Das beharrliche Schweigen der Offiziellen
nennt sich in der Sprache des Lehrplans 21 (LP21) «Kompetenzkompensationskompetenz».
Diese hat sich anscheinend zur wichtigsten Basiskompetenz in der heutigen
Bildungspolitik gemausert. Sie gilt als unverzichtbar. Und in der Tat: Für die
breite Öffentlichkeit ist der Lehrplan 21 ein grosses Fragezeichen geblieben.
Vor allem die Eltern schulpflichtiger Kinder warten auf überzeugende Antworten.
Informiert die Bevölkerung über den Lehrplan 21! Schulblog Südostschweiz, 4.5. von Fritz Tschudi
Zwar ist den Menschen inzwischen das Wort «Kompetenz» geläufig. Selbst
Bildungsfachleute haben aber Mühe zu erklären, was damit überhaupt gemeint ist.
In der Erklärungsnot wird «geschwurbelt» was das Zeug hält. Fragen Sie unsere
Lehrpersonen, was Sie am kompetenzorientierten LP21 überzeugend finden.
Grossmehrheitlich werden Sie hören, dass dem alten Zopf, Wissen anzuhäufen und
auswendig lernen zu lassen, endlich der Garaus gemacht würde. Der LP21 erlaube
den Schülerinnen und Schülern (die Doppelnennung ist obligatorisch), mittels
Kompetenzrastern handlungs- und lösungsorientiertes Können in
massgeschneiderten Lernumgebungen selbständig anzueignen. Jeder Schüler und
jede Schülerin habe regelmässig unter Beweis zu stellen, dass er oder sie das
Gelernte erfolgreich anwenden kann.
Doch brauchen wir dafür einen neuen Kompetenzen-Lehrplan? Das
Hauptziel des leistungsorientierten Unterrichts war schon bisher die
Problemlösung, die Anwendung, die Vernetzung, allerdings mit dem Lerngegenstand
(den Inhalten) im Zentrum. Aus pädagogischer Sicht bräuchte es den
kompetenzorientierten Lehrplan 21 schlicht und ergreifend nicht.
Den Verfechtern ist aber jedes Mittel recht, ihre Machtansprüche
durchzusetzen. Es wird wider besseres Wissen behauptet, der Lehrplan 21 sei
zwingend, weil einzig damit die Forderungen des Bildungsartikels (Art.62 der
Bundesverfassung) umgesetzt werden könnten. Das ist eine Lüge! Mit dem
Killerargument gelingt es den Verantwortlichen, das Volk zu bezirzen und bisher
erfolgreich vom Leibe zu halten.
Die wahren Gründe der Lehrplanreformer werden nur widerwillig
offengelegt: Bessere Überwachung der Bildungsleistung (der Schüler und Lehrer)
durch staatliche Instanzen, Zentralisierung des Bildungswesens durch Anpassung
und Übernahme der OECD-Agenda im Sinne der EU, und ein hochumstrittenes,
pädagogisch ungeklärtes Lehr- und Lernverständnis im Unterricht. Die klassische
Lehrerrolle wird ausgemustert. Alles im Sinne der Globalisierung und der
Europakompatibilität. Kaum mehr autonomes Denken. «Wir können doch nicht
abseits stehen», lautet die universelle Kapitulationserklärung.
Keine fundierten Informationen zum LP 21 für die
breite Öffentlichkeit
Aufgeklärte Menschen denken kritisch. Das eigenständige Denken steht als
allgemeines Bildungsziel sinngemäss in jedem Schulgesetz. Doch für die
Reformverantwortlichen ist selbständiges «öffentliches» Denken wohl das
Schlimmste was ihnen passieren kann. Sie fürchten zu Recht, es könnten
«schlafende Hunde» geweckt werden und die Reform würde vom Souverän plötzlich
kritisch wahrgenommen und abgelehnt. Die Befürchtung ist berechtigt, denn ich
kenne keine Bildungsreform, die so «unreflektiert» auf Sand baut wie dieses
weltweit erfolglose Lehrplankonzept.
Um nicht ungewollt Kritik zu provozieren haben sich die
Lehrplanverantwortlichen aller Ebenen schon früh auf eine
Kommunikationsstrategie eingeschworen, die unseren bisherigen demokratischen
Gepflogenheiten krass zuwiderläuft: Dialog unter Insidern, Verschwiegenheit
nach aussen.
Seit Herbst 2014 ist der Lehrplan 21 von der EDK-d
(Erziehungsdirektorenkonferenz für die deutsch- und gemischtsprachigen Kantone)
freigegeben und vor kurzem von der Bündner Regierung beschlossen worden. Die
Einführung an unseren Volksschulen ist ab Schuljahr 2018/19 vorgesehen.
