eine weitere Anwendung der phonetischen
Schreiben-nach-Gehör-Methode: Wer soll denn da zu Hause, wo häufig gar kein
Deutsch gesprochen wird, korrigierend eingreifen?
Letztlich fördert das
nur Isolation. Im ganzen Land findet in den nächsten Wochen der sogenannte
Vera-3-Test statt. Er bildet den Lernstand der dritten Klassen ab, also auch
Schreibleistungen. Aus den Ergebnissen müssen endlich Konsequenzen gezogen
werden: Üben ist sexy!
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