24. September 2016

Zwei Primarfremdsprachen um jeden Preis

Der Gastkommentatorin geht es vor allem um eines: Ja nicht auf die zwei Primarfremdsprachen verzichten. Damit kann das unselige Weiterwursteln und Evaluieren zu Lasten der Eltern und zum Vorteil der sogenannten "Wissenschaft"  munter weitergehen. Die vorgebrachten Argumente blenden eines aus: Ungeachtet des Umfeldes, der Methoden, der Lehrmittel und des nationalen Kontexts: Es gibt trotz jahrelangen, intensiven, internationalen Forschungen noch keine Daten, welche zeigen, dass ein früher Start längerfristige Vorteile nach sich zieht. Aber es gibt, und das bleibt unerwähnt, eine stetig wachsende Zahl von Untersuchungen, welche die Resultate des frühen schulischen Fremdsprachenlernens als enttäuschend oder gar schädlich bezeichnen. Das Vorgehen der EDK und der blinde Ausführungs-Gehorsam seitens der PH ist deshalb hochgradig verantwortungslos. 
Die beschönigenden Studien, welche zitiert werden, warten ja wirklich mit Bahnbrechendem auf: Wir wären beispielsweise nie darauf gekommen, dass trotz gleicher Unterrichtszeit der Lernerfolg bei verschiedenen Klassen unterschiedlich ist. Ich überlasse es dem Leser, bzw. der Leserin, sich selbst ein Urteil über diesen Text zu machen. (uk)
Was zählt, ist die Qualität des Unterrichts, NZZ, 23.9. von Bettina Imgrund


Die Diskussion um den besten Zeitpunkt für den Beginn des Fremdsprachenunterrichts, die Anzahl Lektionen und darüber, welche Fremdsprache zuerst gelernt werden soll, reisst nicht ab. Auch die Forschung beschäftigt sich mit dem Thema: Neuere Zentralschweizer Evaluationsstudien zeigen, dass der Lernerfolg von untersuchten Klassen bei der gleichen Unterrichtszeit unterschiedlich ist. Und eine Studie aus dem Kanton Zürich von 2004 belegt, dass Schülerinnen und Schüler in der 5. Klasse für den Französischunterricht sehr motiviert sind, diese Motivation in der 6. Klasse aber sinkt, weil der Inhalt des Unterrichts zu wenig auf ihre aktuellen Lebensweltbezüge ausgerichtet ist.

Beide Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Dauer des Fremdsprachenunterrichts und der Zeitpunkt seiner Einführung nicht die einzigen Faktoren für den Lernerfolg sind. Ebenso bedeutend ist demnach – wenig überraschend – die Qualität des Unterrichts. Daher beschäftigen sich gegenwärtige fachdidaktische Forschungen verstärkt mit der Frage nach der Qualität des Unterrichtsangebots im Klassenraum. Eine qualitative Studie der Pädagogischen Hochschule Zürich in Kooperation mit der Universität Genf zur Frage «Wie unterstützen 6.-Klasse-Lehrpersonen im Französischunterricht die Entwicklung der Kompetenz ‹Sprechen›?» fördert drei Einflussfaktoren zutage: Lernklima, Klassenführung und Qualität des Wissenstransfers im Unterrichtsgespräch.

Das Klima zwischen der Lehrperson und der Klasse beeinflusst die grundsätzliche Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler, sich überhaupt in der jeweiligen Fremdsprache zu äussern. Die Klassenführung wiederum wirkt leistungssteigernd, wenn die Lehrperson viel Französisch spricht und auch in der Lage ist, schwierige Themen in der Fremdsprache so auszudrücken, dass sie von den Schülerinnen und Schülern verstanden werden. Die Menge und die Qualität des Lerninputs entscheiden schliesslich, ob sich die Klasse am Unterricht in der jeweiligen Fremdsprache aktiv beteiligt und Inhalte des Unterrichtsgesprächs in ihre Kommunikation übernehmen kann.

Guter Französischunterricht, so ein weiteres Resultat der Studie, fördert zudem, dass die Lernenden im Kreis nur Französisch sprechen oder auf Hochdeutsch nachfragen, während sie am Platz ihre Sprache frei wählen können.

Am Ende des modernen Fremdsprachenunterrichts steht dann eine möglichst realitätsnahe Umsetzung des Erlernten. Etwa indem man sich in der Fremdsprache vorstellt, den eigenen Tagesablauf beschreibt oder jemanden auffordert, etwas Bestimmtes zu tun.
Bei den Antworten der Studie erstaunt besonders der Stolz der Schülerinnen und Schüler, wenn sie sich in der anderen Sprache ausdrücken können. Die Klassen waren jeweils dann für den Unterricht besonders motiviert und entwickelten ein Interesse für die angewandte Sprache, wenn ihr Beitrag im Unterrichtsgespräch mit der Klasse weiterverwendet wurde, sie ihr Können bei der Lehrperson unter Beweis stellen konnten und die Lehrperson andererseits einen herausfordernden Unterricht gestaltet hatte. Diese «Funktionslust» scheint insbesondere bei Primarschülerinnen und Primarschülern ausgeprägt zu sein und kann mit Vorteil besonders für Sprechlehr- und Sprechlernprozesse der französischen Sprache auf dieser Stufe genutzt werden.

Der Erfolg des Fremdsprachenerwerbs im Klassenzimmer hängt also auch von der Unterrichtsgestaltung durch die Lehrperson ab. So berichten die Lernenden der untersuchten Klassen zwar von der Wichtigkeit der englischen Sprache, sie sind aber vom Französischunterricht viel mehr begeistert, weil die Französischlehrerin den Unterricht eben gut und «bewegt» gestalte.

Durch den Fremdsprachenunterricht werden zusätzlich sehr früh auch sozial-kommunikative Kompetenzen gefördert: Die Schülerinnen und Schüler müssen genau hinhören, um eine Frage zu verstehen, und sie müssen sich bemühen, etwas in der Fremdsprache zu sagen oder eine Äusserung – angemessen für die Situation – in der richtigen Sprache zu machen. Auch hier können Lehrpersonen durch ihre Unterrichtsgestaltung die Qualität des Unterrichts entscheidend beeinflussen, so dass Schülerinnen und Schüler einen erweiterten Nutzen daraus ziehen.

Die Versuche, bestimmten Schulstufen einen möglichst hohen Lernerfolg zuzuschreiben oder Fächer gegeneinander auszuspielen, sind demgemäss für zukünftige Entwicklungen wenig zielführend. Vielmehr sollte verstärkt auf fachdidaktische Unterrichtsforschungen gesetzt werden, die gemeinsam mit engagierten Lehrpersonen herausfinden möchten, was das Fremdsprachenlernen auf ihrer Stufe unterstützt und wie Fachunterricht auf der Grundlage von vielversprechenden neuen Lehrmitteln praxisnah weiterentwickelt werden kann.


Bettina Imgrund ist Fachbereichsleiterin Französisch/Italienisch an der Pädagogischen Hochschule Zürich.

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