Ungenügend! Blick, 30.10. von Caspar Pfrunder
Private Primarschulen liegen im Trend. Auch Linke wie die Berner SP-Politikerin Ursula Wyss (43) scheuen sich nicht mehr, ihre Kinder an eine Privatschule zu schicken (SonntagsBlick berichtete). Die Statistik zeigt: Seit dem Jahr 2000 hat sich der Anteil Privatschüler auf Primarschulstufe verdoppelt, von 2,1 auf 4,2 Prozent 2015 – beim Gymnasium ist der Trend umgekehrt (siehe Grafik). Offenbar genügt die Volksschule den Ansprüchen vieler jungen Schweizer Eltern nicht mehr.
Jürg Brühlmann (62) vom
Schweizerischen Lehrerverband hat eine schnelle Erklärung zur Hand: «Der
Anstieg der Privatschülerquote ist vor allem in Gemeinden zu beobachten, wo
zahlreiche Expats leben.» Falsch, sagt Margrit Stamm (66), emeritierte
Professorin für Erziehungswissenschaften. Es sei verfehlt, die Zunahme an
Kindern in privaten Primarschulen nur mit Expats und Ausländern zu erklären und
begründet: «Heute betrachten Eltern eine gute Bildung als wichtigste
Voraussetzung für eine erfolgreiche Laufbahn, deshalb tun sie alles für die
optimale Frühförderung ihrer Kinder.»
Nicht die reformpädagogischen
Montessori- und Steinerschulen, sondern leistungsorientierte Tagesschulen wie
die NMS in Bern und International Schools wie die IBS Terra Nova in Zürich mit
öffentlichem Lehrplan boomen deshalb. Diese haben Angebote, die es an der
Volksschule kaum gibt: Sie bieten oft zweisprachigen Unterricht und
Ganztagesstrukturen mit Blockzeiten an. Aus diesen Gründen wählte auch
SP-Politikerin Wyss Privatschulen für ihre beiden Söhne. Privatschulunterricht
findet oft in kleinen Gruppen statt. Auch Aufgabenhilfe und Freizeitbetreuung
gibt es bei den Privaten. Am Abend stehen keine Hausaufgaben mehr an, die
Familie kann gemeinsam den Feierabend geniessen.
Eine Kluft zwischen
sozialer Herkunft und Bildungschancen
Was vielen Eltern auch gefällt:
Private Primarschulen verkaufen sich mittels klarem Profil und Wertekanon. Das
fehlt bei den öffentlichen Schulen. Margrit Stamm sagt: «Die Volksschulen
meinen immer noch, dass die Schüler sowieso zu ihnen müssen. Doch die Eltern
finden das nicht mehr unbedingt. Deshalb ist ein grosser Markt mit Privaten
entstanden – und die öffentlichen Schulen haben noch keine gute Antwort auf die
neue Konkurrenzsituation gefunden.»
Die Kosten für Privatschulen sind
hoch, betragen meist über zehntausend Franken im Jahr. Stamm hält das für
problematisch. Es drohe eine Vergrösserung der Kluft zwischen sozialer Herkunft
und Bildungschancen. Was sollten die öffentlichen Schulen also tun? «Sie müssen
klare Profile entwickeln, um sich attraktiver zu machen», so Stamm. «An Orten,
wo eine grosse Nachfrage nach Ganztagesstrukturen besteht, sollte man diesen
Bedürfnissen entgegenkommen.»
Hoch sind die Privatschüleranteile
vor allem in wohlhabenden Gemeinden. Schweizweiter Spitzenreiter ist die
Zürcher Goldküstengemeinde Zumikon mit 26 Prozent. Im Kanton Zug liegt die
Privatschülerquote bereits bei über zehn Prozent. Stamm hält aber fest: «Es
geht nicht nur um Reiche. Zunehmend sparen sich auch mittelständische Eltern
das Geld für eine Privatschule vom Alltagsbudget ab, wie empirische Daten
belegen.»
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