Es ist
noch gar nicht so lange her, da blickten Bildungsexperten im ganzen Land
begeistert ins Baselbiet. Bei der nationalen Harmonisierung der Bildung spielte
der Kanton eine Vorreiterrolle. Aus einer Standesinitiative, die Baselland 2002
im Bundesparlament einreichte, wurde der Bildungsartikel in der
Bundesverfassung. Noch lange war man im Baselbiet stolz darauf, die
«Speerspitze der Harmonisierung» zu sein, wie es der frühere Bildungsdirektor
Urs Wüthrich (SP) gerne nannte.
Die Volksabstimmung ist eine ernstzunehmende Hürde für den Lehrplan 21, Bild: Reto Oeschger
Der grosse Kampf um die Schulreform ist lanciert, Tages Anzeiger, 22.4. von Alan Cassidy
In diesen
Wochen könnte der Kanton erneut zum Pionier werden – aber aus einem ganz
anderen Grund. Am 5. Juni stimmen die Baselbieter über zwei Änderungen ihres
Bildungsgesetzes ab, die den Lehrplan 21 zum Ziel haben. Mit diesem wollen die
Erziehungsdirektoren den Schulstoff in allen 21 Deutschschweizer Kantonen
vereinheitlichen. Bereits am kommenden Wochenende fällt die Landsgemeinde im
Kanton Appenzell Innerrhoden einen Entscheid über das Projekt. Baselland ist
aber der erste Kanton, in dem es deswegen zu einer Urnenabstimmung kommt.
«Ein
ideologisches Projekt»
Zur
Debatte steht nicht der Lehrplan direkt. Stattdessen wollen die Baselbieter
Initianten dem Kantonsparlament die Kompetenz geben, den Lehrplan zu beurteilen
und zu genehmigen. Heute liegt diese Kompetenz bei einem 14-köpfigen
Fachgremium, dem Bildungsrat. Und was das von SVP und FDP dominierte Parlament
vom Lehrplan hält, wurde in den Diskussionen der vergangenen Jahre immer wieder
klar: nichts. Der Lehrplan 21 sei «ein ideologisches Projekt» von
Bildungsbürokraten, sagte Jürg Wiedemann vom Verein Starke Schule Baselland
gestern bei der Lancierung der Abstimmungskampagne. Es sei richtig, dass die
Reform besser abgestützt werde, indem das Parlament eine Mitsprache erhalte.
Wiedemann sass selber einige Jahre für die Grünen im Parlament. Nach einem
Streit über die Bildungspolitikverliess
er die Partei – und politisiert seither als Unabhängiger.
Auch die
zweite Vorlage betrifft den Lehrplan. Sie will auf der Sekundarschule sieben
Einzelfächer (darunter Geschichte, Geografie, Biologie und Chemie) ins
Bildungsgesetz schreiben und damit verhindern, dass drei Sammelfächer
entstehen: «Natur und Technik», «Räume, Zeiten, Gesellschaft» und «Wirtschaft,
Arbeit und Haushalt». Diese Sammelfächer machten Lehrkräfte zu oberflächlichen
Allroundern und erforderten «millionenteure» Weiterbildungen, sagte Wiedemann.
Die
Baselbieter Abstimmung wird in doppelter Hinsicht zum Stimmungstest. Der
Widerstand gegen den Lehrplan21 ist vielerorts gross. In 13Kantonen wurden
Initiativen oder Vorstösse dagegen lanciert. In Baselland zeigt sich zudem,
dass der Protest gegen die Reform nicht nur von konservativer Seite kommt,
sondern bis ins linke Lager reicht. Jürg Wiedemann, der grüne Renegat, verwies
gestern auf eine Umfrage bei den Baselbieter Lehrkräften, die vom Kanton
durchgeführt wurde. Demnach steht eine Mehrheit der Sekundarschullehrer dem
Lehrplan21 kritisch gegenüber.
Politisierung
der Bildung
Den
Abstimmungskampf gegen die Vorlagen führt ein überparteiliches Komitee aus
Mitte-links-Vertretern. Mit dabei ist zudem die Handelskammer beider Basel. Das
Bündnis wehrt sich dagegen, das Kantonsparlament über den Lehrplan entscheiden
zu lassen. «Es kann nicht sein, dass alle vier Jahre ein neugewähltes Parlament
je nach politischer Ausrichtung darüber bestimmt, was unsere Schüler zu lernen
haben», sagt SP-Fraktionschefin Miriam Locher. Damit werde die Bildung unnötig
politisiert. Die Kritik an den Sammelfächern hält Locher für übertrieben. Gerade
aus der Wirtschaft komme immer wieder der Wunsch nach vernetztem Denken. Das
Kostenargument der Initianten sei zudem falsch: «Wenn wir diese Reformen
ablehnen, werden wir in der Nordwestschweiz zur Bildungsinsel und müssen für
teures Geld eigene Lehrmittel und Studiengänge für die pädagogischen
Hochschulen entwickeln.»
Beide
Lager wissen, dass die Stimmung im Baselbiet gegenüber Schulreformen kritisch
ist. Auch ausserhalb des Kantons beobachtet man die Abstimmung deshalb mit
einer gewissen Nervosität. Und der Präsident des Schweizerischen
Lehrerverbands, Beat Zemp, warnte kürzlich gegenüber Radio SRF:
«Volksabstimmungen über einen Lehrplan machen einfach keinen Sinn. Das ist viel
zu komplex.» Abstimmen wird Zemp, ein Befürworter des Lehrplans, wohl trotzdem –
er lebt im Baselbiet.
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