Das Zürcher
Kantonsparlament hat es abgelehnt, den Schulbeginn zu verschieben, um in den
morgendlichen Stosszeiten mehr Platz in Zügen und Bussen zu schaffen. Er hat
heute Montag ein SP-Postulat mit 107 zu 63 Stimmen bachab geschickt. Der
Vorstoss verlangte Abklärungen zur Wirksamkeit einer Schulbeginn-Verschiebung.
Der Vorstoss wollte die Mittagspause kürzen, damit am Morgen später begonnen werden kann, Bild: Keystone
Nichts ists mit länger schlafen, Tages Anzeiger, 11.4.
Die
Massnahme könne nicht nur den öffentlichen Verkehr in den Hauptverkehrszeiten
am Morgen entlasten, sondern sei auch aus bildungspolitischer Sicht sinnvoll,
argumentierten die Postulantinnen und Postulanten. Verschiedene Studien
belegten nämlich, dass junge Leute in den späteren Morgenstunden leistungsfähiger
sind. Das Postulat schlug einen späteren Unterrichtsbeginn an den Sekundar-,
Mittel- und Berufsschulen vor.
Positive Wirkung auf
Leistung
Schon
eine Verschiebung um 20 bis 30 Minuten habe eine positive Wirkung auf die
Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler, sagte eine Postulantin. Der
Unterricht solle aber nicht am Abend verlängert, sondern die Mittagspause
verkürzt werden.
Unterstützung
erhielt die SP von der GLP, CVP, EVP und einigen Grünen. Es gehe um die
«Optimierung des Biorhythmus» der 12- bis 16-Jährigen, meinte eine
CVP-Sprecherin. Um definitiv entscheiden zu können, solle der Regierungsrat
eine «breite Auslegeordnung» der Vor- und Nachteile machen, sagte ein Vertreter
der EVP.
«Zwischen 5 und 6 Uhr
hats noch Platz»
Umfragen
hätten ergeben, dass ein Grossteil der Betroffenen die Verschiebung gar nicht
wünschten, sagte hingegen ein freisinniges Ratsmitglied. Wenn der Unterricht
abends länger dauere, habe dies negative Auswirkungen auf die Sport- und
Freizeitaktivitäten, gab es zu bedenken. Unklar sei auch, ob die
Aufnahmefähigkeit um 16 Uhr wirklich besser sei als um 8 Uhr.
Die
Jugendlichen sollten nach Ansicht eines BDP-Sprechers frühzeitig auf die
Arbeitssituation eingestellt und gewöhnt werden. Ein EDU-Vertreter kritisierte
eine Ungleichbehandlung von Schülern und Lehrlingen.
Aus
Sicht des ÖV bringe die Verschiebung um eine halbe Stunde gemäss einem
Vertreter der Grünen nicht viel. Wenn schon, müsste der Schulbeginn ja früher
erfolgen, denn in Zügen und Bussen habe es «zwischen 5 und 6 Uhr noch Platz».
Und überdies sei eine neue Spitzenbelastung am Abend zu befürchten.
Auch St. Galler bleiben
Frühaufsteher
Auch
in anderen Kantonen ist ein späterer Unterrichtsbeginn Thema. Nirgends wurden
bisher allerdings die Zeiten angepasst. Erst Ende Februar debattierte der
St.Galler Kantonsrat über einen solchen Vorstoss, dort eingereicht von der BDP.
Der Rat lehnte ihn ab.
Im
Kanton Bern wurde im vergangenen Jahr zudem eine Umfrage an drei Gymnasien
durchgeführt, um die Akzeptanz eines späteren Schulbeginns zu prüfen. Das
Resultat war eindeutig: 81 Prozent der Schüler gehen lieber schon um 8 Uhr zur
Schule statt eine Stunde später. Auch Eltern und Lehrer entschieden sich für
das frühe Aufstehen.