Konkret ist zu fragen:
- Warum verzichtet das «Bildungsdepartement» auf
Offenlegung aller Gründe, welche die Regierung zur Annahme des LP21
veranlasste?
- Welches sind die zugesicherten (nicht die
erhofften) Mehrwerte bzw. Qualitätsverbesserungen für das System Volksschule,
für die Bildung der Kinder, für die Nutzung des «Kompasses» LP21 durch
Lehrpersonen und interessierte Eltern?
- Welche Rolle im Unterricht und in der häuslichen
Begleitung durch die Eltern kommt den neuen Lehrmitteln zu?
- Erkennt die Regierung auch Schwächen des neuen
Lehrplans?
- Unsere Demokratie sichert ein Recht der
Bevölkerung auf verlässliche Informationen durch die zuständige Behörde. Warum
wurde diesem bisher nicht nachgekommen?
- Die Erfüllung des Anspruchs auf Information über
eine dem Volk von der Regierung verordneten Sache, ist doch wohl eine
Bringschuld.
Was steckt hinter der
Schweigestrategie?
Werfen wir einen Blick auf den Ablauf des Lehrplan 21-Projekts. Auslöser
war die Massenhysterie wegen des «PISA-Schocks» im Jahre 2000. Dieser mündete
in einen kopflosen politischen Alarmismus. Es folgte ein sachlich weit
überrissener Aktivismus. Es hiess: Sofort handeln! – Die Experten
diagnostizierten und formulierten «Missstände»; es wurde die Notwendigkeit von
Veränderungen ausgerufen. Diese wurden mit dem Merkmal des «Paradigmenwechsels»
versehen und als gegeben und nicht befragbar hingenommen. Die Kompetenzorientierung
mit einem neuen Lehr- und Lernverständnis im Gepäck wurde alsdann zur
alternativlosen Glaubenslehre erhoben. Das Projekt entfaltete rasch eine
Eigendynamik, dessen Weg als unumkehrbar eingestuft wurde. Die behauptete
Unumkehrbarkeit (Unverzichtbarkeit) war und ist somit nicht in der Sache
begründet, sie wird gegenwärtig verordnet und administrativ erzwungen.
Der schlimmste Irrtum der Bildungspolitik ist die Ignoranz der
Erfahrungen aus der pädagogischen Praxis. Sie glaubt darauf locker verzichten
zu können im Vertrauen auf die Deutungs- und Innovationsmacht einer
selbstgefälligen Expertokratie.
Das Credo des LP21 ist die Ausrichtung auf ökonomistische Forderungen,
eingebettet in die aktuellen Ideologien. Grundabsicht ist die optimale wirtschaftliche
Verwendbarkeit des «Human Kapitals». Die Bildung zur sozialen bzw.
gesellschaftspolitischen Eigenständigkeit im Denken und Tun rückt in den
Hintergrund. Damit droht die Vernachlässigung der in allen
Kantonsverfassungen (bzw. Schulgesetzen) verankerten Mündigkeit. Namhafte
Kritiker sehen angesichts der fremden Diktate und der Erziehung zu
bedingungsloser Unterordnung und Anpassung im LP21 eine Gefährdung unserer
Demokratie.
Der Lehrplan 21 ist von grosser
gesellschaftspolitischer Relevanz. Schon die direkte Betroffenheit der Eltern,
der Steuerzahler und aller Akteure im Bildungswesen verbietet ein staatliches
Stillschweigen. Die Angst der Bildungsverantwortlichen ist kein ausreichender
Grund die Informationspflicht zu missachten.
Der Lehrplanforscher Rudolf Künzli schreibt zur Frage
einer besonderenöffentlichen Legitimation des
Lehrplans 21:
«Verwaltungsanordnungen sind keine hinreichende
Legitimation schulpolitischer Neuerungen»
Auch der Erziehungswissenschaftler Prof. Walter Herzog vertritt klare Meinungen:
«Kritik Nr. 1: Dem Lehrplan 21 fehlt die politische
Legitimation»
Mein Fazit: Ein harmonisierter Rahmenlehrplan hätte vollauf genügt.
Chaotische Wirrungen wären uns erspart geblieben. Eine schul- und
bürgerfreundliche Lehrplanform hätte uns neben gewichtigen Vorteilen vor einem
wenig hilfreichen Papiermonster verschont. Die Hauptforderung der Urväter eines
neuen Lehrplans, die Harmonisierung der Lernziele und Inhalte, wäre heute
erfüllt (Ausgenommen die Frühfremdsprachen - ein politisches, lehrplanunabhängiges
Thema).
Besondere
Informationsanstrengungen hätten sich mit Sicherheit erübrigt.
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