In der Primarschule verdienen
Lehrpersonen deutlich weniger als auf der Sekundarstufe. Ausgerechnet ihr Arbeitgeber,
Erziehungsdirektor Bernhard Pulver, hält das für «nicht mehr gerechtfertigt».
Pulver lanciert die Lohndebatte gleich selber, Bund, 19.12. von Reto Wissmann
In der Regel sind ja Gewerkschaften oder Berufsverbände für
Lohnforderungen zuständig. In diesem Fall aber ist es der oberste Chef, der die
Lohndebatte lanciert. An einer Jubiläumsveranstaltung der privaten Berner
Lehrerbildungsinstitution NMS hat Bernhard Pulver(Grüne)
kürzlich mehr Lohn für die Primarlehrpersonen gefordert. «Der grosse
Unterschied zwischen Primar- und Sekundarlehrpersonen ist aus meiner Sicht
nicht mehr gerechtfertigt», sagte der Erziehungsdirektor.
Kindergärtner und Primarlehrerinnen sind heute im Kanton Bern vier
Gehaltsklassen tiefer eingereiht und verdienen zwischen 1000 und 1600 Franken
pro Monat weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen auf der Sekundarstufe. Die
Einstufung stammt aus einer Zeit, als nur Sekundarlehrpersonen an Hochschulen
ausgebildet wurden und die Bedeutung der unteren Stufen für den Bildungserfolg
der Kinder noch weniger bekannt war.
Unterdessen kann allerdings nur noch ein kleiner Teil des
Gehaltsunterschieds mit der längeren Master-Ausbildung der Sekundarlehrpersonen
begründet werden. Arbeitszeiten und Berufsbelastung sind vergleichbar, was
verschiedene Studien gezeigt haben.
Bericht kritisiert Unterschiede
Demnächst legt die Erziehungsdirektion eine ausführliche Untersuchung zu
den Anstellungsbedingungen der Lehrkräfte im interkantonalen Vergleich vor.
Auch darin wird der Lohnunterschied als «zu hoch und nicht mehr vollumfänglich
zeitgemäss» bezeichnet. Gerade auf den unteren Stufen seien die sozialen und
fachlichen Anforderungen gestiegen.
Ausserdem seien diese Lehrkräftegruppen «wichtige Ressourcenträger zur
Umsetzung diverser schulischer Herausforderungen». Will heissen: Es sind die
Primarlehrpersonen, die grosse Reformen wie die Integration oder das
Frühfranzösisch tragen müssen.
Im Bericht benennt der Regierungsrat aber noch einen weiteren heiklen
Aspekt: die «geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung». Im Kindergarten
unterrichten rund 99 Prozent Frauen, auf der Primarstufe über 80 Prozent. Viele
Primarlehrerinnen sind überzeugt, dass dies ein Grund für ihre unvorteilhafte
Einstufung ist. Durchaus möglich, dass auch ein Gericht zum Schluss käme, die
grossen Gehaltsunterschiede seien geschlechtsbedingt und damit diskriminierend.
Eine vergleichbare Klage aus dem Kanton Aargau ist derzeit beim Bundesgericht
hängig.
Trotz klarer Ausgangslage hält der Berufsverband Bildung Bern den Ball
flach. «Der Lohnunterschied ist sicher nicht gerechtfertigt», sagt Präsident
Martin Gatti. Aktionen, dies zu ändern, seien allerdings noch keine geplant.
Der Verband muss Prioritäten setzen. Mit dem Entscheid für einen
verlässlicheren Lohnanstieg hat sich der Grosse Rat in den letzten Jahren
kulant gezeigt, dies will man nicht gefährden. Spätestens 2018 wolle man aber
etwas unternehmen, so Gatti. «Und dann haben die Primarlehrpersonen auf jeden
Fall Priorität.»
Kaum Druck von der Basis
Der Druck von unten scheint allerdings bescheiden. Nach all den Sparpaketen
ist man schon froh, wenn nicht weitere Abbaumassnahmen über die Schule
hereinbrechen. «Ich glaube nicht, dass die Betroffenen derzeit aufstehen und
für mehr Lohn kämpfen werden», sagt Erika Reichenbach, Präsidentin der Fraktion
Eingangsstufe bei Bildung Bern.
Ohne Druck der Basis wird aber wahrscheinlich nichts passieren. «Wenn
sich etwas bewegen soll, müsste eine politische Debatte stattfinden, etwa im
Parlament oder durch eine Volksinitiative», sagt Bernhard Pulver. Der
Regierungsrat nehme das Thema in seinem Bericht zum Lohnvergleich zwar auf.
Zu viel Hoffnung wolle er damit aber nicht schüren. Ein solcher Prozess
könne Jahre dauern und die Erhöhung um nur eine Gehaltsklasse würde den Kanton
rund 20 Millionen Franken pro Jahr kosten. Prioritär sei derzeit die
Sicherstellung des kontinuierlichen Gehaltsaufstiegs.
Master auch für Primarlehrer?
Mit der Lohn- geht die auch die Ausbildungsfrage einher. Seit Jahren
fordern die Lehrerverbände, dass Kindergärtnerinnen und Primarlehrer ebenfalls
eine Masterausbildung absolvieren sollen. «Die dreijährige Ausbildung auf
Bachelorstufe ist extrem dicht, und es kommen immer noch neue Ansprüche hinzu»,
sagt Daniel Steiner, Leiter des Instituts Vorschulstufe und Primarstufe der
Pädagogischen Hochschule Bern.
Er beurteilt eine Ausbildung auf Masterniveau als Zukunftsmodell, kann
sich aber auch ein freiwilliges oder berufsbegleitendes Masterprogramm
vorstellen. Steiner ist Mitglied einer Arbeitsgruppe von Swissuniversities, die
die Frage des Masterabschlusses für alle Studiengänge diskutiert und Vorschläge
erarbeitet.
Pulver zurückhaltend
Während praktisch unbestritten ist, dass Kindergärtner und
Primarlehrerinnen besser entlöhnt werden sollten, spaltet das Thema
Masterausbildung selbst die Berufsverbände. «Ich bin mir nicht sicher, ob das
der richtige Weg ist», sagt Erika Reichenbach. Nicht allen, die sich für den
Lehrerberuf eigneten, entspreche ein akademisches Studium. Auch Pulver will
sich in diesem Punkt nicht engagieren. Der Erziehungsdirektor sagt: «Die
Verlängerung der Studiendauer könnte abschreckend wirken und so zu einem
grösseren Lehrermangel führen.»
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