Die Eltern eines jungen
Zürcher Schülers beschwerten sich vor dem Verwaltungsgericht über die schlechte
Benotung seines Deutschaufsatzes an der Gymnasialprüfung und bekamen recht. Der
Fall wird rege diskutiert. Die Tendenz, sich in schulischen Fragen zur Wehr zu
setzen und einen Anwalt einzuschalten, nehme seit einigen Jahren zu, meint
Rechtsanwältin Margrit Weber-Scherrer. Sie berät und vertritt Schüler, Eltern
und Studenten aller Bildungswege und bearbeitet schulische Themen, und kennt
auch die Behördenseite. Das habe vor allem damit zu tun, dass Betroffene
heutzutage wissen, wie man eine Bewertung anficht.
Die Zahl der Rekurse ist in Zürich konstant geblieben, Bild: Felix Kaestle
Lehrer im Visier der Anwälte, Tages Anzeiger, 5.8. von Vanessa Simon
|
Beat
Zemp, Präsident des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, meint, dass
Lehrer zunehmend mit Anwaltsdrohungen von Eltern konfrontiert werden. Die
Anzahl der Rekurse ist gemäss Bildungsdirektion des Kantons Zürich seit über 10
Jahren konstant. Seit 2005 kommt es zu durchschnittlich 42 Rekursfällen pro
Jahr. Diese würden jedoch nur selten vom Gericht angenommen. «Die allermeisten
Rekurse werden abgelehnt, daher ist der Fall des Zürcher Jungen so besonders»,
meint Zemp. Der Entscheid sei seiner Meinung nach aber insofern richtig, weil
laut Gericht dem Schüler die Bewertungsgrundlagen des Aufsatzes nicht
offengelegt wurden.
«Ein gewisser Spielraum
ist immer da»
Bei
den Gymnasialprüfungen werden laut Weber-Scherrer Prüfungsaufgaben und
Bewertungsrichtlinien durch Fachkommissionen erstellt, die aus Mittelschul- und
Primarlehrpersonen zusammengesetzt sind. Die Massstäbe gelten für den ganzen
Kanton. Dadurch sehen die Bewertungsmassstäbe im Kanton Zürich überall gleich
aus. Jedoch könnten Prüfungen nie ganz objektiv bewertet werden, meint Zemp.
«Ein gewisser Spielraum ist immer da.» Vor allem bei einem Aufsatz – wie im
jüngsten Fall – sei eine rein objektive Bewertung durch die Lehrperson
besonders schwierig. Aufsätze würden daher auch am meisten angefochten,
insbesondere da bei der Korrektur von Aufsätzen ein grosser Ermessensspielraum
bestehe, betont Weber-Scherrer.
Eine
Welle von Prüfungsanfechtungen fürchtet der Dachverband der Lehrerinnen und
Lehrer sowie die Rechtsanwältin aber nicht. Einen Rekurs einzulegen, sei für
viele ein zu grosses Risiko – vor allem finanziell. Bei einer gerichtlichen
Prüfungsanfechtung muss man mit mehreren Tausend Franken rechnen, wenn der
Rekurs abgelehnt wird.
Lehrer stehen wegen
überkritischer Eltern zunehmend unter Druck
Mehr
Sorgen macht sich Zemp darüber, dass ein zwar noch kleiner, aber grösser
werdender Teil überkritischer Eltern, Lehrern mit Anwälten droht. Das mache für
die Lehrer die Notengebung aufwendiger. «Früher korrigierten die Lehrer die
Prüfung und gaben sie den Schülern zurück. Heute machen Lehrer, die wissen,
dass sie Schüler mit kritischen Eltern in der Klasse haben, gleich Fotokopien
oder lassen die Prüfungen von einer zweiten Lehrperson korrigieren. Das hat zur
Folge, dass Lehrer heutzutage mehr mit Archivarbeit zu tun haben.» Die Lehrer
stünden wegen der «Helikoptereltern» zunehmend unter Druck.
Im
Fall des Zürcher Schülers war laut Gerichtsentscheid die Beurteilung durch die
Lehrperson zu willkürlich. Nun wird eine zweite Lehrperson zur Bewertung des
Aufsatzes hinzugezogen. Die Frage ist nur, um wie viel die Note steigt. Denn
laut Zemp würde ihm ein Notenpunkt reichen: «Momentan hat er die Note 2 in
Deutsch, eine 4,75 in Mathe, die doppelt gezählt wird, und eine 3,5 in den
Fremdsprachen. Wenn er im Aufsatz nun eine 3 hätte, würde er es ins Gymi
schaffen.» Das Resultat sollte spätestens zum Ende der Sommerferien vorliegen,
heisst es bei der Bildungsdirektion des Kantons Zürich.
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