Die oberste Bildungsdirektorin Silvia Steiner sagt, in der Bildung sei
Sparen ohne Qualitätsverlust möglich. Die Schule dürfe nicht auf die
Schwächsten ausgerichtet werden.
Silvia Steiner in ihrem Sitzungszimmer, Bild: Salvatore Vinci
"Habe Mühe mit dem Gejammer", NZZaS, 1.1. von René Donzé
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NZZ am Sonntag: Über die Schule wird viel
gestritten, zum Beispiel über den Lehrplan 21 oder Fremdsprachen. Nun werden
Sie Präsidentin der Erziehungsdirektoren und stehen im Zentrum solcher
Diskussionen. Halten Sie gerne den Kopf hin, wenn etwas krummläuft?
Silvia Steiner: Das ist natürlich nicht mein grösster
Wunsch. Aber es ist mir bewusst, dass es in der Schweiz eine Tendenz zum
Bildungs-Bashing gibt. Das liegt daran, dass die Leute oft aus einer
subjektiven Betroffenheit heraus argumentieren.
Objektiv belegbar ist die Leseschwäche der Schweizer Schüler. Laut Pisa-Studie
hat jeder fünfte 15-Jährige Mühe, einen Text zu verstehen. Die EDK zweifelt die
Qualität der Studie an. Wollen Sie vom Problem ablenken?
Das mag auf den ersten Blick tatsächlich wie ein Ablenkungsmanöver
erscheinen, ist es aber nicht. Wir zweifeln ja auch die guten Resultate in der
Mathematik an, nicht bloss die schlechten beim Lesen. Es ist schwierig,
aufgrund der neuen Pisa-Daten Aussagen zu machen. Was wir wissen: Bei Pisa 2012
lag der Anteil der leseschwachen Jugendlichen bei 14 Prozent. Es lässt sich
nicht wegdiskutieren, dass wir ein Problem bei den Lesekompetenzen haben.
Woran liegt das?
Ein grosser Teil der schwachen Schüler sind spät Zugewanderte. Ihre
Fremdsprachigkeit ist ein Problem. Probleme haben aber auch Kinder, die in
schwierigen sozialen Verhältnissen aufwachsen, sowie Kinder mit einer
Lernschwäche. In all diesen Bereichen müssen wir grosse Anstrengungen
unternehmen. Da sind wir auch schon lange dran.
Gebracht hat es noch nicht viel.
Das ist eben das Problem in der Bildungspolitik: Schwächen werden zwar
sofort erkannt und kritisiert, doch bis Massnahmen greifen, dauert es Jahre.
Das System ist träge. Und wir werden immer wieder zurückgeworfen durch
Ereignisse, die die Schule nicht beeinflussen kann. Wenn mehr Flüchtlinge in
die Schweiz kommen oder die Geburtenrate in der Schweiz steigt, hat das
Auswirkungen auf die Schule. Zum Glück können wir auf gute Lehrerinnen und
Lehrer zählen, die eine tolle Arbeit machen. Sie sind als Erste mit den
Problemen konfrontiert und wissen am besten, was gut ist für ihre Schüler.
Und doch hören Sie nicht auf die vielen Lehrer, die sagen, die
Primarschüler seien überfordert mit zwei Fremdsprachen, sie müssten zuerst
richtig Deutsch lernen.
Im Einzelfall mag das ja stimmen. Doch als Systemkritik ist es zu
einseitig. Wenn wir in der Primarschule Lektionen für Fremdsprachen abbauen
würden, müssten wir umso mehr auf der Oberstufe einplanen. Das liegt gar nicht
drin. Die Stundentafel, die definiert, auf welcher Stufe was unterrichtet wird,
ist ein komplexes Gebilde, an dem man nicht ohne Not grosse Veränderungen
vornehmen sollte. Darum hoffe ich auch auf ein klares Nein bei der Abstimmung
über die Fremdsprachen-Initiative im Kanton Zürich.
Hand aufs Herz: Mit zwei Lektionen Französisch in der Woche lernen Primarschüler
sowieso nichts Gescheites.
Ebenfalls Hand aufs Herz: Trauen Sie den Lehrern nichts zu? Ich bin
überzeugt, dass sie einiges erreichen können. Dafür müssen sie aber vernetzt
denken und nicht bloss auf die einzelnen Fächer schauen. Französisch ist für
mich ein Querschnitt-Fach.
Was heisst das?
Die Lehrer müssen auch einmal in einer anderen Lektion Französisch reden
oder ein französisches Lied singen. Die Fremdsprache sollte in andere Fächer
integriert werden, dann wird sie auch lebendig.
Da haben Sie aber eine sehr hohe Meinung von den Fähigkeiten der
Primarlehrerinnen.
Und hohe Erwartungen. Ja.
Ist es nicht generell so, dass die Kinder heute zu viel lernen und
können müssen, viel mehr als früher – als Sie und ich zur Schule gingen?
Natürlich ist das Mass für einige Schüler übervoll, da gebe ich Ihnen
recht. Und ich verstehe auch Lehrer, die sagen: ‹Halt, stopp, sichern. Mehr
geht nicht!› Aber dann reden wir wieder nur von den 20 Prozent schwachen
Schülern und vergessen die anderen 80 Prozent. Ich glaube, dass wir diese 20
Prozent individuell fördern müssen oder teilweise auch von Lernzielen befreien
sollten. Wenn wir für alle das Niveau senken oder eine Fremdsprache streichen
würden, wäre das ein Rückschritt. Ich weiss ja nicht, wie es Ihnen in der
Schule ging. Mich jedenfalls hat es gottvergessen genervt, dass ich erst in der
Oberstufe Französischunterricht hatte und erst im dritten Gymi Englisch. Ich
hätte das lieber früher gelernt. Viele Ressourcen sind damals einfach
brachgelegen.
Ich nehme an, Sie waren eine gute Schülerin.
Es geht. Ich hatte viele Interessen, die mich vom Lernen abhielten. In
der Schule war ich eine Minimalistin.
Aber Sie haben eine sehr schnelle Auffassungsgabe, wie Ihre Karriere
zeigt.
Das ist so – sofern mich etwas interessiert. Aber das ist doch bei allen
Menschen so. Und genau an diesem Punkt müssen wir in der Schule ansetzen, bei
der Lernfreude und beim Interesse der Kinder.
Ist nicht gerade die das Problem? Die Schule wird von einer schnell
denkenden Elite definiert. Sie kann nicht nachfühlen, wie es ist, wenn man
Dinge einfach nicht begreift.
Das kann sein. Intelligenz heisst aber auch, dass man sich in andere
einfühlen und sie verstehen kann. Nochmals: Wir dürfen nicht das ganze System
auf die schwächsten 20 Prozent der Schüler ausrichten. Was machen wird dann mit
den anderen 80?
So, wie es heute läuft, wird jeder fünfte Schüler zum Verlierer.
Das stimmt nicht, jeder fünfte Schüler hat zwar mit dem Schulstoff
Probleme, daran müssen wir arbeiten. Doch wir wollen nicht zurück zu Gotthelfs
Zeiten, wo schon ein Held war, wer etwas lesen konnte. Die Anforderungen der
Gesellschaft und der Wirtschaft steigen stetig. Das ist kein elitärer Ansatz,
sondern ganz einfach Realität. Unser Schulsystem muss dafür sorgen, dass unsere
Kinder gut gebildet werden, und dafür muss es hohe Ansprüche stellen. Es wird
immer Schüler geben, die diese nicht erfüllen. Diese Schüler dürfen wir nicht
hängenlassen. Wir müssen sie ins Berufsleben integrieren, da trägt die Schule
eine grosse Verantwortung. Die Wirtschaft muss aber auch Berufslehren für
schwache Schulabgänger anbieten, das sage ich den Wirtschaftsvertretern immer
wieder in unseren regelmässigen Treffen.
Sie übernehmen die EDK in einer Zeit, in der viele Kantone sparen, auch
in der Bildung. Das kann Ihnen doch keinen Spass machen.
Natürlich ist Sparen nicht sehr lustvoll. Aber ich habe Mühe mit dem
allgemeinen Gejammer über Bildungsabbau. Man muss überall in der Verwaltung
optimieren und Ressourcen bestmöglich ausnutzen. Das ist auch in der Bildung
möglich und nötig. Und zwar ohne Qualitätsabbau.
Im Februar stimmen wir über die Unternehmenssteuerreform ab. Der
Lehrerverband Schweiz warnt vor weiteren Sparrunden in der Bildung. Befürchten
Sie das auch?
Nein. Ich bin überzeugt, dass die Reform unseren Wirtschaftsstandort
stärkt, davon profitiert auch die Bildung.
Wenn wir weniger Geld in den Kassen haben?
Wir werden auf lange Sicht nicht weniger Steuern einnehmen. Natürlich
berechnen jetzt die Gegner solche Ausfälle. Aber ich bin mir sicher, dass diese
kompensiert werden. Wir müssen dafür sorgen, dass wir für Firmen ein
attraktiver Standort bleiben. Die Internationalität ist wichtig, sie sichert
uns auch gute Forschung.
Braucht es mehr Maturanden? Oder halten Sie es mit Bundesrat Johann
Schneider-Ammann, der lieber weniger, dafür bessere hätte?
Aus meiner Sicht ist die Quote mit rund 20 Prozent gymnasialen
Maturanden recht gut. Steigerungspotenzial sehe ich bei den Berufs- und
Fachmaturanden.
Die Hochschulen beklagen sich darüber, dass viele Gymnasiasten nicht gut
genug gerüstet sind fürs Studium.
Wir haben bereits Massnahmen eingeleitet, um die Studierfähigkeit der
Maturanden zu verbessern. Und ich erwarte von den Rektoren der Mittelschulen
auch, dass sie die Studierfähigkeit ihrer Schulabgänger prüfen. Generell müssen
sich unsere Gymnasien aber nicht verstecken. Die Aussagen von Herrn
Schneider-Ammann sind geprägt von der Sicht der ETH. Es ist klar, dass nicht
alle Maturanden fit sind für ein ETH-Studium. Die ETH ist nun wirklich eine naturwissenschaftlich
ausgerichtete Eliteschule.
Wenn Sie in vier Jahren zurückblicken: Was wollen Sie erreicht haben?
Ich bin froh, wenn die Fremdsprachen-Initiativen vom Tisch sind und der
Lehrplan 21 eingeführt ist. Zudem hoffe ich, die Berufs- und Fachmaturitätsquote
von 17 auf mindestens 20 Prozent steigern zu können. Mein wichtigstes Ziel ist
es aber, dass 95 Prozent der 25-Jährigen über mindestens eine Berufsausbildung
oder eine Matura verfügen.
Gute Schule erträgt Kritik: Der LP21 und die vielen Reformen ertragen keine Kritik und sollen von oben gesteuert am Volk vorbei eingeführt werden. Die Pisa-Abwärtsspirale ist ein Alarmzeichen jahrelanger Schulexperimente auf dem Buckel unserer Kinder.
AntwortenLöschenGute Schule hängt zu 90% von einer qualifizierten Lehrerschaft ab. Mit der Radikalreform Lehrplan 21 (Aeppli: grösste Neuerung seit Bestehen der Volksschule) wird diese Lehrerschaft und der bewährte Klassenunterricht durch das "selbstgesteuerte Lernen" abgeschafft. Das „selbstgesteuerte Lernen“ und die konstruktivistischen Lehrmittel drängen den «Lernbegleiter» förmlich aus dem Lernprozess hinaus, Lehrmittelzwang wird zum Methodenzwang.
Unser bewährtes Bildungswesen darf nicht mit einer gescheiterten Reformideologie aus dem letzten Jahrhundert an die Wand gefahren werden!