30. März 2017

Rezept gegen Probleme: Teamteaching und mehr "Pulver"

Die Initiantinnen von der Unterstufenkonferenz der Schule Rüti inOstermundigen lösten mit ihrem offenen Brief ein enormes Echo aus. Nun hoffen sie auf das Pilotprojekt «Teamteaching». Wir haben uns mit Mitautorin Annemarie Müllener unterhalten.
"Dringender Handlungsbedarf", Weltwoche, 30.3. von Christoph Mörgeli


Welches waren die Reaktionen von Öffentlichkeit und Behörden auf Ihren offenen Brief?

Das grosse Medienecho auf unseren offenen Brief an Erziehungsdirektor Bernhard Pulver hat uns überrascht und sehr gefreut. Auch die Reaktion der Erziehungsdirektion ist genau das, was wir uns gewünscht haben: Wir werden ernstgenommen und können nun in Zusammenarbeit mit Herrn Sommer intern an Lösungen weiterarbeiten.

Warum ging Ihr offener Brief von Ostermundigen aus? Haben sich die Probleme in Ihrer Schulgemeinde speziell zugespitzt?

Seit der Einführung des Integrationsartikels und von Harmos sind wir im 1.Zyklus (Kindergarten und erste zwei Unterstufen) immer wieder mit sehr schwierigen Klassen konfrontiert. Deshalb haben wir uns entschlossen, endlich etwas zu unternehmen. Zudem wollten wir überprüfen, ob auch an anderen Orten ähnliche Erfahrungen gemacht werden. In Absprache mit unserem Berufsverband Bildung Bern haben wir uns in einem ersten Schritt zum offenen Brief entschlossen.

Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass sich Ihrem Aufruf nicht weniger als 806 bernische Unterstufenlehrerinnen und -lehrer angeschlossen haben?

Der Umstand, dass so viele Lehrpersonen aus über hundert Schulen aller deutschsprachigen Regionen des Kantons den Brief unterzeichnet haben, zeigt uns deutlich, dass an vielen Orten dringender Handlungsbedarf besteht.

Inwiefern stellen sich die von Ihnen genannten Probleme bei der Unterstufe gleich wie beziehungsweise anders als bei den nachfolgenden Schulstufen?

Die Probleme mit der Integration gibt es nicht nur im 1.Zyklus. Wir hatten auch Rückmeldungen von Lehrpersonen aus dem 2.Zyklus (dritte bis sechste Primarschule), die sich ebenfalls mehr Teamteaching in schwierigen Klassen wünschen.

Welche Rolle spielen Kinder mit Migrationshintergrund bei den von Ihnen genannten Schulproblemen?

Das Problem stellt sich nicht speziell bei Kindern mit Migrationshintergrund! Lernschwierigkeiten, auffälliges Verhalten und Erziehungsdefizite treffen wir in allen sozialen Schichten und Kulturen an.

Haben die Lehrpersonen den Integrationsgedanken, der nun zu grossen Schwierigkeiten führt, nicht allzu lange selber aktiv mitgetragen?

Es gibt für uns keine Alternative zur Integration! Dies wäre eine Separation, und eine solche ist kein gangbarer Weg. Vielmehr geht es darum, wirkliche Integration von allen Kindern möglich zu machen, indem die personellen Ressourcen da angemessen aufgestockt werden, wo es schwierig ist.

Können Sie uns Beispiele schildern, die eine einzelne Lehrperson überfordern?

Es gibt eine breite Palette von auffälligem Verhalten, und ein oder zwei hier beschriebene Einzelfälle würden das Gesamtbild verzerren. Es gibt so viele Verhaltensmuster wie Schülerinnen und Schüler. Wichtig ist, darauf adäquat zu reagieren, was nur möglich ist, wenn wir das Kind kennen und eine Beziehung zu ihm aufgebaut haben. Diese Arbeit kann letztlich nur von pädagogischen Fachkräften geleistet werden.

Halten Sie angesichts Ihres konkreten Schulalltags den Integrationsartikel und Harmos für gescheitert?

Nein, für uns ist weder der Integrationsartikel noch Harmos gescheitert! Vielmehr zeigt sich seit der Einführung, dass diese nur mit mehr personellen Ressourcen umgesetzt werden können, sollen nicht die leistungsfähigen und lernwilligen Kinder zu kurz kommen. Zudem gilt dies für uns auch für den Lehrplan 21. Auch diesen werden wir nur mit mehr Teamteaching erfolgreich umsetzen können!

Glauben Sie, es wären neben dem zusätzlichen Teamteaching und entsprechenden Stellenaufstockungen auch andere Massnahmen hilfreich?

Nein, für uns gibt es keine echten Alternativen zum Teamteaching. Wir kennen hier im Kanton Bern die Klassenhilfen, das Win-3Projekt sowie Zivildienstleistende und helfende Eltern. Sie alle können – trotz gutem Willen – keine pädagogisch ausgebildeten Fachpersonen ersetzen. Zudem bringen zu viele Bezugspersonen oft mehr Unruhe als Unterstützung in die Klassen.

Was erwarten Sie jetzt konkret von Seiten Ihrer vorgesetzten Behörden?


Wir haben bekommen, was wir erwartet haben: Wir werden ernst genommen. Wir können nun in Zusammenarbeit mit der Erziehungsdirektion als Übergangslösung bis zu mehr Teamteaching ein Projekt weiterbearbeiten. Wir prüfen, wie wir die bestehenden Ressourcen im Umgang mit schwierigen Schülerinnen und Schülern anders einsetzen können. Wir hoffen, damit im neuen Schuljahr starten zu können.

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