5. März 2017

Studie zweifelt am Sinn der Primarfremdsprachen

Im Mai kommt es zu einer wegweisenden Abstimmung im Schweizer Sprachenstreit. Die Stimmberechtigten im Kanton Zürich befinden über die Initiative, die eine Beschränkung auf eine Fremdsprache an der Primarschule fordert. In weiteren Kantonen sind ähnliche Volksbegehren pendent. Sagt Zürich Ja, wird der Sprachenkompromiss der Erziehungsdirektorenkonferenz aus den Angeln gehoben, der besagt, dass alle Primarschüler in der Schweiz eine zweite Landessprache und Englisch lernen.
Die Studie stellt den Aufwand der Primarfremdsprachen infrage. Bild: Christian Beutler
Frühenglisch bringt zu wenig Vorteile, NZZaS, 5.3. von René Donzé


Just in dieser Zeit hat nun der Kanton Aargau eine brisante Studie veröffentlicht. Durchgeführt wurde sie von Nicole Bayer und Urs Moser vom Institut für Bildungsevaluation der Universität Zürich. Sie verglichen die Kompetenzen der Aargauer Schüler, die ab der dritten Klasse Englisch lernen, mit den Fähigkeiten der Solothurner, die zum Zeitpunkt der Studie nur drei Jahre Englisch auf der Oberstufe hatten. Der Vergleich fand am Ende der obligatorischen Schulzeit statt.

Geringer Vorsprung
Im Ergebnis schnitten die Aargauer zwar einiges besser ab: So erreichten dort viel mehr Jugendliche ein sehr hohes Niveau. Und fast alle erfüllten die Vorgaben des Lehrplans. Im Kanton Solothurn hingegen kamen doppelt so viele Schüler nicht über das tiefsten Niveau im Lesen (34 Prozent) und Schreiben (16 Prozent) heraus. Darum wertet das Aargauer Bildungsdepartement die Einführung des Frühenglisch als Erfolg.

Dennoch ist die Studie Wasser auf die Mühlen all jener, die die Wirksamkeit des frühen Fremdsprachenunterrichts bezweifeln. Bayer und Moser schreiben: «Gemessen an der total aufgewendeten Unterrichtszeit, ist das Verhältnis von Aufwand und Ertrag bei einem frühen Beginn mit dem Englischunterricht eher ungünstig.» So betrug der Vorsprung der Aargauer auf die Solothurner am Ende der Schulzeit lediglich ein halbes bis ein ganzes Schuljahr. Und das, obwohl die Aargauer sieben Jahre und die Solothurner bloss drei Jahre Englischunterricht hatten. Der Aufwand war also mehr als doppelt so gross.

Die Studie bestätigt damit auch die Befunde der vielbeachteten Untersuchung der Linguistin Simone Pfenninger. Sie stellte fest, dass Gymnasiasten, die im Englisch bei null begannen, ihre Kollegen, die Frühenglisch hatten, schnell einholten. «Man könnte beim Zweitsprachenerwerb dasselbe Ziel auf der Oberstufe mit kleinerem Aufwand erreichen», sagt Pfenninger. Die Intensität des Unterrichts sei wichtiger als das Einstiegsalter oder die Anzahl Jahre des Unterrichts.

Ähnliches sieht auch Urs Moser. «Man würde in der Tat relativ wenig verlieren, wenn man den Englischunterricht in die Oberstufe verschieben würde», sagt er. Es sei allerdings auch logisch, dass ältere Schüler kognitiv weiter seien und darum schneller lernten. Dennoch käme es wohl niemandem in den Sinn, erst in der Oberstufe mit Mathematikunterricht zu beginnen.

Lieber mehr Deutsch
Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands und Mitglied des Initiativkomitees, freut sich über die Ergebnisse der Studie. Bemerkenswert sei auch der festgestellte klare Zusammenhang zwischen Deutschkompetenzen und Fortschritten im Englisch. Man konzentriere sich also besser auf Deutsch und eine Fremdsprache in der Primarschule und beginne mit der zweiten erst später. «Die Schüler holen den Rückstand in no time auf.» Sie persönlich würde Französisch den Vorzug geben, die Motivation fürs Englisch sei ohnehin gross.

Die Studie kommt für die Erziehungsdirektorenkonferenz ungelegen – zumal die Forscher auch schreiben, dass das von den Erziehungsdirektoren erklärte Ziel, in beiden Fremdsprachen bis Ende Schulzeit dasselbe Niveau zu erreichen, kaum erreichbar sei. Die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner, Präsidentin der Konferenz, möchte sich nicht zur Studie äussern, da sie diese noch nicht im Detail kenne. Generell aber lohne sich der frühe Fremdsprachenunterricht, sagt sie. Die Kinder lernten anders, ganzheitlich und unbewusst. Zudem entwickelten sie so leichter ein Verständnis für andere Kulturen.


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