13. Mai 2016

Sture Schulleitung

Man hätte sich zusammensetzen und den Zwist bereden können, wie es der Vater mehrfach vorgeschlagen hat. Stattdessen schaltet die Schulleitung auf stur, verletzt Verfahrensvorschriften und erstattet Anzeige: wegen einer Bagatelle.
Sture Schulleitung, NZZ, 12.5. von Brigitte Hürlimann


Eigentlich kann man nur den Kopf schütteln. Ist es menschenmöglich, dass es Erwachsene nicht schaffen, kleine Unstimmigkeiten im Gespräch zu bereinigen, am runden Tisch eine Lösung zu finden? So wie es der Vater von zwei Primarschülern, einem Sohn und einer Tochter, von Anfang an vorgeschlagen hat? Die Schulleitung will nichts davon wissen, und so kommt die Sache tatsächlich vor den Strafrichter, der den Vater am Mittwoch allerdings freispricht und sich die Bemerkung nicht verkneifen kann, es sei schon fragwürdig, dass dieser Fall vor dem Bezirksgericht Dietikon lande. Thema des Strafprozesses: vorsätzliches Vernachlässigen der elterlichen Pflichten. Doch worum geht es?

An einem Dietiker Schulhaus findet im September letzten Jahres am Samstagmorgen ein Besuchstag für Eltern statt, was bedeutet, dass die Kinder ausnahmsweise am Samstag zur Schule müssen. Das Programm beginnt für die Unterstufe um 8 Uhr 20 und endet um 11 Uhr 55. Die Eltern eines Geschwisterpaars stellen ein Dispensationsgesuch und bitten die Schulleitung darum, dass ihre Kinder ab 10 Uhr dem Besuchstag fernbleiben dürfen, weil die zwei am Samstagmorgen einen Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur (HSK) besuchen. Es handelt sich dabei um ein schulergänzendes Angebot für mehrsprachige Kinder, das von der Bildungsdirektion empfohlen wird.

Die Schulleitung erlaubt den Eltern aber nur, die Kinder eine Stunde früher aus dem Besuchstags-Unterricht zu nehmen. Der Vater hält sich nicht daran, holt den Bub und das Mädchen bereits in der 10-Uhr-Pause ab und bringt sie wie jeden Samstagmorgen in den HSK-Unterricht. Vor Gericht sagt er, schon 2014 hätten er und seine Frau das gleiche Problem gehabt und sich nicht gewehrt. Nun aber habe er genug, denn 2013, unter einer anderen Schulleitung, sei das Dispensationsgesuch noch gutgeheissen worden. Eine solch ungerechte, nicht nachvollziehbare Haltung lasse er sich einfach nicht mehr gefallen, das sei diskriminierend, wenn nicht gar rassistisch. Der Vater tritt ohne Anwalt vor Gericht auf, er ist libanesisch-schweizerischer Doppelbürger und arbeitet in Zürich in leitender Funktion als Informatiker. Seine Ehefrau ist deutscher Nationalität, und damit die Kinder die Kulturen beider Elternteile kennenlernen, besuchen sie arabischen Unterricht im Rahmen des empfohlenen und gesetzlich geregelten HSK-Angebots.

In der Volksschulverordnung ist festgehalten, dass Primarschüler während höchstens zwei Lektionen pro Woche dem ordentlichen Unterricht fernbleiben und an den Kursen in heimatlicher Sprache und Kultur teilnehmen dürfen. Im konkreten Fall besuchen der 11-jährige Bub und das 9-jährige Mädchen die Kurse ja stets in der Freizeit, am üblicherweise freien Samstagmorgen.

Der Einzelrichter in Strafsachen spricht den wehrhaften Vater, der (im Gegensatz zur Mutter) den Strafbefehl angefochten hat, aus zwei Gründen frei: Erstens habe die Schulleitung mehrere Verfahrensfehler begangen, etwa auf Rechtsmittelbelehrungen verzichtet, die Form nicht eingehalten und die aufschiebende Wirkung der elterlichen Einsprache missachtet. Und zweitens habe der Vater keine Pflichten vernachlässigt - obwohl das HSK-Angebot «per se keinen Vorrang hat».

Urteil GB160002 vom 11. 5. 16, noch nicht rechtskräftig.

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