Integration fordert für alle Menschen die volle Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Dabeisein ist alles. Mit Ausgrenzung soll Schluss sein. «Es ist normal, verschieden zu sein» oder «jedes Kind ist besonders».
Heterogene Klassen senken das Niveau für alle, Bild: Yanik Bürkli
Die Illusion vom Ende der Ausgrenzung, Blog Südostschweiz, 6.4. von Elisabeth Calcagnini
Diese Devisen wurden zu einer neuen Weltanschauung erklärt, die in alle sozialen Bereiche ausstrahlte. Wer mag da widersprechen? Weltweit forderten die Vereinten Nationen die Auflösung aller Spezial- und Sonderschulen. Die Integration und zurzeit vermehrt sogar die Inklusion wurde und wird im Bildungswesen in vielen Ländern umgesetzt. Doch ein regulärer Unterricht für alle kann kein regulärer Unterricht mehr sein. Lerngruppen sollten in etwa ähnliche Lernvoraussetzungen haben. Eine Senkung des Niveaus für alle wird die Folge sein.
Insbesondere
behinderte und lernschwache Kinder haben ein Anrecht auf einen Schonraum, wo
sie mit ihresgleichen, ohne dauernden Vergleich, ihre kleinen Lernfortschritte
realisieren können.
Wovon die
Rede ist, wenn von Integration geredet und geschrieben wird, weiss ich aus
eigener Erfahrung. In den Neunzigerjahren arbeitete ich als Audiopädagogin mit
schwerhörigen, in den Regelklassen integrierten Kindern in einem separaten
Kämmerlein den nicht verstandenen Stoff auf und beriet die Lehrpersonen, wie
sie der Integration zum Gelingen verhelfen konnten. Mit Begeisterung baute ich
ein Teilintegrationsprojekt für gehörlose Kinder auf. Von weit her wurden sie
mit einem Taxi zum Schulhaus gefahren, wo ich sie in den Hauptfächern ihren
Möglichkeiten entsprechend förderte. In den Fächern Turnen, Handarbeit,
Zeichnen usw. waren sie in verschiedene Regelklassen integriert. Eine schöne
Idee, doch unter den Gleichaltrigen blieben sie Aussenseiter und die Lehrpersonen
verbrannten mit der zusätzlichen Belastung viel pädagogischen Enthusiasmus.
Viele Jahre lang erlebte ich es hautnah mit, wie behinderte oder lernschwache
Kinder tagtäglich auf schmerzliche Weise mit dem eigenen Unvermögen und der
Einsamkeit in den Regelklassen konfrontiert waren. Allen Bemühungen und viel
gutem Willen zum Trotz, bleiben Kinder mit Schwierigkeiten unterschiedlicher
Art Aussenseiter und werden nach wie vor oft ausgegrenzt. Die Erleichterung von
Kindern mitzuerleben, die in der Oberstufe endlich mit anderen Kindern, die
ähnliche Schwierigkeiten hatten, in einem geschützten Rahmen unterrichtet
wurden, bleibt in lebendiger Erinnerung.
Auch hier im
Kanton Graubünden werden je länger je mehr alle Kinder gemeinsam beschult. Viele
Kleinklassen wurden geschlossen. Eine Sonderschule besuchen immer weniger
Kinder. Und die Heilpädagogen werden zu mobilen Einsatzkräften degradiert, die
im sogenannten Teamteaching gleichzeitig mit den Lehrpersonen anwesend sein
müssen. Die heterogenen Klassen machen einen gemeinsamen Unterricht praktisch
unmöglich. Die daraus entstehenden Probleme können weder mit individuellen
Beurteilungen noch mit strukturellen Änderungen, mehr Geld, mehr Heilpädagogen
und mehr Hilfspersonal behoben werden. Warum nicht Grösse zeigen, die falsche
Ideologie verabschieden, auf ein vernünftiges mehrgliedriges Schulsystem
zurückkommen und Kleinklassen wieder zulassen? Niemand will die Rückkehr zur
früheren starr getrennten Beschulung, mit der vielen Kindern zum vorneherein
Möglichkeiten verbaut wurden. Im Kanton Graubünden bliebe noch genügend Zeit,
um von den Erfahrungen und den Fehlern, die in anderen Ländern und in anderen
Kantonen gemacht wurden, zu lernen. Auch in einer mehrgliedrigen Schule sind
sinnvolle Projekte möglich, wie zum Beispiel der Film «Rhythm is it», in dem
Sonderschüler und Gymnasiasten zusammenarbeiten, eindrücklich zeigt.
Elisabeth Calcagnini ist Heilpädagogin und Mitinitiantin der
Doppelinitiative Gute Schule Graubünden – «Mitsprache bei wichtigen Bildungsfragen»
und «Mitsprache bei Lehrplänen»
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