Viel ist in letzter Zeit
von der Digitalisierung der Bildung die Rede, ein österreichisches Bundesland
hat gleich ein «Jahr der digitalen Bildung» ausgerufen, und ganz Zeitgeistige
wie die renommierte Fraunhofer Academy sprechen gleich von Bildung 4.0 und
dokumentieren damit, dass es keinen Unsinn gibt, der sich nicht sagen lässt.
Überall werden Offensiven gestartet, um Schulen mit digitalen Endgeräten zu
versorgen, den Unterricht auf digitale Lehrmittel und Methoden umzustellen und
so die angeblich notwendige «digitale Kompetenz» zu vermitteln, ohne die ja die
Zukunft nicht bewältigt werden kann. Das Geld, das in manchen Ländern im
Bildungsbereich an allen Ecken und Enden fehlt, ist plötzlich da, wenn es darum
geht, Grossaufträge an die entsprechenden Industrien und Konzerne zu vergeben,
die ja nicht nur die Geräte, sondern gleich auch die Programme dazu liefern –
auch eine Form der Privatisierung des Wissens.
Digitale Drogen, NZZ, 1.2. von Konrad Paul Liessmann
Es gibt allerdings keine empirische
Untersuchung, die zeigen könnte, dass der frühzeitige Einsatz digitaler Medien
irgendwelche positiven Effekte hätte. Weder wird mehr noch besser, noch
nachhaltiger, noch umfassender gelernt, und auch die vielbeschworene
Medienkompetenz, die man sich davon gerne erhofft, will sich nicht einstellen.
Und besser vorbereitet auf eine Zukunft, die niemand kennt, ist dadurch auch
niemand. Denn wenn es stimmt, dass die technisierte Arbeitswelt bald keine
Menschen mehr benötigt, hat derjenige die besten Aussichten, der etwas zu
bieten hat, was weder digitalisiert noch automatisiert werden kann.
Im Grunde wiederholt sich hier ein grundlegendes
Missverständnis, das schon seit Jahrzehnten sein Unwesen treibt. Wie oft sind
im Bereich der Bildung schon alle Hoffnungen in technische Innovationen gesetzt
worden: in den Videorecorder, in den programmierten Unterricht, in
Sprachlabors, in den Overhead-Projektor, in Power-Point und Whiteboards und nun
in die umfassende Digitalisierung. Wie immer werden nach kurzer Zeit die Geräte
veraltet und nicht gewartet sein, die Ergebnisse bescheiden bis alarmierend,
aber die sozial und kulturell Benachteiligten und Zurückgebliebenen werden sich
mit ihren gesponserten Tablets wenigstens spielerisch trösten und dies als
Bildungserfolg verbuchen können.
Man
kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es manchen nicht schnell genug
gehen kann, bis die jungen Menschen jede Form des Denkens, Fühlens und
Handelns, die nicht von den Algorithmen der Internetkonzerne bestimmt ist,
nicht nur verlernt, sondern erst gar nicht gelernt haben und dadurch in jeder
Hinsicht von ihren Geräten abhängig werden: digitale Drogen, nun auch staatlich
verordnet.
Von der Seite der Pädagogen ist kaum Protest zu erwarten, wer
möchte schon als technik- oder fortschrittsfeindlich gelten. Dass der
vielbeschworene kritische Umgang mit den digitalen Medien eine Distanz zu
diesen zur Voraussetzung hat, die sich aus Kenntnissen und Fähigkeiten speisen
muss, die sich nicht der digitalisierten Welt verdanken, ist eine Einsicht, die
ausgeblendet wird, obwohl gerade darin eine der zentralen Aufgaben von Schulen
läge. Immerhin: Für das unmündige Leben in einer postdemokratischen
Gesellschaft, deren digitalisierte Kommunikation zunehmend totalitäre Züge
annimmt, werden diese jungen Menschen bestens vorbereitet sein. Und nach der
Katastrophe wird es wieder einmal niemand gewesen sein.
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