Die Initiantinnen von der Unterstufenkonferenz der Schule Rüti inOstermundigen lösten mit ihrem offenen Brief ein enormes Echo aus. Nun hoffen
sie auf das Pilotprojekt «Teamteaching». Wir
haben uns mit Mitautorin Annemarie Müllener unterhalten.
"Dringender Handlungsbedarf", Weltwoche, 30.3. von Christoph Mörgeli
Welches
waren die Reaktionen von Öffentlichkeit und Behörden auf Ihren offenen Brief?
Das
grosse Medienecho auf unseren offenen Brief an Erziehungsdirektor Bernhard
Pulver hat uns überrascht und sehr gefreut. Auch die Reaktion der
Erziehungsdirektion ist genau das, was wir uns gewünscht haben: Wir werden
ernstgenommen und können nun in Zusammenarbeit mit Herrn Sommer intern an
Lösungen weiterarbeiten.
Warum
ging Ihr offener Brief von Ostermundigen aus? Haben sich die Probleme in Ihrer
Schulgemeinde speziell zugespitzt?
Seit
der Einführung des Integrationsartikels und von Harmos sind wir im 1.Zyklus
(Kindergarten und erste zwei Unterstufen) immer wieder mit sehr schwierigen
Klassen konfrontiert. Deshalb haben wir uns entschlossen, endlich etwas zu
unternehmen. Zudem wollten wir überprüfen, ob auch an anderen Orten ähnliche
Erfahrungen gemacht werden. In Absprache mit unserem Berufsverband Bildung Bern
haben wir uns in einem ersten Schritt zum offenen Brief entschlossen.
Wie
beurteilen Sie die Tatsache, dass sich Ihrem Aufruf nicht weniger als 806
bernische Unterstufenlehrerinnen und -lehrer angeschlossen haben?
Der
Umstand, dass so viele Lehrpersonen aus über hundert Schulen aller
deutschsprachigen Regionen des Kantons den Brief unterzeichnet haben, zeigt uns
deutlich, dass an vielen Orten dringender Handlungsbedarf besteht.
Inwiefern
stellen sich die von Ihnen genannten Probleme bei der Unterstufe gleich wie
beziehungsweise anders als bei den nachfolgenden Schulstufen?
Die
Probleme mit der Integration gibt es nicht nur im 1.Zyklus. Wir hatten auch
Rückmeldungen von Lehrpersonen aus dem 2.Zyklus (dritte bis sechste
Primarschule), die sich ebenfalls mehr Teamteaching in schwierigen Klassen
wünschen.
Welche Rolle
spielen Kinder mit Migrationshintergrund bei den von Ihnen genannten
Schulproblemen?
Das
Problem stellt sich nicht speziell bei Kindern mit Migrationshintergrund!
Lernschwierigkeiten, auffälliges Verhalten und Erziehungsdefizite treffen wir
in allen sozialen Schichten und Kulturen an.
Haben
die Lehrpersonen den Integrationsgedanken, der nun zu grossen Schwierigkeiten
führt, nicht allzu lange selber aktiv mitgetragen?
Es gibt
für uns keine Alternative zur Integration! Dies wäre eine Separation, und eine
solche ist kein gangbarer Weg. Vielmehr geht es darum, wirkliche Integration
von allen Kindern möglich zu machen, indem die personellen Ressourcen da
angemessen aufgestockt werden, wo es schwierig ist.
Können
Sie uns Beispiele schildern, die eine einzelne Lehrperson überfordern?
Es gibt
eine breite Palette von auffälligem Verhalten, und ein oder zwei hier
beschriebene Einzelfälle würden das Gesamtbild verzerren. Es gibt so viele
Verhaltensmuster wie Schülerinnen und Schüler. Wichtig ist, darauf adäquat zu
reagieren, was nur möglich ist, wenn wir das Kind kennen und eine Beziehung zu
ihm aufgebaut haben. Diese Arbeit kann letztlich nur von pädagogischen
Fachkräften geleistet werden.
Halten
Sie angesichts Ihres konkreten Schulalltags den Integrationsartikel und Harmos
für gescheitert?
Nein,
für uns ist weder der Integrationsartikel noch Harmos gescheitert! Vielmehr
zeigt sich seit der Einführung, dass diese nur mit mehr personellen Ressourcen
umgesetzt werden können, sollen nicht die leistungsfähigen und lernwilligen
Kinder zu kurz kommen. Zudem gilt dies für uns auch für den Lehrplan 21. Auch
diesen werden wir nur mit mehr Teamteaching erfolgreich umsetzen können!
Glauben
Sie, es wären neben dem zusätzlichen Teamteaching und entsprechenden
Stellenaufstockungen auch andere Massnahmen hilfreich?
Nein,
für uns gibt es keine echten Alternativen zum Teamteaching. Wir kennen hier im
Kanton Bern die Klassenhilfen, das Win-3Projekt sowie Zivildienstleistende und
helfende Eltern. Sie alle können – trotz gutem Willen – keine pädagogisch
ausgebildeten Fachpersonen ersetzen. Zudem bringen zu viele Bezugspersonen oft
mehr Unruhe als Unterstützung in die Klassen.
Was
erwarten Sie jetzt konkret von Seiten Ihrer vorgesetzten Behörden?
Wir
haben bekommen, was wir erwartet haben: Wir werden ernst genommen. Wir können
nun in Zusammenarbeit mit der Erziehungsdirektion als Übergangslösung bis zu
mehr Teamteaching ein Projekt weiterbearbeiten. Wir prüfen, wie wir die
bestehenden Ressourcen im Umgang mit schwierigen Schülerinnen und Schülern
anders einsetzen können. Wir hoffen, damit im neuen Schuljahr starten zu
können.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen