Liederlichkeit in der Grammatik ist ein Ärgernis, gewiss. Doch wie steht
es mit Sprachmoden wie der Ballung geschlechtsneutraler Formen und gedankenlos
nachgeäfften Anglizismen? Die sind oft noch schlimmer – und noch schwerer
aufzuhalten.
Rumoren in der Wörter-Waschmaschine, NZZ, 19.1. von Urs Bühler
Seit 1991 lässt die Gesellschaft für deutsche Sprache das «Unwort des
Jahres» küren mit dem löblichen Ziel, das gedankenlose Streuen von Begriffen zu
hinterfragen. Soeben ist die wenig schmeichelhafte Ehre dem «Volksverräter»
zuteilgeworden, von der Jury als «Erbe von Diktaturen» gegeisselt. Sie hat
damit sicher keine Unwahl getroffen – was uns zu unserem Vorschlag für die
nächste Ausgabe des Wettbewerbs führt: «Unwort». Denn dass man einzelnen
Wörtern das Recht abspricht, als Wort zu gelten, klingt doch auch eher
despotisch.
Ach, die Wahl der Wörter, sie ist halt ein wunderbares Spiel- ebenso wie
ein Minenfeld: Gerade deshalb sind Sprachmoden kritisch zu beäugen. Dieser
Erkenntnis sei hier der zweite Teil unserer Sprachbetrachtungen gewidmet, zu
deren Fortsetzung wir uns durch die Reaktionen auf den ersten ermutigt sehen:
Dieser hat unter dem Titel «Apostrophitis und schlimmere
Seuchen» (NZZ 2. 12. 16) ein reiches Echo gezeitigt.
Sprachliche Sorgfalt liegt unserer Leserschaft offenbar weiterhin am Herzen.
Die leidige indirekte Rede
Erwartungsgemäss kontrovers aufgenommen wurde unsere Anmerkung, der
ganze Schlamassel sei nicht der Rechtschreibereform anzulasten. Viel Zustimmung
aber fand die Hauptthese: «Fehlerreich schreiben ist wie Sprechen mit vollem
Mund: unanständig – und der Verständigung abträglich.» Dass manche
Leserzuschrift, in der eine Lanze für korrekte Sprache gebrochen wurde, eine
beachtliche Fehlerquote aufwies, war dabei verschmerzbar. Und dass einige im
Artikel selbst die eine oder andere sprachliche Unregelmässigkeit monierten, ob
zu Recht oder zu Unrecht, war in unserem Sinn: Wer dazu auffordert, in Sprachfragen
genauer hinzuschauen, soll sich nicht wundern, wenn er mit seiner Arbeit selbst
zum Ziel der kritischen Blicke wird.
Es sei auch nicht verschwiegen, dass es ein paar Briefe gab, in denen
dieser Zeitung ebenfalls leise Tendenz zum Laisser-faire angelastet wurde –
etwa bezüglich indirekter Rede. Tatsächlich lässt sich nicht leugnen, dass
unsere Branche dabei immer öfter den Konjunktiv unterschlägt. Dafür gebührt ihr
eine tüchtige Abreibung, zumal dieses Versäumnis eine der ersten journalistischen
Pflichten unterwandert: die Abgrenzung fremder von eigenen Aussagen. Die
Sprache soll zur Hölle fahren, sagt der Teufel: Wer hier nicht «solle» wählt,
macht sich zu Satans Komplizen, statt ihn bloss zu zitieren.
Wir danken den Leserbriefschreibern, die den Finger auf diesen wunden
Punkt legen. Tatsächlich sollten auch wir Journalisten unser Werkzeug öfter
prüfen, dann würden seltener haarsträubende Übersetzungen wie «soziale Medien»
verbreitet oder Konstrukte wie «vierfache Familienväter», als lebten wir in
einem Land der Vielehen. Spezielle Aufmerksamkeit aber gebührt jenem Zürcher
Rechtsanwalt, der in seiner Zuschrift auf sprachlich missglückte Verfügungen
aufmerksam macht, etwa von Sozialversicherern. Deren entsprechende Texte
basierten oft auf mangelhaft vorformulierten Bausteinen, mit falsch verwendeten
Wörtern und schief konstruierten Sätzen als Resultat. Er gehe davon aus,
schreibt er, dass etwa IV-Verfügungen eine minimale sprachliche Qualität
erreichen müssten, damit der Rechtsbegriff einer Verfügung erfüllt sei. Deshalb
habe er schon mehrfach in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eine
verständliche, korrekte Sprache eingefordert – und bis jetzt höchstens Spott
dafür geerntet. Wir behalten seine Mission im Auge und zitieren gerne seine
griffige Variation unserer Pointe: «Wenn die Verwaltung mit vollem Mund
spricht, ist das eben mehr als nur unhöflich.»
«TV-Event-Movie» gefällig?
