Von allen Reformen, die
zurzeit in unseren Schulen im Gang sind – und das sind nicht
wenige –, wird keine mit derart viel Kritik bedacht wie die eingeführten
Frühfremdsprachen. «Fehler muss man machen können, sie analysieren und aus
ihnen lernen»: Das sagte einst Christine Le Pape Racine, Professorin für
Französischdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz, der BaZ.
Wer aber glaubt, dies sei als Rezept für Politiker gedacht, irrt. Es handelt
sich dabei vielmehr um das Rezept für den Umgang mit der Fremdsprache auf der
Primarschulstufe.
Die Angst vor den Kratzern am Lack, Basler Zeitung, 9.4. von Thomas Dähler
Wer
sich umhört, vernimmt, dass der zweite Teil der Maxime der Didaktikerin, Fehler
zu analysieren und aus ihnen zu lernen, verbreitet ausgeblendet wird. Wer aber
Fehler nicht analysieren und aus ihnen lernen will, wird keine Fortschritte
verzeichnen. Möglicherweise ist die hohe Toleranz im Umgang mit Fehlern auch
der Grund, weshalb viele die neuen Fremdsprachen-Lehrmittel «Mille feuilles»
und «New World» als untauglich qualifizieren. Bei diesen wird nämlich
empfohlen, Fehler nur zurückhaltend zu korrigieren.
Auf
Bildungspolitiker scheint es ansteckend zu wirken. Jedenfalls hat die Zürcher
Wissenschaftlerin Simone Pfenninger gestern im BaZ-Interview beklagt, dass
Politiker für Korrekturen kaum empfänglich seien. Regierungsmitglieder werden
schliesslich meist an ihrem Erfolg gemessen. Nicht an den Korrekturen.
EDK-Präsident als Vorbild
Der
Basler Erziehungsdirektor Christoph Eymann, den Pfenninger kritisiert, ist
diesbezüglich keine Ausnahme: Im letzten Jahr seiner Amtszeit kann er für sich
in Anspruch nehmen, dass er das exotische Basler Schulsystem abgeschafft und
durch ein System ersetzt hat, das alle Vorgaben der Bildungsharmonisierung in
der Schweiz erfüllt. Mehr noch: Eymann hat es an die Spitze der
Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) geschafft und gilt inzwischen gar als
eigentlicher Pionier eines modernen Bildungssystems. Der Präsident der EDK als
Vorbild für die übrigen Kantone: Basel-Stadt ist der erste Kanton, der mit dem
einheitlichen Lehrplan 21 arbeitet. Dass Eymann heute Kritiker schon mal an den
Stammtisch schreibt, wenn sie Korrekturen an eben diesem Erfolgsmodell verlangen,
ist deshalb verständlich. Es ist für einen wie Eymann schwierig einzugestehen,
dass das als perfekt verkaufte neue Schulmodell leider nun doch nachgebessert
werden müsste.
Doch
am Stammtisch sitzt zuweilen das Volk. Darunter auch jene, die Erfahrungen mit
den hochgelobten Schulreformen gemacht haben. Es geht dabei leicht vergessen,
dass bisher nur die erarbeiteten Modelle umgesetzt wurden – Hüllen, welche
die Inhalte erst versprechen. Harmos, Lehrplan 21 oder
Frühfremdsprachen-Konzept 3/5: Ob die Schülerinnen und Schüler in dem
modernisierten Umfeld auch bessere Leistungen hinkriegen, wird sich erst
weisen. Stellen sich die Erfolge nicht ein, ist es jedenfalls allemal besser,
die Fehler rasch zu korrigieren. Vielleicht hat Eymann recht, wenn er an der Qualität
der für ihn unvorteilhaften Studienergebnisse von Linguistin Pfenninger
zweifelt. Doch die statistisch erfassten ausgebliebenen Leistungen der
Schülerinnen und Schüler lassen sich nicht wegdiskutieren. Die
Bildungsdirektoren und die EDK werden nicht darum herumkommen, nach den
Ursachen für den ausbleibenden Erfolg zu suchen und Korrekturen zu erwägen.
Vielleicht andere Korrekturen als von Pfenninger empfohlen. Aber doch
Korrekturen. Und zwar möglichst so, dass nicht noch eine weitere Generation unter
den Fehlern leidet.
Kritik auf breiter Ebene
Wenn
der Basler Erziehungsdirektor in seinen Schulen, wie er sagt, Gespräche führt,
wird ihm nicht entgangen sein, dass Kritik sehr verbreitet geübt und
Korrekturen verbreitet gefordert werden. Schulterklopfen, wie vermutlich unter
den Kollegen in der EDK üblich, ist jedenfalls in Basel wenig an der
Tagesordnung. Eymanns früherer Angestellte Felix Schmutz etwa, der als
erfahrener Lehrer das didaktische Konzept von «Mille feuilles» unter die Lupe
genommen und dazu vor ein paar Monaten eine mehrseitige Abhandlung publiziert
hat, sollte von Eymann nicht ignoriert werden. «Es ging darum, aufzuzeigen,
dass die neuen didaktischen Konzepte nicht einfach per se gut sind und die
früheren schlecht», rechtfertigte Schmutz seine Kritik.
Diese
lässt sich so wenig wegdiskutieren wie diejenige Pfenningers oder die
kontroversen Stimmen, die Eymann bei Schulbesuchen zu hören bekommt. Jedenfalls
gibt es ausserhalb der politischen Kreise auffallend wenig Applaus für das
Frühfremdsprachen-Modell. Und von einem Streit der Studien, wie Eymann sagt,
kann nicht die Rede sein: Die Wissenschaft scheint sich bisher einig zu sein,
dass früher Fremdsprachenunterricht mit nur zwei oder drei Lektionen pro Woche
nichts bringt. Trotz Eymanns Lob für «Mille feuilles».
Würde
Basel bei den Frühfremdsprachen Korrekturen vornehmen, verlöre Eymann bei den
Kollegen Erziehungsdirektoren an Lack. Für Politiker sei es schwierig,
zurückzurudern, meinte auch die Wissenschaftlerin Pfenninger. Doch dies gilt nicht
mehr für alle Mitglieder der EDK. Der Kanton Thurgau hat den Anfang gemacht.
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