Nein zum Kopftuchverbot für Schülerinnen, aber Zurückhaltung bei religiös begründeten Dispensationen. Das Bundesgericht präsentiert einen Überblick über die Rechtsprechung zu Schule und Religion.
Das Bundesgericht übt Toleranz mit Grenzen, NZZ, 6.4. von Katharina Fontana
Der Umgang mit der religiösen Vielfalt ist
für die öffentlichen Schulen keine einfache Sache. Welche schulischen
Vorschriften unter dem Titel der Religionsfreiheit verhandelbar sind und welche
nicht, liegt nicht immer auf der Hand. Dass man es mit der Toleranz auf jeden
Fall zu weit treiben kann, zeigt der Fall der Baselbieter Schule Therwil, die
zwei muslimische Schüler davon dispensiert hat, ihren Lehrerinnen die Hand zur
Begrüssung zu reichen.
Die Rechtsprechung hatte schon mehrmals Gelegenheit, sich zum
Thema Schule und Religion zu äussern. So entschied das Bundesgericht im letzten
Dezember, dass eine Schule das Tragen des islamischen Kopftuchs nicht
grundsätzlich verbieten darf (NZZ 12. 12. 15). Am Mittwoch nun wurde die
schriftliche Begründung des Urteils veröffentlicht, die einen interessanten
Überblick über die bisherige Rechtsprechung bietet.
Was Fragen der religiösen Bekleidung angeht, wertet das
Bundesgericht die Freiheit der Schüler generell hoch. Zwar darf die Schule von
den Kindern verlangen, irritierende oder anstössige Kleidung zu vermeiden. Bei
religiösen Symbolen dagegen – darunter fallen neben dem islamischen Kopftuch
etwa auch die jüdische Kippa oder ein sichtbar getragenes christliches Kreuz –
sieht das Bundesgericht das öffentliche Interesse an einem generellen Verbot
nicht gegeben. So lässt es im konkreten Fall die Argumente der Schulgemeinde,
das Kopftuchverbot sei für die Wahrung der Chancengleichheit von Mädchen und
Knaben oder zur Einhaltung der Disziplin erforderlich, nicht gelten. Anders
sieht die Sache aus, wenn es sich um Lehrer an öffentlichen Schulen handelt.
Sie sind zu konfessioneller Neutralität angehalten, weshalb es das
Bundesgericht 1997 als zulässig erachtete, einer Genfer Primarlehrerin das
Tragen des Kopftuchs zu untersagen.
Verständnis hat das Bundesgericht, wenn ein Kind an religiösen
Feiertagen, etwa am Sabbat, einen freien Tag verlangt. Grosse Zurückhaltung übt
es hingegen, wenn es um Dispensationen von einzelnen Fächern geht. So lehnte es
2008 die Gesuche zweier muslimischer Knaben ab, sie seien vom Schwimmunterricht
zu dispensieren, weil ihnen der Anblick der nur mit Badekostüm bekleideten
Mädchen nicht zuzumuten sei. In einem anderen Fall hielt das Bundesgericht 2012
fest, dass Schüler vor Weihnachten zwar nicht verpflichtet werden dürften,
christliche Lieder zu singen, wenn dies einem Glaubensakt gleichkomme; hingegen
dürfe man in der Schule mit den religiösen Gesängen anderer konfrontiert
werden. 2014 schliesslich wollte es nichts davon wissen, ein Kind unter
Berufung auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit seiner Eltern vom
Aufklärungsunterricht zu dispensieren.
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