Eine
Weiterbildung für Lehrpersonen zum Umgang mit Flüchtlingskindern hat gezeigt,
dass das Thema auf grosses Interesse stösst. Einige Lehrer fühlen sich im Stich
gelassen, offizielle Richtlinien fehlen. Die Politik ist gefordert.
Flüchtlingskinder sind eine Herausforderung für den Unterricht, Bild: Gian Ehrenzeller
Die Lehrer sind verunsichert, St. Galler Tagblatt, 11.4. von Larissa Flammer
Flüchtlingskinder haben es in der Schule schwer. Manche haben
nie Lesen oder Schreiben gelernt. Die Deutschkenntnisse sind zumindest zu
Beginn lückenhaft. Und einzelne sind sich nicht einmal gewohnt zu spielen. Sie
haben ihre Kindheit unter uns gänzlich fremden Umständen verbracht.
Weiterbildung
als Pilotprojekt
Mit der aktuellen Flüchtlingswelle kommen auch viele Familien mit
Kindern im schulpflichtigen Alter und unbegleitete minderjährige Asylsuchende
in die Schweiz. Diese werden – nach einer gewissen Zeit – in Regelklassen
integriert. Das stellt Lehrpersonen vor eine Herausforderung. Denn ihnen fehlen
Konzepte und konkrete Richtlinien für den Schulalltag. Das hat die Pädagogische
Hochschule St.Gallen (PHSG) und die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik
(HfH) dazu veranlasst, während dreier Nachmittage einen Weiterbildungskurs
«Flüchtlinge integrieren und fördern» als Pilotprojekt anzubieten.
«Von
Interessenten überrannt»
Die Verantwortlichen haben am ersten Nachmittag Anfang März mit 20 bis
30 Personen gerechnet. «Wir wurden von Interessenten überrannt. Maximal 100
Personen konnten an einem Nachmittag teilnehmen. Zweimal hatten wir ein volles
Haus», sagt Isabelle Bischof, Mitorganisatorin dieser Weiterbildung. «Das
Pilotprojekt hat gezeigt, wie sehr das Thema die Lehrpersonen interessiert.
Viele sind verunsichert, einige fühlen sich sogar im Stich gelassen», sagt
Bischof. Für die Bereichsleiterin des Instituts Weiterbildung und Beratung der
PHSG war der Austausch an den drei Kurstagen sehr wertvoll. Es habe sich
gezeigt, dass der Umgang mit Flüchtlingskindern im Unterricht überall anders
gehandhabt werde. Viele wünschten sich ein Konzept, an das sie sich halten
können. «Die Lehrpersonen wissen nicht, was auf sie zukommt.»
Die drei Weiterbildungs-nachmittage widmeten sich je einem Aspekt der
Flüchtlingsthematik in Schulen. Der erste drehte sich um die Vorbereitung der
Lehrpersonen auf der persönlichen Ebene. «Die Einstellung der Lehrpersonen den
Flüchtlingskindern gegenüber ist sehr wichtig», sagt Bischof. Markus Matthys
von der HfH führt aus: «Der Umgang mit Flüchtlingen gleicht einer
Gratwanderung. Viele sind traumatisiert. Die Lehrpersonen dürfen dem gegenüber
nicht blind sein, sie dürfen ob der Schicksale der Kinder aber auch nicht in
Hysterie verfallen.»
Ein Gefühl
der Zuversicht geben
Am zweiten Nachmittag war die sprachliche Integration das Thema. «Die
Sprache ist ein zentraler Punkt», betont Bischof. Die Lehrpersonen müssten sich
damit auseinandersetzen, wie sie ein Kind begrüssen und den Zugang zu ihnen
finden können.
Der Fokus des dritten Teils der Weiterbildung, der am vergangenen
Mittwoch stattfand, lag auf der Klassenassistenz. Laien, die als
Klassenassistenten arbeiten, können Lehrpersonen in verschiedenen Bereichen
unterstützen. Laut Isabelle Bischof ist aber deren Unterstützung im Umgang mit
Flüchtlingskindern noch kaum ein Thema. Referent Thomas Rhyner sagte am
Mittwoch, dass Klassenassistenten zwar weniger als Lernbegleitung, dafür als
Bezugspersonen für Kinder da sein können und sollten. Ein Merkblatt der PHSG
fordert Klassenassistenten unter anderem dazu auf, Flüchtlingskindern ein
Gefühl der Zuversicht zu geben und ihnen einen berechenbaren und klaren Rahmen zu
bieten.
Viel
Verständnis gefragt
Für HfH-Dozent Markus Matthys ist neben der Sprache die Partizipation
die wichtigste Hürde im Umgang mit Flüchtlingskindern im Schulalltag. «Wie kann
das Kind in der Klasse, aber auch in der Pause mit einbezogen werden?» Gleich
mehrere Teilnehmende der Weiterbildung haben am Mittwoch von positiven
Erfahrungen im Umgang mit Flüchtlingen gesprochen. Die Kinder wollten etwas
lernen. Doch es sei viel Verständnis gefragt: für Aggressionen, für Rückzug,
für die Weigerung, über die eigene Vergangenheit zu sprechen.
An den drei Nachmittagen hat sich der Wunsch um Unterstützung im Umgang
mit Flüchtlingskindern gezeigt. Doch mehr als Empfehlungen gibt es bis jetzt
nicht: «Ich sehe kaum Aktivität von Seiten der Behörden. Die Unterstützung ist
dünn», so Rhyner. Isabelle Bischof hofft, dass die Erkenntnisse aus dem
Pilotprojekt von anderen aufgenommen werden: «Die Lehrpersonen wollen
Antworten.»
Kurs zu
Flüchtlingsfamilien
Die PHSG hat nach jedem Kursnachmittag eine Evaluation verschickt,
mittels derer die Teilnehmenden ihre Bedürfnisse zum Thema mitteilen konnten.
Diese Evaluationen werden jetzt ausgewertet. Einen nächsten Weiterbildungskurs
zum Thema Flüchtlingsfamilien bietet die Hochschule bereits am 8. Juni an.
«Geplant war der Kurs schon zuvor, doch nach dem Erfolg des Pilotprojekts ist
absehbar, dass auch das Thema Flüchtlingsfamilie auf gosses Interesse stossen
wird», so Bischof.
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