Der Kanton
Zürich ist statistisch gesehen der grösste Verlierer. Jedes Jahr ziehen fast
1000 Kinder und Jugendliche mit ihren Familien weg in einen anderen Kanton. Die
meisten lassen sich im Aargau nieder (280), dann folgen Thurgau (130) und St.
Gallen (100). Das geht aus Zahlen hervor, die das Bundesamt für Statistik für
eine Studie des Schweizer Lehrerverbands aufbereitet hat und die dieser Zeitung
vorliegen.
Beim Zügeln bezahlen die Kinder die Zeche, Bild: Gaetan Bally
Nachbüffeln bei Kantonswechsel, NZZaS, 16.10. von René Donzé
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Durchschnittlich
wechseln jedes Jahr gegen 6300 Schüler den Kanton. Die grössten Nettoverlierer
sind neben Zürich die Stadtkantone Basel-Stadt und Genf vor Waadt und
Neuenburg. Gewinner sind Aargau, Freiburg, Wallis, Thurgau und Basel-Landschaft
(Grafik). Über die neun obligatorischen Schuljahre gerechnet, sind rund 57 000
Kinder von einem Kantonswechsel betroffen oder ungefähr 7 Prozent der 800 000
schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen in der Schweiz.
Teure
Nachhilfe nötig
«Dahinter
stehen immer Einzelschicksale», sagt der Schaffhauser Regierungsrat Christian
Amsler, Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz. «Das kann
zum Teil zu schwierigen Situationen führen, wenn Stoff von einigen Jahren
fehlt. Besonders gilt das für die Sprachfächer.» Tatsächlich sind diese Zahlen
vor dem Hintergrund der Diskussion über den Lehrplan 21 und die Fremdsprachen
relevant. Vergangene Woche erst hat Bundesrat Alain Berset die Vernehmlassung
zum Sprachengesetz abgeschlossen. Er will die Kantone verpflichten, mit einer
zweiten Landessprache in der Primarschule zu beginnen. Auslöser sind die Pläne
des Kantons Thurgau, das Französisch auf die Oberstufe zu verschieben.
Wie
der Lehrerverband Schweiz berechnen liess, wären allein beim Ausstieg des
Thurgaus aus dem Frühfranzösisch jedes Jahr 117 Kinder betroffen, die bei einem
Kantonswechsel Rückstände aufholen müssten. Sollte die Kantone Zürich und
Luzern, in denen Initiativen hängig sind, auch aus dem Frühfranzösisch aussteigen,
kämen nochmals 343 Kinder hinzu, die am neuen Ort Französisch nachbüffeln
müssten. Insgesamt würde ein Ausstieg der drei Kantone Mehrkosten von 2,3
Millionen Franken pro Jahr nach sich ziehen, so die Studie. «Die Kosten für
Nachhilfe im Einzelfall sind enorm», sagt Jürg Brühlmann vom Verband. «Es wäre
eine Zumutung, wenn die Schulen oder gar die Eltern den Preis dafür bezahlen
müssten.»
Allerdings
ist es bereits heute so, dass viele Kinder bei einem Kantonswechsel Rückstände
bei Fremdsprachen aufweisen. Dies, weil ein Teil der Deutschschweizer Kantone
zuerst mit Englisch in der Primarschule beginnt und der andere zuerst mit
Französisch. Dazu kommen Sonderfälle wie Graubünden und Tessin sowie Wechsel
über den Röstigraben in beide Richtungen. So belaufen sich die errechneten
Kosten für die Nachholbildung für die Sprachfächer schon heute auf 6,5
Millionen.
Keine
Gleichschaltung
Wie
gross der Aufwand für alle 6300 Schüler insgesamt ist, die über die
Kantonsgrenze zügeln, weiss niemand. Klar ist, dass auch in anderen Fächern –
je nach Lehrplan und Lehrmittel – die Unterschiede gross sind. Brühlmann hofft,
dass sich diese verringern werden: «Mit dem neuen Lehrplan 21 und den
Empfehlungen für die Stundentafeln wurde schon viel erreicht», sagt er.
«Allerdings muss nun alles auch noch umgesetzt werden.»
Was
indes auch mit dem neuen Lehrplan bestehen bleibt, sind die verschiedenen
Reihenfolgen der Fremdsprachen in der Deutschschweiz. Für
Erziehungsdirektorenchef Christian Amsler besteht kein Anlass zum Handeln:
«Eine totale Gleichschaltung ist schwierig und meines Erachtens auch nicht
angezeigt.»
Für
die Thurgauer SVP-Nationalrätin Verena Herzog zeigen die Zahlen: «Der Anteil
der Schüler, die über die Kantonsgrenze zügeln, ist relativ gering.» Dennoch
würde sie sich eine gewisse Harmonisierung wünschen. «Pädagogisch sinnvoll
wäre, wenn sich auch andere Kantone für nur eine Fremdsprache in der Primarschule
entscheiden würden.»
Als
«technisches Argument» im Sprachenstreit bezeichnet SP-Nationalrat Matthias
Aebischer die Umzugsquote. «Das Nachholen von Schulstoff ist in der Regel immer
irgendwie machbar.» Frühfranzösisch brauche es aus politischen Überlegungen:
«Die Mehrsprachigkeit gehört zu unserem Land und damit auch in unsere Schulen.
Damit wir uns gegenseitig besser verstehen.»
Der Artikel ist das indirekte Eingeständnis, dass Harmos gescheitert ist.
AntwortenLöschenMit der radikalen Systemänderung Lehrplan 21 würde sich die Situation massiv verschärfen, weil der LP21 keine Jahresziele mehr kennt, mit denen man vergleichen kann. Zyklen des LP21 dauern drei bis vier Jahre und sind kaum mehr vergleichbar. Zum Beispiel haben die Schüler für das kleine 1x1 bis zum Ende des 6. Schuljahres Zeit. Erst dann würde man merken, ob sie es können oder nicht.
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