29. Mai 2016

Regelklasse oder Sonderschule?

Der Verband Procap fordert, dass Kinder mit Behinderung einfacher zwischen Sonderschulen und Regelklassen wechseln können. 
Eltern sind verunsichert: Regelschule oder Sonderschule? Bild: Fotolia
Mit Behinderung in die Regelklasse, Thurgauer Zeitung, 27.5. von Larissa Flammer
Kinder mit Behinderung oder besonderen Bedürfnissen sind im Alltag, vor allem aber in der Schule auf Unterstützung angewiesen. Vor der Einschulung stellt sich deshalb die Frage: Sonderschule oder Regelschule? Die Sonderschule ist darauf ausgerichtet, den Kindern genau diese Unterstützung zu bieten – vermehrt ist das aber auch in der Regelklasse möglich. Heilpädagogische Förderung und Klassenassistenzen helfen dabei.
Gemäss dem Bildungsdepartement des Kantons St. Gallen erfüllt die Volksschule im Kanton den Bildungsauftrag, indem sie sowohl integrierende als auch separierende Angebote vorsieht. Ob Sonderschule oder Regelschule für Kinder mit Behinderung geeigneter ist, wird laut Margrit Honegger, pädagogische Mitarbeiterin in der Abteilung Sonderpädagogik des Bildungsdepartements, oft kontrovers diskutiert. Die Volksschule setze ihre Angebote nach dem Prinzip «so viel Integration wie möglich, so viel Separation wie nötig» situationsgerecht ein.

Wechsel soll möglich sein
Für Markus Eberle, Geschäftsführer der Procap St. Gallen-Appenzell, ist die Frage nach Sonderschule oder Regelschule ebenfalls nicht einfach zu beantworten. «Beide Modelle sind wichtig», sagt er. Sein Ziel ist es, dass es zwischen den beiden Möglichkeiten kein «Fallbeil» mehr gibt. Schüler sollen nach einer gewissen Zeit in der Regelklasse in die Sonderschule oder umgekehrt wechseln können. «Ein Kind mit Trisomie 21 sollte beispielsweise ein oder zwei Jahre lang die Regelklasse besuchen können.» Der Grundsatz, dass ein Kind mit Behinderung oder besonderen Bedürfnissen nach Möglichkeit in der Regelklasse eingeschult wird, sei in der Ostschweiz noch sehr wenig verbreitet. «Heute braucht es eine günstige Konstellation von beteiligten Entscheidungsträgern – Eltern, Lehrpersonen, Schule und Kanton –, damit für ein Kind die integrative Beschulung in der Regelklasse möglich ist», so Eberle. «Wir wollen, dass ein Kind, das nicht unbedingt in eine Sonderschule muss, in der Regelklasse anfangen kann.»

Diskussionsforum im Spital
Der Behindertenverband Procap bietet Beratung und Unterstützung für Menschen mit Behinderung und deren Familien an. «In den vergangenen Jahren hatten wir immer mehr Eltern von Kindern mit Behinderungen bei uns in der Beratung», sagt Eberle. Dass auch der eigene Rechtsdienst immer mehr Kinderakten bearbeitet, habe den Anstoss für ein Elternforum zu diesem Thema gegeben. Morgen um zehn Uhr findet im Kantonsspital St. Gallen das Diskussionsforum zum Thema «Sonderschule oder Regelschule» statt. «Wir haben bereits mindestens 80 Anmeldungen», sagte Eberle am Mittwoch. Schon länger gebe es bei der Procap eine Betroffenengruppe für Eltern von Kindern mit Behinderung. Ein bereits durchgeführtes Forum zum Thema Entlastung in diesen Familien sei auf sehr grosses Interesse gestossen.

Chancen und Grenzen
Eines von zwei Impulsreferaten am Elternforum wird Bea Zumwald halten. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Lehr- und Lernforschung der Pädagogischen Hochschule St. Gallen und wird zum Thema «Chancen und Grenzen der integrativen Beschulung» sprechen. Die Chancen einer integrativen Beschulung sieht Bea Zumwald darin, dass das Kind in der Nähe seines Wohnorts zur Schule gehen kann. Ausserdem seien die sozialen Kontaktmöglichkeiten und damit auch die sozialen Lerngelegenheiten in einer Regelklasse vielfältiger. «Auch für die nicht behinderten Kinder ist der Kontakt mit einem Kind mit Behinderung oder speziellen Bedürfnissen wertvoll», sagt Zumwald. Der Lernfortschritt könne zudem besser ausfallen, wenn andere Kinder, die kognitiv schon etwas weiter seien, als Vorbilder dienten.

Damit die Chancen einer integrativen Beschulung umgesetzt werden können, müssen laut Zumwald einige Bedingungen erfüllt sein. Genügend Ressourcen – sowohl zeitlich, personell als auch bezüglich Material – seien eine der Grundlagen. Die multiprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen, Heilpädagogen und Therapeuten ist eine weitere Bedingung. «Das Know-how, das in Sonderschulen vorhanden ist, muss in die Regelklassen transportiert werden», sagt Zumwald. Ausserdem wirke eine positive Haltung der Lehrpersonen, Mitschüler und Eltern gegenüber der Integrationssituation unterstützend.

Vielfältiges Angebot
Das zweite Impulsreferat morgen hält Margrit Honegger als Vertreterin des Bildungsdepartements. Sie stellt zum einen das Sonderpädagogikkonzept des Kantons St. Gallen und zum anderen die sonderpädagogischen Angebote in Regelschulen und in der Sonderschulung vor. Dazu gehören unter anderem die Frühförderung im Vorschulalter, die behindertenspezifische Beratung und Unterstützung in der Regelklasse sowie die Betreuung und Pflege in Tagesstrukturen und im Internat.


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