Der öffentlichen Verwaltung seien denn auch die ersten paar Beispiele
dieser Darstellung gewidmet – und nicht der Gastrobranche, deren Sprachsünden
uns das letzte Mal als Einstieg dienten. Wer auf der Speisekarte «gegrillte
Fischteller» oder «geröstete Blumenkohlsuppe» findet, kann sich mit etwas
Wohlwollen immerhin amüsieren: Solch sprachliche Missgriffe blühen nicht selten
zu unserer Erheiterung, sonst hiessen sie Stildolche statt Stilblüten. Ein
wahres Ärgernis sind indes die amtlichen Blähungen und Missbildungen, die
unseren Alltag malträtieren. Da tragen Dienstabteilungen gehäckselte Namen wie
«Grün Stadt Zürich» oder «Statistik Stadt Zürich», während die Bürger, pardon:
Bürgenden, unter dem Mäntelchen der Political Correctness ihrer tertiären
Geschlechtsmerkmale beraubt werden: Die Gleichschaltung in Form von
Leistungsempfangenden, Mietenden, Kindergärtnenden schreitet so inflationär
voran, dass die dergestalt neutralisierte Menschheit ihre
Fortpflanzungsfähigkeit einzubüssen droht. Als der Verfasser dieser Zeilen
einmal in einer Glosse scherzhaft
darlegte, wie Zürich alle maskulin konnotierten Strassennamen verweiblichen
oder in neutrale Formen wie «Dienendenstrasse» transferieren wolle, nahmen das
bedenklich viele Leute bierernst. Ein Konkurrenzblatt wollte gar sofort
nachrecherchieren.
Wenn selbst groteskeste Auswüchse der Sprachmoden den Status einer
Realsatire zu erreichen drohen, ist es höchste Zeit, mehr kritische Distanz zu
ihnen zu gewinnen. Das gilt ebenso für all die gedankenlos nachgeäfften
Anglizismen, die in manchen Kreisen jede noch so schöne Veranstaltung
verunstalten, indem sie von der Tauf- bis zur Trauerfeier nur noch eine
Bezeichnung kennen: Event. Der wäre auch einmal ein Kandidat für die Kategorie
«Unwort des Jahres». Oder was ist davon zu halten, wenn das Schweizer Fernsehen
seinem Auftrag zur Förderung des nationalen Zusammenhalts nachzukommen
versucht, indem es einen gross angerichteten Historienschinken über den Bau des
Gotthardtunnels produziert – und diesen dann als «Das grosse TV-Event-Movie»
ankündigt?
Doch der Event ist ja nur die Spitze des Icebergs. Selbst im lokal
verwurzelten Unternehmen, in dessen Dienst dieser Artikel – pardon: dieser
«Content» – entsteht, wird am Ende mancher Mitarbeiterinformation statt einer
Fragerunde ein «Q & A» geboten; das steht nicht für «Quark und anderes»,
sondern für «Questions and Answers». Und im Berufsalltag von uns braven
Content-Erstellern wimmelt es von «Round-ups», «Roll-outs» und «Kick-offs», bis
unser Hirn mit einem Blackout droht.
Hüllwörter in Hülle und Fülle
Vielleicht sind Anglizismen, deren Verfechter gerne die
Völkerverständigung vorschieben, nur deshalb so beliebt, weil ihre Bedeutung
oft halb im Dunkeln bleibt? Dann wären sie in einem Atemzug mit den Euphemismen
zu nennen, diesen Pendants zur Schluckimpfung, die uns ihre bittere Medizin auf
einem Würfelzucker reichen. So tarnen sich unüberbrückbare Widersprüche heute
als Zielkonflikte und Probleme als Herausforderungen (die wir natürlich nicht
bald, sondern zeitnah meistern). Auch bei den Hüllwörtern können wir zudem auf
amtliche Stellen bauen. Die harmlosen Beispiele liefern die Zürcher
Verkehrsbetriebe im fast schon rührenden Versuch, das Reizwort «Verspätung» zu
vermeiden. Bei winterlichen Strassenverhältnissen etwa teilen sie mit, ihre Fahrzeuge
verkehrten «in unregelmässigen Zeitabständen».
Doch zum Thema Euphemismen wäre weiter auszuholen. Machen wir hier also
einen Punkt, bevor wir noch den Humor verlieren und aus dem Leit- ein
Leidartikel zu werden droht. Das Schlusswort gebührt Bertolt Brecht mit einem
Eintrag aus seinen Tagebüchern: «Man hat seine eigene Wäsche, man wäscht sie
mitunter. Man hat nicht seine eigenen Wörter, und man wäscht sie nie.» Wir
müssen weder den allgemeinen Wortschatz noch den persönlichen gleich in die
Waschmaschine stecken. Aber es spricht doch einiges dafür, Begriffe und
Wendungen ab und zu etwas zu drehen und zu wenden, statt sie unbesehen
nachzuplappern.
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