10. April 2016

Durchhalteparolen der Politik bei Frühfremdsprachen

Von allen Reformen, die zurzeit in unseren Schulen im Gang sind – und das sind nicht wenige –, wird keine mit derart viel Kritik bedacht wie die eingeführten Frühfremdsprachen. «Fehler muss man machen können, sie analysieren und aus ihnen lernen»: Das sagte einst Christine Le Pape Racine, Professorin für Französischdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz, der BaZ. Wer aber glaubt, dies sei als Rezept für Politiker gedacht, irrt. Es handelt sich dabei vielmehr um das Rezept für den Umgang mit der Fremdsprache auf der Primarschulstufe.
Die Angst vor den Kratzern am Lack, Basler Zeitung, 9.4. von Thomas Dähler


Wer sich umhört, vernimmt, dass der zweite Teil der Maxime der Didaktikerin, Fehler zu analysieren und aus ihnen zu lernen, verbreitet ausgeblendet wird. Wer aber Fehler nicht analysieren und aus ihnen lernen will, wird keine Fortschritte verzeichnen. Möglicherweise ist die hohe Toleranz im Umgang mit Fehlern auch der Grund, weshalb viele die neuen Fremdsprachen-Lehrmittel «Mille feuilles» und «New World» als untauglich qualifizieren. Bei diesen wird nämlich empfohlen, Fehler nur zurückhaltend zu korrigieren.

Auf Bildungspolitiker scheint es ansteckend zu wirken. Jedenfalls hat die Zürcher Wissenschaftlerin Simone Pfenninger gestern im BaZ-Interview beklagt, dass Politiker für Korrekturen kaum empfänglich seien. Regierungsmitglieder werden schliesslich meist an ihrem Erfolg gemessen. Nicht an den Korrekturen.
EDK-Präsident als Vorbild
Der Basler Erziehungsdirektor ­Christoph Eymann, den Pfenninger ­kritisiert, ist diesbezüglich keine Ausnahme: Im letzten Jahr seiner Amtszeit kann er für sich in Anspruch nehmen, dass er das exotische Basler Schulsystem abgeschafft und durch ein System ersetzt hat, das alle Vorgaben der Bildungsharmonisierung in der Schweiz erfüllt. Mehr noch: Eymann hat es an die Spitze der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) geschafft und gilt inzwischen gar als eigentlicher Pionier eines modernen Bildungssystems. Der Präsident der EDK als Vorbild für die übrigen Kantone: Basel-Stadt ist der erste Kanton, der mit dem einheitlichen Lehrplan 21 arbeitet. Dass Eymann heute Kritiker schon mal an den Stammtisch schreibt, wenn sie Korrekturen an eben diesem Erfolgsmodell verlangen, ist deshalb verständlich. Es ist für einen wie Eymann schwierig einzugestehen, dass das als perfekt verkaufte neue Schulmodell leider nun doch nachgebessert werden müsste.

Doch am Stammtisch sitzt zuweilen das Volk. Darunter auch jene, die Erfahrungen mit den hochgelobten Schulreformen gemacht haben. Es geht dabei leicht vergessen, dass bisher nur die erarbeiteten Modelle umgesetzt wurden – Hüllen, welche die Inhalte erst versprechen. Harmos, Lehrplan 21 oder Frühfremdsprachen-Konzept 3/5: Ob die Schülerinnen und Schüler in dem modernisierten Umfeld auch bessere Leistungen hinkriegen, wird sich erst weisen. Stellen sich die Erfolge nicht ein, ist es jedenfalls allemal besser, die Fehler rasch zu korrigieren. Vielleicht hat Eymann recht, wenn er an der Qualität der für ihn unvorteilhaften Studienergebnisse von Linguistin Pfenninger zweifelt. Doch die statistisch erfassten ausgebliebenen Leistungen der Schülerinnen und Schüler lassen sich nicht wegdiskutieren. Die Bildungsdirektoren und die EDK werden nicht darum herumkommen, nach den Ursachen für den ausbleibenden Erfolg zu suchen und Korrekturen zu erwägen. Vielleicht andere Korrekturen als von Pfenninger empfohlen. Aber doch Korrekturen. Und zwar möglichst so, dass nicht noch eine weitere Generation unter den Fehlern leidet.
Kritik auf breiter Ebene
Wenn der Basler Erziehungsdirektor in seinen Schulen, wie er sagt, Gespräche führt, wird ihm nicht entgangen sein, dass Kritik sehr verbreitet geübt und Korrekturen verbreitet gefordert werden. Schulterklopfen, wie vermutlich unter den Kollegen in der EDK üblich, ist jedenfalls in Basel wenig an der Tagesordnung. Eymanns früherer Angestellte Felix Schmutz etwa, der als erfahrener Lehrer das didaktische Konzept von «Mille feuilles» unter die Lupe genommen und dazu vor ein paar Monaten eine mehrseitige Abhandlung publiziert hat, sollte von Eymann nicht ignoriert werden. «Es ging darum, aufzuzeigen, dass die neuen didaktischen Konzepte nicht einfach per se gut sind und die früheren schlecht», rechtfertigte Schmutz seine Kritik.

Diese lässt sich so wenig wegdiskutieren wie diejenige Pfenningers oder die kontroversen Stimmen, die Eymann bei Schulbesuchen zu hören bekommt. Jedenfalls gibt es ausserhalb der politischen Kreise auffallend wenig Applaus für das Frühfremdsprachen-Modell. Und von einem Streit der Studien, wie Eymann sagt, kann nicht die Rede sein: Die Wissenschaft scheint sich bisher einig zu sein, dass früher Fremdsprachenunterricht mit nur zwei oder drei Lektionen pro Woche nichts bringt. Trotz Eymanns Lob für «Mille feuilles».


Würde Basel bei den Frühfremdsprachen Korrekturen vornehmen, verlöre Eymann bei den Kollegen Erziehungsdirektoren an Lack. Für Politiker sei es schwierig, zurückzurudern, meinte auch die Wissenschaftlerin Pfenninger. Doch dies gilt nicht mehr für alle Mitglieder der EDK. Der Kanton Thurgau hat den Anfang gemacht.

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