Vierte Klasse an einer Primarschule
in Winterthur ZH: Die Schüler haben Deutschstunde. Sie schreiben einfache
Sätze. Alle sind konzentriert. Nur Senta Aebi* langweilt sich. Die Zehnjährige
ist längst fertig und lernt auswendig. Eine Zusatzaufgabe, um das Mädchen zu
fördern. Denn Senta ist das einzige Schweizer Kind in der Klasse und neben
ihren Gschpänli, die teilweise auffällig schlecht Deutsch sprechen, total
unterfordert. «Meine Lehrerin muss mit meinen Kameraden fast
täglich Schulstoff aufarbeiten, das braucht unendlich Zeit», sagt sie.
Zeit, die Senta abgeht.
Büffeln oder zahlen, Blick, 13.1. von Romina Lenzlinger
50 Prozent aller
Schüler wachsen in Familien mit Migrationshintergrund auf
Senta ist kein Einzelfall. Es gibt
immer mehr Schulklassen, in denen Schweizer Kinder in der Minderheit sind.
«Mittlerweile wachsen rund 50 Prozent aller Schüler in Familien mit
Migrationshintergrund auf», sagt Jürg Brühlmann (62), Bildungsexperte des Schweizer
Lehrerverbandes. Die Sprachprobleme vieler Kinder werden für die
Schulen zunehmend zur Belastung. Brühlmann redet von einer tickenden Zeitbombe.
«Die mangelnden Deutschkenntnisse vieler Schüler sind ein Problem, wenn die
Politik Gelder für Deutschkurse streicht oder Klassengrössen weiter erhöht»,
sagt er. «Wer die einfachsten Aufgaben nicht versteht, ist automatisch
benachteiligt.»
Thurgauer büssen
Eltern, deren Kinder nicht Deutsch sprechen
Auf die Deutsch-Misere reagiert hat
die Thurgauer Gemeinde Sirnach. Schulpräsident Urs Schrepfer (45) bittet
Eltern, deren Kinder in der Schweiz geboren wurden, aber kaum Deutsch sprechen,
seit dem letzten Schuljahr zur Kasse. «Von Schülern, die hier aufgewachsen
sind, erwarten wir, dass sie unsere Sprache verstehen», sagt Schrepfer.
Eigentlich keine ungewöhnliche Forderung. Doch die Realität sieht anders aus.
«Viele verstehen nicht mal die einfachsten Anweisungen», so Schrepfer.
Sirnach will die jährlichen Kosten
von 180'000 Franken für die Förderstunden nicht mehr allein tragen: Seit dem
letzten Schuljahr verrechnet sie den betroffenen Eltern 150 Franken pro Lektion
– Flüchtlingskinder sind von der Massnahme ausgeschlossen.
Kinder von 18
Eltern mussten 600 Franken zahlen
Die Bilanz ist dennoch ordentlich:
Insgesamt 18 Familien wurden gebüsst. Im Schnitt bezahlten sie 600 Franken.
Mitleid hat der Schulpräsident nicht. «Die Eltern könnten mehr Effort zeigen»,
sagt Schulpräsident Schrepfer. Denn in der Gemeinde gebe es genug Angebote, um
Deutsch zu lernen. «Wir möchten niemanden piesacken», so Schrepfer.
Doch alle Schüler sollen die gleichen Chancen haben.
Die finanzielle Beteiligung der Eltern an Stütz- und Förderkursen an der Volksschule ist problematisch. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre die Abschaffung der obligatorischen zwei Fremdsprachen an der Primarschule.
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