«Gleitzeit» für deutsche
Gymnasiasten
Im
Kanton Zürich wie anderswo in der Schweiz bleibt also alles beim alten. Anders
in Deutschland: Oberstufenschüler des Gymnasiums in Alsdorf bei Aachen dürfen
länger schlafen, wenn sie wollen, wie heute Montag gemeldet wurde. Sie können
wählen, ob sie direkt zur ersten Stunde um 8 Uhr kommen oder zur zweiten gegen
9 Uhr.
«Super
cool, wir können ausschlafen», ist Schulsprecher Lars Meyer kurz nach dem Start
immer noch begeistert. Als erste Schule in Deutschland gehe das Alsdorfer
Gymnasium auf die innere Uhr von Jugendlichen ein, stellt der Chronobiologe
Professor Till Roenneberg von der Ludwig-Maximilians-Universität München fest.
Die tickt nämlich anders als bei Erwachsenen, erklärt er: Bei der
Synchronisation mit dem Tag-Nacht-Rhythmus geht die innere Uhr der meisten
Jugendlichen etwa bis zum 20. Lebensjahr nach. Sie können erst später
einschlafen. Müssen sie entgegen ihrer biologischen Uhr schon um acht in der
Schule sein, entsteht ein «sozialer Jetlag».
Halb schlafend im
Unterricht
Drei
Viertel der Jugendlichen hätten damit zu kämpfen, sagt Roenneberg: Die Schüler
sitzen dann halb schlafend im Unterricht. Ausserdem fällt der wichtige Anteil
des Schlafes, der das erlernte Wissen vom Vortag konsolidieren soll, weg. Die
Wissenschaft fordert demnach seit zehn Jahren einen späteren Unterrichtsbeginn.
Das
wird auch in der Politik gehört. Für einen späteren Unterrichtsbeginn müsse es
einen Wandel in der Wirtschaft geben, hatte Familienministerin Manuela Schwesig
(SPD) bereits im vergangenen Jahr dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» gesagt.
Nach Einschätzung von Eltern passe ein späterer Schulbeginn nicht zur
Arbeitswelt, erläuterte sie.
Aber
in die Lebenswelt der Jugendlichen: «Die erste Stunde war immer eine Quälerei
für mich. Ich war noch nicht richtig wach», erzählt der 17-Jährige Luca Diehr
in Alsdorf. Jetzt kommt er meistens erst zur zweiten Stunde und fühlt sich fit.
Natürlich gibt es auch Schüler wie Milena Kandetzki (17):« Ich habe kein
Problem früh aufzustehen und komme immer zur ersten Stunde.» Geht natürlich
auch, ist aber die Minderheit.
Dalton-Plan
Dass
die «Gleitzeit» in Alsdorf organisatorisch möglich ist, hängt mit dem
besonderen Unterrichtskonzept zusammen, wie Schulleiter Wilfried Bock sagt.
Unterrichtet wird nach dem Dalton-Plan der amerikanischen Pädagogin Helen
Parkhurst. Neben den herkömmlichen Stunden können sich die Schüler pro Woche
zehn Unterrichtsstunden selbst einteilen, um gestellte Aufgaben eigenständig zu
lösen.
Dabei
arbeiten Schüler aus unterschiedlichen Klassen und Jahrgängen insgesamt zwei
Stunden am Tag bei einem Lehrer ihrer Wahl. Sie entscheiden selbst, mit wem sie
arbeiten und woran. Joelle und Julia, beide 16, sind an dem Morgen schon zur
ersten Stunde gekommen und machen zusammen Bio, andere machen im selben
Klassenraum Englisch oder Mathe. Wenn die Stunde rum ist, bekommen sie dafür
vom Lehrer einen Stempel.
Luca
Diehr fällt nicht ein, so früh zu kommen, er schläft lieber aus und holt den
Unterricht in Freistunden nach: «Früher haben wir in den Freistunden Karten
gespielt, jetzt arbeitet man und kann dafür länger schlafen.»
Wie
verändert sich der Schlaf der Schüler durch die Umstellung, fragt
Wissenschaftler Roenneberg. Er hat die Einführung der «Gleitzeit»
wissenschaftlich begleitet, Daten vorher und nachher erhoben. Das Ergebnis der
Auswertung wird im Sommer erwartet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen